Freitag, 19. April 2024

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BDI-Chef Kempf
"Eineinhalb Jahre Verfehlung immer noch hervorragend"

BDI-Chef Dieter Kempf geht davon aus, dass sich Union und SPD auf eine Große Koalition einigen werden. Zum Thema Klimaziel sagte der Chef der deutschen Industrie im Dlf, dass eine verzögerte Erreichung der Ziele in Deutschland um ein oder anderthalb Jahre immer noch eine beispielgebende Leistung sei.

Dieter Kempf im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 11.01.2018
    Das Bild zeigt Dieter Kempf, den Praesidenten Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er gestikuliert während eines Interviews.
    Dieter Kempf, Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) (imago stock&people / Thomas Koehler)
    Jörg Münchenberg: Schlussspurt bei den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD heute in Berlin. Entschieden ist nichts, bevor nicht alles entschieden ist, heißt das Mantra. Aber einiges ist eben doch schon bekannt geworden. Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf. Herr Kempf, einen schönen guten Morgen.
    Dieter Kempf: Schönen guten Morgen, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Nun sind ja bei der GroKo noch viele Unwägbarkeiten und offene Fragen. Aber nach dem bisherigen Verlauf der Gespräche sieht es doch relativ gut aus, dass man sich verständigt. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass Deutschland bald eine neue Regierung haben wird?
    Kempf: Ich erachte die Chancen, dass es zu einer neuen Regierung in Form der Großen Koalition kommt, als deutlich größer als die Möglichkeit, dass es nicht dazu kommt. Wir von Seiten der Industrie sind nach all dem, was wir wissen und hören, zuversichtlich.
    "Man kann nicht immer zurückdelegieren"
    Münchenberg: Trotzdem lauern da ja auch noch ein paar Unwägbarkeiten, selbst wenn es jetzt heute die grundsätzliche Einigung geben sollte. Am Ende muss ja ein SPD-Sonderparteitag das Ergebnis absegnen und nach Koalitionsgesprächen muss dann auch noch die SPD-Basis zustimmen. Das heißt, das könnte ja alles noch auf den letzten Metern doch noch platzen.
    Kempf: Es könnte sicherlich so sein. Ich will auch ganz freimütig gestehen, dass ich den von der SPD hier sehr frühzeitig festgelegten Verfahrensweg für nicht wirklich gut halte. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, in einer repräsentativen Demokratie. Den kann man nicht immer dann, wenn es um Verantwortungsübernahme geht, quasi zurückdelegieren. Aber das ist eine Sache, die die Partei selbst zu werten hat.
    Ich sehe diese möglichen Stolpersteine. Ich bin aber dennoch der festen Überzeugung, dass gerade auch die Parteibasis der SPD weiß, wie wichtig es ist, dass wir jetzt eine stabile Regierung haben – auch dann, wenn wie immer bei Koalitionen beide Seiten Kompromisse schließen werden müssen.
    Münchenberg: Sie selbst haben ja gefordert, die neue Große Koalition müsse mehr Wirtschaft wagen. Wenn man sich jetzt mal die einzelnen Punkte anschaut, die bekannt geworden sind: Aufgabe des Klimaziels 2020. Ist das im Sinne des BDI, mehr Wirtschaft wagen?
    Kempf: Ich glaube, bei dem Thema Klimaziel, wo wir ja Informationen vor einigen Tagen bekommen haben, muss man vorsichtig sein. Es geht nicht um eine Aufgabe, sondern es geht um eine realistische Darstellung dessen, was erreichbar ist. Wir dürfen nicht verkennen, dass gegenüber der ursprünglichen Festlegung des Ziels sich Rahmenbedingungen signifikant verändert haben.
    Wir haben eine gut siebenstellige Zahl mehr Menschen in Deutschland, viele andere Rahmenbedingungen mehr, und es geht gerade der Wirtschaft, gerade der Industrie nicht darum, das Klimaziel aufzugeben, sondern Zeitpunkt und Prozentzahl der Erreichung realistisch darzustellen. Und ganz ehrlich: Wenn es am Ende um ein Jahr oder eineinhalb Jahre Verzögerung geht, dann, glaube ich, können wir immer noch stolz darauf sein, dass wir es erreicht haben.
