Mittwoch, 24. April 2024

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Baum kündigt erneute Klage gegen Großen Lauschangriff an

Klaus Remme: Mit dem so genannten großen Lauschangriff, also dem Abhören von Wohnungen mit Wanzen zum Zweck der Strafverfolgung, kehrt ein Thema zurück, über das in den vergangenen Jahren leidenschaftlich gestritten wurde. Im vergangenen März hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Demnach muss die Bundesregierung das Gesetz wenigstens präzisieren. Im neuen Referentenentwurf des Justizministeriums wird jetzt schnell klar: Die Regierung will die Wohnraumüberwachung gleichzeitig verschärfen. Künftig soll sie auch bei Berufsgruppen möglich sein, die bisher geschützt waren, weil sie als Geheimnisträger gelten, Anwälte, Journalisten oder Ärzte zum Beispiel. Am Telefon ist nun Gerhard Baum von der FDP, einst Bundesinnenminister. Er gehörte zu den Klägern vor dem Bundesverfassungsgericht. Herr Baum, wie bewerten Sie diese Antwort auf das Urteil vom März?

Moderation: Klaus Remme | 08.07.2004
    Gerhard Baum: Das Urteil würde ad absurdum geführt. Es ist ja nicht so, dass das Gericht gesagt hat, das Gesetz muss präzisiert werden. Das Gericht hat Grenzen aufgezeigt, die ganz klar unseren Intentionen entsprechen. Sie müssen wissen, zwei Drittel der Kosten dieses Rechtsstreits hat die Bundesregierung zu übernehmen und nur ein Drittel wir. Wir haben also uns weitgehend durchgesetzt mit unserem Bedenken gegen den großen Lauschangriff. Wir haben dazu fünf Jahre gebraucht. Das ist ein wegweisendes Urteil, die Kommentatoren sagen, ein großes Urteil, denn hier wird die Grenze bestimmt. Die Grenze für die Effizienz der staatlichen Strafverfolgung ist die Menschenwürde, und diese Grenze darf nicht überschritten werden. Mit dem neuen Referentenentwurf zeigt sich die Bundesregierung als schlechter Verlierer. Ich habe eher das Gefühl, auf dem Entwurf steht Zypries drauf und eigentlich ist Schily drin. Das können wir uns wirklich nicht bieten lassen. Das Verfassungsgericht hat sich als Bollwerk gegen eine rechtsstaatliche Gleichgültigkeit erwiesen, und wir dürfen jetzt das Urteil nicht in seinem Kern wieder in Frage stellen.

    Remme: Was stört Sie besonders konkret?

    Baum: Also mich stört, dass der Lauschangriff nicht eingeschränkt werden soll, sondern eigentlich noch größer werden soll, wie eine Zeitung gestern schrieb, "der große Lauschangriff soll noch größer werden". Es werden eine Vielzahl von Personen, Geheimnisträger, die ausgenommen waren, wie Sie schon gesagt haben, einbezogen. Ärzte, Anwälte, Steuer- und Drogenberater, Psychologen, Journalisten sollen künftig abgehört werden, wenn - so steht es da drin - "unabweisbare Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung unter besonderer Beachtung des Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dies erfordern". Das Gericht hat ausdrücklich gesagt, dass in diesem Bereich, im Kernbereich privater Lebensgestaltung eine Abwägung, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gar nicht mehr stattfinden darf. Das mag man nun akzeptieren oder nicht, man muss es jedenfalls respektieren. Vor allem muss die Bundesregierung, die in Karlsruhe verloren hat, das respektieren. Ich hoffe, dass das Parlament oder die Regierung selber das korrigieren wird.

    Remme: Die Ministeriumschefin hat die Verschärfung gestern explizit mit terroristischen oder islamistischen Bedrohungen begründet. Erkennen Sie diese neue Qualität an?

    Baum: Aber natürlich erkennen wir die neue Qualität an. Aber wir erkennen nicht an, dass immer neue Freiheitseinschränkungen erfolgen, die zur Kriminalitätsbekämpfung gar nicht notwendig sind. Wir haben eine Serie von Maßnahmen seit dem 11. September erlebt, mit denen in den privaten Lebensbereich eingegriffen wurde. Es werden zum Beispiel viel zu viele Daten erhoben, vor allen Dingen von unverdächtigen Bürgern, die unkontrolliert verwertet werden können. Also wir haben hier eine Qualitätsverschlechterung unseres Rechtsstaates, übrigens schon seit der RAF-Bekämpfung. Das können wir nicht hinnehmen. Es wird praktisch jede Gelegenheit genutzt - das Zuwanderungsgesetz war die letzte Gelegenheit -, rechtsstaatliche Garantien wegzunehmen.

    Remme: Was wäre denn in Anerkennung der neuen Bedrohungsqualität eine angemessene Antwort der Bundesregierung auf das Urteil?

    Baum: Also das Gericht hat sich mit der Bedrohungsqualität gar nicht auseinandergesetzt, sondern in erster Linie mit unserer Verfassung, mit dem Grundsatz Menschenwürde und mit dem Grundsatz beispielsweise Schutz der Familie, und hat gesagt, in diesem inneren Kernbereich darf der Staat nicht hinein. Wir reden über die Strafverfolgung, also nicht über die Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat, wo die Situation eine andere ist. Aber hier geht es um die Strafverfolgung, und wir kommen zu der absurden Situation, dass jemand, der nicht zu einer Aussage vor Gericht gezwungen werden kann wegen Aussageverweigerungsrechten, beispielsweise ein Arzt, vorweg abgehört werden kann mit einer Wanze. Also das ist ein absurdes Ergebnis, und ich kann wirklich nur sagen, wenn dieser Gesetzentwurf nicht zurückgezogen wird, werden wir genau prüfen, ob wir nicht erneut nach Karlsruhe gehen.

    Remme: Das heißt, die nächste Klage könnte programmiert sein?

    Baum: Das ist so.

    Remme: Die Innenminister sitzen in Kiel zusammen, um über eine effektivere Terrorismusbekämpfung zu beraten. Das gehört ja in den größeren Zusammenhang. Immer wieder taucht die Forderung nach einer sehr viel engeren Zusammenarbeit von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Polizei auf. Ist diese geboten?

    Baum: Ja, sie ist in gewisser Hinsicht geboten, und sie ist auch rechtlich möglich, aber nicht in der Weise, dass man die unterschiedlichen Ansätze, die unterschiedlichen Aufträge der Sicherheitsbehörden miteinander vermischt. Der Verfassungsschutz arbeitet mit einem ganz anderen Bereich und an anderen Vollmachten. Er geht also Verdacht nach, oder er beobachtet sogar eine Situation ohne Verdacht, während die Polizei erst tätig werden kann, wenn wirklich ein Verdacht da ist. Diese Vermischung darf nicht erfolgen. Wir dürfen nicht wieder zurück in die Vermischung, wie sie bei der geheimen Staatspolizei der Nazis stattgefunden hat. Aber ein Austausch ist in bestimmten Grenzen absolut notwendig. Es ist ja ein Austausch, wie wir dauernd mit Erstaunen feststellen, in Europa gar nicht gewährleistet. Das heißt, die vorhandenen Informationen werden nicht allen zuständigen Behörden zugänglich gemacht und auch nicht von allen verwertet. Es gibt Defizite, übrigens auch erhebliche Defizite im elektronischen Informationssystem der Polizei. Die werden deshalb nicht beseitigt, weil sie Geld kosten. Man mutet uns immer neue freiheitseinschränkende Gesetze zu, tut aber nicht das, was wirklich möglich und wirkungsvoll gewesen wäre.


    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.