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BDI-Präsident: Griechenland muss Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, hat Griechenland erneut Investitionen deutscher Unternehmen angeboten. Dafür benötigte man aber Rahmenbedingungen wie ein Katasterwesen und den Aufbau einer Steuerverwaltung.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 22.02.2012
    Sandra Schulz: Da war das Wort Verhandlungsmarathon wirklich einmal mehr als eine viel strapazierte Floskel: Zwölf Stunden haben die Euro-Finanzminister um das zweite Rettungspaket für Griechenland gerungen, und eigentlich könnte man die langen Wochen, die der Einigung vorausgegangen sind, auch noch dazu zählen. Jetzt müssen die Pleitegeier also vorerst abdrehen, dank internationaler Hilfe kann Griechenland einer Insolvenz in letzter Minute entgehen. Das zweite Kreditpaket hat ein Volumen von 130 Milliarden, der vereinbarte Schuldenschnitt von 107 Milliarden ist der größte in der Geschichte. Selbst in Argentinien war es Anfang des Jahrhunderts weniger. Aber Griechenland steht mit weiteren Reformen in der Pflicht, und auch unabhängig davon sind die Unsicherheiten noch immer ganz erheblich. Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Wirtschaft mit Hans-Peter Keitel. Guten Morgen!

    Hans-Peter Keitel: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Keitel, ist Griechenland denn jetzt gerettet?

    Keitel: Nein. Griechenland – wenn ich das mal in einem Bild sagen darf – haben wir soeben aus dem Wasser gezogen, wo es nicht geschwommen ist, sondern gezappelt hat. Und die Frage ist jetzt, ob Griechenland gewillt ist, wirklich schwimmen zu lernen. Das heißt, um es mal zu übersetzen, es reicht nicht, dass die Bevölkerung dort um Opfer gebeten wird, sondern es müssen diejenigen, die in Griechenland das Sagen haben, die in der Lage sind, auch Griechenland in eine neue Zukunft zu führen, dass die sich tatsächlich auch selbst mit einbringen und anstrengen. Es geht darum, dass Griechenland jetzt einen funktionierenden Staat auch wirklich aufbaut.

    Schulz: Wen sehen Sie da konkret in der Pflicht? Die Politik oder die Bürger? Beide?

    Keitel: Es geht in Griechenland ja auch darum, dass es in Griechenland beispielsweise Unternehmer gibt – Unternehmer, die leistungsfähig sind, Unternehmer, die aber ihr Land auch verlassen haben. Wir haben den Griechen deutlich gemacht, dass die deutsche Industrie bereit ist, mitzuhelfen beim Aufbau von privaten Strukturen, dass es aber nicht geht, dass die deutschen Investoren an der Grenze feststellen, dass die griechischen Investoren auf der Gegenspur entgegen kommen. Es müssen die Leistungsfähigen mithelfen, ich glaube, darauf kommt es jetzt in erster Linie an.

    Schulz: Welche Rolle spielt Griechenland denn jetzt überhaupt noch als wirtschaftlicher Partner?

    Keitel: Ich denke, wir dürfen das nicht jetzt mit der Dimension messen, ist Griechenland für uns im Volumen und dem, was in den nächsten Jahren absehbar ist, ein attraktiver Partner für unsere Wirtschaft, sondern ist Griechenland Teil Europas. Und diese Hilfe macht deutlich, Griechenland kann es ohne Hilfe von außen definitiv nicht schaffen, aber es ist erstmals auch sehr deutlich gemacht worden, gesagt worden, die ganze Hilfe nützt ja nichts, wenn Griechenland sich nicht selbst anstrengt, und es geht jetzt wirklich darum, dass wir von außen auch sicherstellen, dass Griechenland die Anstrengungen, die es zugesagt hat, auch wirklich umsetzt.

    Schulz: Aber wie, sozusagen mit welchen Bereichen kann Griechenland denn wirtschaftlich auf die Beine kommen? Was ist denn da interessant, Olivenöl?

    Keitel: Nein, ich glaube, wir sollten wirklich sehen, dass es auch in der Vergangenheit ja mit Griechenland Wirtschaftsbeziehungen gegeben hat. Die sind ja nicht plötzlich alle weggefallen, die Möglichkeit, in Griechenland auch industrielle Dienstleistung, industrielle Fertigung zu erbringen, sind ja nicht weggefallen. Nur das Ganze ist unter der Staatsverkrustung irgendwo auch aus unserem Blick verschwunden. Wir haben Griechenland zugesagt, dass wir dort, wo es um private Investitionen beispielsweise auch in die Infrastruktur geht, dass wir dort mithelfen. Aber Griechenland muss auf der anderen Seite dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen, dass wir Planungssicherheit haben. Es kann nicht sein, dass wir in Europa noch Länder haben oder ein Land haben, das beispielsweise nicht sagen kann, wem die Grundstücke gehören. Es geht also wirklich darum, dass wir beispielsweise ein Katasterwesen aufbauen, dass wir die Steuerverwaltung dort aufbauen, dass der öffentliche Dienst in eine moderne Funktion überführt wird – das sind die Voraussetzungen für privates Geld, das auch zur Verfügung steht, auch für Griechenland.