    "Beispielgebende Leistung für andere Länder"
    Münchenberg: Aber es geht ja hier auch um eine gewisse Vorreiterrolle, die Deutschland ja immer wieder für sich beansprucht. Wäre das nicht genau das falsche Signal jetzt zum falschen Zeitpunkt?
    Kempf: Ich glaube, dass die Welt sehr gut erkennen kann, dass unter den veränderten Rahmenbedingungen, florierende Wirtschaft, deswegen mehr Energieverbrauch, deutlich mehr Menschen, deswegen mehr Energieverbrauch, eine – bleiben wir mal bei meiner These – um ein, eineinhalb Jahre verzögerte Erreichung des Ziels immer noch eine hervorragende und beispielgebende Leistung für viele andere Länder wäre.
    Münchenberg: Aber das heißt ja auch faktisch weniger Ehrgeiz, zum Beispiel wenn es darum geht, alte Kohlekraftwerke abzuschalten, oder auch, um die Effizienz jetzt beim Energieverbrauch zu verbessern.
    Kempf: Da bin ich im Übrigen anderer Meinung. Ich glaube, dass es im Laufe der kommenden Jahre in einigen Branchen eine wirklich dynamische Entwicklung hin zu mehr Möglichkeiten von Energieeffizienz geben wird. Denken Sie an das Thema energetische Gebäudesanierung im Altbestand, vieles andere mehr. Genau diese Themen sind auch der Grund, weswegen wir von Seiten des BDI gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden am 18. Januar dieses Jahres einen großen Klimaschutzkongress veranstalten werden, wo wir genau diese Themen auch sektoral herunterbrechen.
    "Wir brauchen qualifizierte Fachkräftezuwanderung"
    Münchenberg: Lassen Sie uns auf weitere Punkte schauen, die die mögliche Große Koalition vorhat. Offenbar geht es da auch um ein neues Einwanderungsgesetz. Aus Ihrer Sicht ein überfälliger Schritt?
    Kempf: Nein! Wir glauben in der Tat, dass wir in Deutschland bei dem Arbeitskräftemangel, den wir haben, der im Übrigen auch jetzt unser Wirtschaftswachstum bremst, das natürlich immer noch toll ist, dass wir unter diesen Rahmenbedingungen eine qualifizierte Fachkräftezuwanderung brauchen und dass wir dies auch auf der rechtlichen Basis oder von der rechtlichen Basis her gesehen trennen müssen von dem Thema Asyl. Das sind zwei völlig unterschiedliche Gesichtspunkte und ich glaube, dass wir beide regeln müssen. Die Regelung der qualifizierten Zuwanderung wäre ein Fortschritt auch für die Wirtschaft.
    Münchenberg: Nun ist ja noch offen, Herr Kempf, wieviel Geld die mögliche Große Koalition, muss man ja sagen, ausgeben will oder wird. Da schwirren im Augenblick Zahlen von bis zu 100 Milliarden Euro durch die Medien. Dabei, heißt es, belaufe sich der Spielraum allenfalls auf 45 Milliarden Euro. Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach die Gefahr, dass da am Ende doch auch Klientelpolitik, vielleicht auch ohne Rücksicht auf die öffentlichen Kassen betrieben wird?
    Kempf: Jetzt haben wir ja die bequeme Situation, dass selbst die Steuerschätzer des Bundes, die normalerweise sehr konservativ sind, davon ausgehen, dass wir in den nächsten vier Jahren Steuermehreinnahmen von 290 Milliarden erzielen werden. Das heißt, da ist einfach mal Möglichkeit da, Geld auszugeben. Wovor wir warnen ist einfach nur, dass man Geld mit der Gießkanne verteilt. Dieses Geld muss verteilt werden in Form sinnvoller Investitionen und Investitionsanreize, die uns die Möglichkeit wirtschaftlichen Wachstums und damit auch die Möglichkeit des Schaffens von Arbeitsplätzen in der Zukunft gibt.
