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Bauernmelodram aus dem kommunistischen China

"Das Reispflanzerlied" Eileen Changs erzählt von den verheerenden Auswirkungen der kommunistischen Landreform auf das Leben chinesischer Bauern. Der Leser sieht in diesem Roman dem Alltag einer traditionellen Gesellschaft zu, die dennoch nicht intakt ist.

Von Ursula März | 16.11.2009
    Eileen Changs bürgerliche Großstadtgeschichten, die sie in den 40er-Jahren in Shanghai und in den frühen 50er-Jahren in Hongkong verfasste, erscheinen dem heutigen westlichen Leser thematisch, motivisch und atmosphärisch vertraut. Es geht um Geld, Liebe und Verrat. Es herrscht das Klima von Pessimismus, ja von einem radikal modernen Fatalismus.

    All dies findet sich auch in Eileen Changs Roman "Das Reispflanzerlied", aber er wirkt dennoch kulturell und historisch entfernter. Denn seine Geschichte spielt - für Eileen Changs literarisches Werk eher ungewöhnlich - in einem Dorf, im bäuerlichen Milieu der Frühphase des chinesischen Kommunismus. Anders als in den Großstädten sind westliche Moral, westliches Denken und westlicher Habitus in die Provinzwelt noch nicht vorgedrungen. Der Leser sieht in diesem Roman dem Alltag einer traditionellen Gesellschaft zu, die dennoch nicht intakt ist. Sie reibt sich nicht an fremden, äußeren Einflüssen, aber sie leidet an der Repression des eigenen Regimes. "Das Reispflanzerlied" erzählt von den verheerenden Auswirkungen der kommunistischen Landreform auf das Leben chinesischer Bauern.

    "Alle erhoben sich, um dem Genossen Fei Platz zu machen. Nach viel höflichem Geplänkel war es schließlich die alte Dame, die ihm den Hocker neben ihrem Mann am Kopfende des Tisches überließ. Schnaps gab es keinen, aber die für die kalte Jahreszeit ungewohnte Wärme in dem überfüllten Raum und die ausgiebige Mahlzeit in den sonst leeren Mägen hatte einen ähnlichen Effekt, sodass alle erhitzt und wie betrunken wirkten. Genosse Fei gab sich freundlich und leutselig; er erkundigte sich bei den Gästen nach der Ernte, fragte wie viele Dan (sic!) Getreide und wie viele Jin Hanf sie eingebracht hätten".

    In jeder Episode, ja in jeder Zeile ist der Druck der Partei spürbar. Die Romanerzählung beginnt mit der Szene einer privaten Heimkehr: Drei Jahre war die Bäuerin Yuexiang ohne Mann und ohne Kind in Shanghai, um als Dienstmädchen Geld zu verdienen; jetzt kehrt sie wie eine unbekannte Besucherin in ihr Dorf und zu ihrer Familie zurück. Die Entfremdung zur eigenen kleinen Tochter, die die Mutter überhaupt nicht wiedererkennt, gibt den Topos des Romans vor: Die soziale Brutalisierung unter dem Druck von Hunger und Not und dem Diktat der Partei. Immer größere Abgaben fordert sie von den Bauern, die nun ihren Hass auf die zur Fremden gewordene Yexiang lenken. Die Dorfbewohnerschaft, die für den Tribut an die Partei kollektiv auskommen muss, unterstellt ihr, heimlich Ess- und Geldvorräte aus der Stadt zu hüten. Auch in der ehemals zärtlichen Ehe von Yuexiang mit Jingen brechen Aggressionen durch, kommt es zu Beleidigungen und Schlägen.

    Es ist das private Vorspiel der Gewalteskalation, auf die die Romangeschichte zuläuft: Die Bauern üben den Aufstand gegen die Partei. Er wird im Handumdrehen blutig niedergeschlagen, dabei kommen auch die Eheleute Yexiang und Jingen ums Leben. Was den Roman von einem plakativen antikommunistischen Lehrstück unterscheidet, ist zum einen die poetische Dichte von Eileen Changs metaphorischer Beschreibungskunst, zum anderen die philosophische Weite des Stoffes.

    Der nackte Hunger, an dem die Bauern leiden, ist nicht nur ein Resultat kommunistischer Misswirtschaft. Er wird darüber hinaus als universelles Symbol einer leidenden Welt dargestellt. Die Natur, die Tiere - alles scheint in diesem bildstarken Roman vom Hunger befallen zu sein wie von einer Seuche.

    "Das Tschilpen hungriger Vögel klang überraschend laut in der Stille des wattierten Universums. Ihre Augen suchten die Felder nach Yuexiangs Grabstelle ab, die, wie sie wusste, schwer zu finden sein würde. Der Leichnam war lediglich in eine Matte gerollt und in eine flache Grube gelegt worden, die man zugeschüttet und nicht mit einem Hügel bedeckt hatte. Der Wind trug das Knurren von Hunden heran, leise zwar, aber mit kristallener Klarheit. Sie wischte sich die Augen und sah, dass es ein Rudel wilder Hunde war, die sich über dem Grab balgten."

    Eileen Chang verfasste "Reispflanzerlied" 1952 als Auftragsarbeit des United States Information Service auf Englisch und übertrug den Roman später in Amerika selbst in Chinesische. Die bisherige, längst vergriffene deutsche Ausgabe, stützte sich auf die sprachlich sprödere englische Version, Susanne Hornfecks Neuübersetzung berücksichtigt auch die bildlichere chinesische Version. Eben dadurch wird der Genrecharakter des "Reispflanzerliedes" deutlicher: Ein Bauernmelodram aus dem kommunistischen China.