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Bechern und Büffeln in Braunschweig

Im Wein liegt die Wahrheit, aber auch Alkohol und der kann bei übermäßigem Konsum gesundheitsschädlich sein. Im Zuge ihrer Doktorarbeit haben zwei Braunschweiger Studierenden ihre Kommilitonen online und anonym zu Trinkgewohnheiten und psychischen Problemen befragt.

Von Susanne Schrammar | 10.07.2012
    Studentenstimmen:

    "Wenn man am Wochenende raus geht, dann trinkt man halt was."
    "Ich weiß nicht - so einmal die Woche bestimmt ganz gut. Je nach dem - wenn Klausurphase ist, natürlich weniger. Und dazwischen mehr."
    "Ich trinke auch eher seltener. Wenn, dann aber relativ viel.":
    "Schon regelmäßig! Regelmäßig heißt jeden Tag. Auch in der Klausurphase. Das bleibt nicht beim Bierchen, LACHT, schon bei zwei oder drei!"

    Alkohol ist auf dem Braunschweiger Campus kein Tabuthema. Offen geben Studierende der Technischen Universität, der Hochschule für Bildende Künste und der Fachhochschule Ostfalia in Braunschweig Auskunft über ihr Trinkverhalten - auch gegenüber den Psychologen Nora Heine und Christian Hammerschmidt. Im Zuge ihrer Doktorarbeit haben die beiden 2348 Braunschweiger Studierende online und anonym zu Alkoholkonsum und psychischen Problemen befragt. So viele wie noch nie in einer vergleichbaren deutschen Studie. Und mit erstaunlichen Ergebnissen: 19 Prozent der Braunschweiger Studenten - die meisten davon männlich - konsumieren demnach in einem mindestens riskanten Umfang Alkohol, sagt Psychologe Christian Hammerschmidt.

    "Das heißt: riskant, gefährlichen Konsum oder Hochkonsum. Und das ist eben ungefähr doppelt so häufig in diesen Kategorien wie in der Normalbevölkerung und auch doppelt so häufig wie in der altersentsprechenden Vergleichsstichprobe von Nichtstudierenden beispielsweise."

    Die Ergebnisse, vermutet Hammerschmidt, seien kein Braunschweiger Phänomen, sondern ließen sich möglicherweise auf Studierende im ganzen Bundesgebiet übertragen. Aus den Online-Fragebögen, die die Psychologen durch 72 diagnostische, ebenfalls anonyme Interviews validiert haben, geht auch hervor, dass jeder zweite Studierende zu den sogenannten Binge-Trinkern gehört. Bei einer Gelegenheit innerhalb der vergangenen 30 Tage haben die Befragten fünf oder mehr alkoholische Getränke zu sich genommen.

    "Von den 49,4 Prozent waren 14,5 Prozent "Heavy User". "Heavy User" sind die Studierenden, die fünf- oder mehrmals pro Monat Binge-Drinking betreiben, also mehr als jedes Wochenende beispielsweise."

    Doch wo liegen die Gründe für den erhöhten Konsum? Greifen die Studierenden deshalb häufiger als ihre nichtstudierenden Altersgenossen zur Flasche, um steigendem Leistungsdruck oder Stress im Studium zu begegnen? Im Allgemeinen ist es häufig so, dass sich vor allem Depressive in eine Alkoholsucht flüchten. Doch interessanterweise haben Heine und Hammerschmidt auch herausgefunden, dass die Alkoholikerquote unter den Studierenden nicht höher ist als bei der Allgemeinbevölkerung. Und: ausgerechnet die Rauschtrinker leiden offenbar am wenigsten unter Depressionen oder Ängstlichkeit. Auch das geht aus den online gestellten Fragen, zum Beispiel nach den Gründen für Alkoholkonsum, hervor.

    "Die meisten haben geantwortet: Weil's dazugehört, beim Weggehen und so was. Dass es im Endeffekt alles mit Geselligkeit zu tun hat. Nur ganz wenige von den Studenten trinken, um abzuschalten oder so was. Das haben nur ganz wenige angegeben."
    Heine:
    ""Die Vermutung liegt nah, dass sozusagen, wenn der Eintritt ins Berufsleben - das ja auch strukturierter ist als studentisches Leben - dass das einfach aufhört und sich verwächst, sagen wir mal. Weil natürlich auch angenommen werden kann, dass das studentische Leben einfach auch eine andere Alltagsstruktur hat."

    Sagt Hammerschmidts Co-Autorin der Studie Nora Heine. Möglicherweise handele es sich um ein ritualisiertes Verhalten, das nicht unbedingt besorgniserregend sei. Doch die Fragebögen haben noch weitere Ergebnisse zur psychischen Gesundheit der Braunschweiger Studierenden zutage gefördert: 30 Prozent aller Befragten leiden den Antworten zufolge mindestens unter einer psychischen Störung, haben zum Beispiel schlimme Ängste oder Panikstörungen. Und 27 Prozent der Studenten geben körperliche Beschwerden wie Bluthochdruck, Bauch- oder Kopfschmerzen an - in beiden Fällen sind die Zahlen deutlich höher als bei Altersgenossen, die nicht studieren.

    "Unsere Hypothese ist schon, dass ein erhöhter Druck auf diesen Studierenden lastet - im Rahmen dieser Bolognaprozesse, dieser Hochschulreform, die veränderte Studienstruktur - das wäre einfach zu untersuchen, was da Henne ist und was Ei ist."

    Viele Erkenntnisse der Studie, glauben die beiden angehenden Psychotherapeuten, böten Stoff zum Weiterforschen - zum Beispiel, wie sich Alkoholkonsum und Psyche nach Beendigung des Studiums verändern.