    Da gibt es wichtige Bereiche, angefangen von der Bildung. Bildung braucht dringend Investitionen in Deutschland. Die Infrastruktur, nicht nur die digitale, auch die analoge Infrastruktur in Deutschland – ich nenne nur eine Rheinbrücke in der Nähe von Köln – sind Beispiele. Es gibt viele andere Beispiele. Wichtig ist, dass wir dieses Geld, das wir verteilen, investiv verteilen und nicht in Form sozialer Segnungen. Soziale Segnungen sichern die Gegenwart, nicht die Zukunft. Investitionen sichern die Zukunft.
    "Es geht um Investieren"
    Münchenberg: Aber das, was da bislang durchgesickert ist, haben Sie da den Eindruck, dass das Geld dann vielleicht doch in falsche Kanäle aus Ihrer Sicht fließen könnte?
    Kempf: Na ja. Wir haben natürlich gerade bei der Großen Koalition der letzten Legislaturperiode gesehen, dass diese Gefahr nicht nur abstrakt, sondern auch sehr konkret ist, und deswegen haben wir uns ja da auch ganz lautstark zu Wort gemeldet. Das Verteilen muss jetzt hinten anstehen. Es geht um Investieren, um damit die Basis für Wohlstand der nächsten Jahre und der nächsten Generation zu schaffen.
    Münchenberg: Nun bleibt ja die SPD bei ihrer Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz. Könnte die Wirtschaft damit leben?
    Kempf: Ich muss gestehen, dass ich die Argumentation der SPD an der Stelle schlecht nachvollziehen kann. Angesichts der Steuermehreinnahmen haben wir offensichtlich keinerlei Steuereinnahme-Probleme. Dann muss man sich vergegenwärtigen, dass die Einkommenssteuer in Deutschland, auch wenn es anders klingt und anders empfunden wird, in hohem Maße eine Steuer auf Unternehmensgewinne ist, nämlich der Personengesellschaften und der Einzelunternehmen. Da lohnt es sich, einfach mal mit Zahlen zu operieren. Man muss sich klarmachen, dass ein kleines Industrieunternehmen, ein kleiner Gewerbebetrieb, ein kleiner Handwerker, dem im Monat 5.000 Euro übrig bleiben, also im Jahr 60.000 Euro, dass der damit in die Spitzenbelastung des Einkommenssteuertarifs einsteigt.
    Damit werden nicht seine ganzen 60.000 Euro mit dem Spitzentarif besteuert, aber der nächste Euro. Und dann überlasse ich jetzt jedem Zuhörer, selbst zu urteilen, ob ein Handwerker, dem 60.000 Euro im Jahr übrig bleiben, ob der zu den Reichen im Lande gehört oder nicht. Wir brauchen mehr Realismus in der Steuerdiskussion.
    "Mir wäre lieber, wir würden den Soli abschaffen"
    Münchenberg: Trotzdem: Nach allem was man hört, bleibt die SPD ja schon bei ihrer Forderung, und sie muss ja auch was der eigenen Basis liefern.
    Kempf: Mir wäre lieber, wir würden den Soli abschaffen. Den brauchen wir nicht. Mir wäre lieber, auch für die eigene Basis der SPD, wir würden eine steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung einführen, die im Gegensatz zur antragsgebundenen Forschungsförderung einen großen Vorteil für kleine und mittelständische Unternehmen bedeutet, weil sie oftmals das Antragsprozedere scheuen. Investitionen von der Steuer abzuziehen, ist deutlich leichter. Wir haben dazu einen wissenschaftlich begleiteten Vorschlag gemacht. Ich denke, es gäbe andere Möglichkeiten, die, wenn man so will, eigene Parteibasis zufriedenzustellen, als eine Anhebung des Spitzensteuersatzes.
    Münchenberg: Herr Kempf, nun sitzen da ja doch drei Angeschlagene am Tisch: die Bundeskanzlerin, der SPD-Parteichef Schulz, aber auch noch CSU-Ministerpräsident Seehofer. Politisch alle drei schwer angeschlagen. Wie kraftvoll kann denn trotzdem das Signal von einer möglichen neuen GroKo wirklich ausgehen?
