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Bedrückende Organisationskraft der NPD in Ostdeutschland

Die Innenminister von Bund und Ländern wollen ihre Informationen über die NPD zusammentragen und dann über ein Verbotsverfahren entscheiden. "Ich glaube, es ist ein Wert an sich, dieser Partei Finanzen und diese Organisationskraft zu entziehen", kommentiert der nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Ralf Jäger im Gespräch mit Peter Kapern | 23.03.2012
    Peter Kapern: Plötzlich vor ein paar Tagen, da schien es, ganz schnell zu gehen. Mehrere Bundesländer kündigten an, ihre V-Leute aus den Spitzengremien der NPD abzuziehen, um nun beherzt ein neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische Partei auf den Weg zu bringen. Doch dann meldeten sich wieder diejenigen zu Wort, die Bedenken und Einwände geltend machen, zum Beispiel Bundestagspräsident Norbert Lammert, der davor warnte, dass ein langwieriges Verbotsverfahren der NPD die Möglichkeit eröffnen würde, sich als Märtyrerpartei zu stilisieren. Gestern setzten sich nun die Innenminister zusammen, um zu beraten, ob und wenn ja wie denn ein Verbotsverfahren vorangebracht werden soll.

    - Am Telefon bei uns ist nun der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger von der SPD. Guten Morgen!

    Ralf Jäger: Guten Morgen, Herr Kapern! Ich grüße Sie.

    Kapern: Herr Jäger, um wie vieles sind wir einem Verbotsverfahren gegen die NPD gestern näher gekommen?

    Jäger: Also, erst mal sind wir einem Ziel näher gekommen. Das Ziel heißt nämlich, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen wollen, die Innenminister der Länder und des Bundes, ernsthaft dieses Verbot zu prüfen - ich will das Ergebnis gar nicht vorwegnehmen, das kann nämlich niemand -, aber jetzt ernsthaft zu prüfen: Reicht das Material, das wir haben, sowohl aus öffentlichen Quellen als auch aus Quellen von Informanten, diese Partei zu verbieten. Und das ist schon ein guter Schritt gewesen.

    Kapern: Wir haben gerade von unserer Korrespondentin gehört, Herr Jäger, dass die Innenminister nun anfangen wollen, Material, Beweise zu sammeln. Das verwundert ein wenig. Haben die Behörden nichts in der Hand?

    Jäger: Es ist schon einiges an Material vorhanden, aber die 16 Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes müssen jetzt natürlich ihr Material zusammentragen, zusammenschieben, gemeinsam schauen, was ist da an Informationen drin enthalten, kann man die aggressiv-kämpferische Haltung, die ja das Verfassungsgericht abverlangt, für ein Verbotsverfahren über dieses Material nachweisen. Und das ist ein Verfahren, das dauert ein wenig.

    Kapern: Nun hat ja Bundesinnenminister Friedrich gestern darauf hingewiesen, dass es im Zuge eines solchen Verbotsverfahrens nötig sein könnte, alle Informationen mit Quellen zu belegen und diese Quellen auch offen zu belegen. Sind Sie der Meinung, dass dies tatsächlich zwingend notwendig sein wird?

    Jäger: Also, erst mal gehen wir da in der Vorgehensweise so heran, dass wir schauen, was gibt es an öffentlich zugänglichem Material – sei es Parteiprogramme, sei es Reden, sei es Artikel, sei es Liedergut, was in dieser NPD alles existiert. Das sollte bewertet werden, ob hier die aggressiv-kämpferische Haltung nachweisbar ist. Und in einem zweiten Schritt daneben Material zu bewerten, das durch Quellen erlangt worden ist. Die Frage, ob das dann vorgelegt wird, und die Frage, ob das dann ausreicht für ein Verbotsverfahren, das können wir erst im Herbst beurteilen.

    Kapern: Aber noch mal nachgefragt, Herr Jäger. Wenn dieses Material, das aus Quellen erlangt worden ist, vorgelegt werden muss, sind Sie dann auch bereit, die Quellen offenzulegen?