    Schulz: Das sind ja Probleme, die teilweise schon seit Jahren bekannt sind. Was hat sich denn da aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren getan?

    Keitel: Ich glaube, dass wir selbstkritisch sehen müssen, dass wir Jahrelang in der Tat zugesehen haben, das so als eine Art charmantes Mittelmeerproblem gesehen haben, anstatt deutlich zu sagen, woran es mangelt. Auch wir müssen lernen, die Probleme dann tatsächlich beim Namen zu nennen, klar zu sagen, es geht mit einer solchen Verwaltung nicht, es geht nicht mit einem solchen Rechtssystem, was Prozesse über Jahre verschleppt, es geht nicht mit mangelnder Transparenz – wir müssen die Dinge beim Namen nennen und sagen, unter welchen Bedingungen sind wir bereit, zusammenzuarbeiten. Wir haben Griechenland eine Art Marshallplan angeboten, das heißt aber eindeutig Hilfe zur Selbsthilfe. Und ich will nicht verschweigen, dass auch die deutsche Industrie in gewisser Weise enttäuscht ist über die Reaktionen, denn wir sind seit über einem Jahr in Gespräch, und das, was von Griechenland konkret zurückkommt, reicht nicht, um gemeinsam etwas anzupacken.

    Schulz: Können Sie das für uns wiederum noch konkreter machen?

    Keitel: Ja, wir haben im vergangenen Jahr auch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Papandreou konkret vereinbart, dass deutsche Unternehmer zur Verfügung stehen, auch in der griechischen Wirtschaft mitzuarbeiten. Das heißt, dass wir dann aber auf der anderen Seite die Bereitschaft erwarten, dass es nicht auf dem Rücken der Bürger alleine ausgetragen wird, sondern dass – ich sagte das vorhin – die Leistungsfähigen dann mit dabei sind, in Griechenland zu investieren, dass wir ihnen deutlich machen, welche Randbedingungen es beispielsweise in Deutschland gibt, die die Investitionen ermöglichen, die in Griechenland aber fehlen. Ich habe beispielsweise die ganze Frage der Steuerverwaltung bereits genannt. Wir können mit einem öffentlichen Dienst, der sich selbst beschäftigt, auch in Griechenland nicht arbeiten. Wir sind auch bereit, in Griechenland zu investieren, auch für Drittmärkte dort zu investieren, wenn Griechenland die Voraussetzungen dafür schafft. Das liegt in Griechenland längst auf dem Tisch. Wir waren mehrfach dort, und wir erwarten jetzt, dass Griechenland diese Dinge auch ernst nimmt.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal zurückkommen und zu sprechen kommen auf das Hilfspaket, auf das milliardenschwere – wer profitiert denn von der Rettung?

    Keitel: Ich glaube, dass wir jetzt nicht euphorisch sein sollten und sagen, es ist alles gerettet, sondern wir haben gemeinsam Voraussetzungen geschaffen, Europa noch ein Stück weiterzuentwickeln, und es geht hier auch nicht nur um Griechenland. Ich glaube, es war jetzt eine notwendige Voraussetzung, um Griechenland eine letzte Chance zu geben. Wir sollten darüber hinaus aber sehen, dass es um Europa als Ganzes geht und nicht vergessen, dass es auch Regelungen gegeben hat in der Verabredung in Cannes, die nämlich auch für die anderen Staaten maßgeblich sind, nämlich beispielsweise die Schuldenbremsen in Europa einzuführen, sie ernst zu nehmen, die öffentlichen Haushalte insgesamt zu konsolidieren. Griechenland ist eines und ein beschreibbares, begrenztes Problem. Europa als Ganzes hat noch ein größeres Problem zu lösen, das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

    Schulz: Damit haben Sie jetzt meine Frage aber geschickt umschifft, nämlich wer profitiert – sind das nicht auch die deutschen Unternehmen, die ja bekannt sind für ihre Exportstärke?

    Keitel: Wir würden uns für Griechenland nicht in diesem Maß engagieren, wenn es auch nicht darum ginge, dass wir insgesamt, alle miteinander, auch die deutsche Industrie, davon profitieren kann, aber ich glaube, es ist eindeutig, dass es nicht der deutsche Exportmarkt Griechenland ist, der in erster Linie davon profitiert, sondern, dass es ein stabiles Europa ist, was für uns wichtig ist. Und Griechenland zu retten, Griechenland in ein funktionsfähiges Staatswesen zu überführen, heißt, ein stabiles Europa zu schaffen, und das ist das eigentliche Ziel.

    Schulz: Der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, heute Morgen im Interview hier im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank dafür!

    Keitel: Ja, gerne, Wiederschauen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.