    Kempf: Wenn ich einfach mal Ihren Terminus übernehme und sage, jetzt unterstellen wir mal, dass es richtig ist, was Sie sagen, dass die drei angeschlagen sind, dann weiß man aus dem realen Leben, dass drei Angeschlagene nur dann wieder stark sind, wenn sie möglichst eng zusammenhalten. Und den Rat kann man allen dreien nur geben. Das heißt, auch wenn es schwierig wird, sich auf eine Große Koalition und damit trotz Angeschlagenheit auf eine machtvolle Möglichkeit, Politik machen zu können, regieren zu können, zu einigen.
    Münchenberg: Sind Sie eigentlich im Rückblick immer noch sauer auf die FDP, die sich ja aus den Jamaika-Sondierungen verabschiedet hat?
    Kempf: Ich habe Verständnis für so manche Enttäuschung, dass es Jamaika nicht geworden ist. Auch wir, auch ich habe gesagt, Jamaika könnte eine Chance sein. Aber ich will mich nicht an einer Art Bashing derjenigen beteiligen, die sich jetzt entschieden haben, in diese Jamaika-Koalition nicht einzutreten oder die Verhandlungen nicht fortzuführen. Es gab aus deren Sicht wohl gute Gründe dafür, und ich denke, die muss man auch akzeptieren. Eine gewisse Enttäuschung darüber will ich nicht verhehlen.
    Münchenberg: Aber das heißt, Sie teilen auch die Gründe, die FDP-Chef Lindner angeführt hat?
    Kempf: Ich kann sie nachvollziehen. Ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass man sie auf dem Verhandlungswege bereinigen kann. Aber ich kann sie nachvollziehen.
    "28-Stunden-Forderung schlichtweg nicht nachvollziehbar"
    Münchenberg: Herr Kempf, eine Frage muss ich Ihnen auch stellen zu einem anderen Thema. Heute beginnt ja nach massiven Warnstreiks die dritte Runde der Tarifgespräche in der Metallbranche. Es geht aus Gewerkschaftssicht um sechs Prozent mehr Lohn und das Recht auf eine befristete 28-Stunden-Woche, teilweise mit Lohnzuschlägen. Die Arbeitgeber lehnen das kategorisch ab. Ist das für den Chef des BDI auch eine inakzeptable Forderung?
    Kempf: Jetzt ist das ja eher das Thema des Bundesverbands der Arbeitgeber als des Bundesverbands der Industrie.
    Münchenberg: Ist klar.
    Kempf: Trotzdem will ich dazu gern Stellung nehmen. Ich kann in der gegenwärtigen Situation diese 28-Stunden-Forderung schlichtweg nicht nachvollziehen. Wir haben volle Auftragsbücher. Wir fahren volle Schichten, teils Sonderschichten. Wir haben einen extremen Arbeitskräftemangel, der insbesondere mittelständische Unternehmen, die nicht in den Ballungsräumen sitzen, ungeheuer quält, der sie in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hemmt. Und in der Situation eine 28-Stunden-Forderung mit partiellem Lohnausgleich einzufordern, der dann ja auch zu Ungerechtigkeit gegenüber demjenigen führt, der Vollzeit arbeitet – der kriegt nämlich weniger Stundenlohn als der, der diese Form der Teilzeit wählt -, sorry, dafür fehlt mir das Verständnis. Dass Arbeitnehmer angesichts einer guten konjunkturellen Lage ein Mehr an Gehalt haben wollen, das kann ich nachvollziehen.
    Münchenberg: Das heißt aber trotzdem - das ist eine Kernforderung der IG Metall – aus Ihrer Sicht, die IG Metall wird mit dieser Forderung bei den Arbeitgebern gegen die Wand rennen?
    Kempf: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich ja nicht am Verhandlungstisch sitze. Ich kann nur sagen, ich kann diese Forderung in keinster Form nachvollziehen.
    Münchenberg: … sagt BDI-Chef Dieter Kempf. Herr Kempf, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Kempf: Haben Sie vielen Dank, Herr Münchenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.