    Jäger: Ich würde jetzt gerne so antworten, wie ich gerade bereits geantwortet habe. Das sind Fragen, die zu beantworten sind, wenn sie sich stellen. Diese Frage stellt sich zurzeit noch nicht, weil wir erst einmal schauen wollen, mit dem öffentlich zugänglichen Material, ist damit ein Verbotsverfahren bereits heute begründbar. Ist das nicht der Fall, dann ist es in der Tat eine ernste Frage, ob wir quellenbezogenes Material dem Verfassungsgericht vorlegen, das natürlich dann auch die Quellen und die Informanten dazu genannt haben will. Aber diese Frage, das ist erforderlich, erst im Herbst zu beantworten.

    Kapern: Nun haben ja die Innenminister beschlossen, gleich zum 2. April ihre Quellen in den NPD-Führungsgremien abzuschalten. Die anderen Quellen sollen aber weiter genutzt werden. Glauben Sie, dass das reicht, wenn sich die Ermittlungsbehörden nur zum Teil aus der Partei zurückziehen und weiter Quellen im Fußvolk der Partei offen halten?

    Jäger: Das Verfassungsgericht hat ja auch schon 2003 festgestellt, dass ein Verbotsverfahren durchaus praktikabel ist, auch wenn innerhalb der Partei Quellen verbleiben. Sie dürfen aber nicht in den Führungsgremien sitzen. Ich glaube, auch eine wehrhafte Demokratie braucht Informationen, braucht V-Leute in den Organisationen, die Demokratie bekämpfen wollen. Das ist wichtig zu wissen, was diese Organisationen, die nach außen sich ja ein Biedermann-Image geben, was sie nach innen reden und planen. Von daher ist es wichtig, weiterhin solche Informationen zu bekommen. Aber wir müssen eine gewisse Staatsferne garantieren, dass nämlich während eines solchen Verbotsverfahrens ausgeschlossen ist, dass Quellen in der Führungsebene berichten können beispielsweise über Prozessstrategien in einem Verbotsverfahren. Das, hat der Bundesminister auch noch mal deutlich gesagt, wäre einem rechtsstaatlichen fairen Prozess zuwider oder einem rechtsstaatlichen Verfahren zuwider. Und daran, an dieser Maßgabe des Verfassungsgerichts, wollen wir uns natürlich halten.

    Kapern: Nun gibt es ja, Herr Jäger, viele Politiker, die mehr als skeptisch sind, was ein neues Verbotsverfahren angeht. Zum Beispiel Bundestagspräsident Norbert Lammert, der hat gesagt, ein NPD-Verbot könnte sich als Pyrrhussieg erweisen, denn Verfassungsgerichte können ja nur Parteien verbieten und nicht Menschen und Gesinnungen. Wäre ein Verbot letztlich mit dem Ziel, den Rechtsextremismus zu bekämpfen, nutzlos?

    Jäger: Also ich glaube, dass klar ist, wenn wir die NPD verboten bekommen, bekommen wir nicht das braune Gedankengut aus den Hirnen dieser Menschen. Aber wer sich schon mal in Ostdeutschland bewegt hat – das habe ich bereits getan im Rahmen von Landtagswahlkämpfen. Ich finde die Situation dort bedrückend, wenn man erkennt, welche Organisationskraft, welche Finanzkraft die NPD inzwischen erlangt hat, wie sehr sie das Straßenbild zum Teil in Ostdeutschland dominiert. Man muss sich mal vorstellen: Wer in Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt lebt, anders denkt, anders aussieht, sich fühlen muss bei einer solchen Organisationskraft der NPD. Also, ich glaube, es ist ein Wert an sich, dieser Partei Finanzen und diese Organisationskraft zu entziehen. Deshalb lohnt es sich, ein solches Verbotsverfahren anzustreben.

    Kapern: Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Jäger, danke für das Gespräch und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Jäger: Ihnen auch, Herr Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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