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Beethoven: "Meeresstille und Glückliche Fahrt"
Klangfarben der Stille

Weihnachten 1815 war Ludwig van Beethoven schon fast vollständig ertaubt. Dennoch stand er am 25. Dezember 1815 am Dirigentenpult der Wiener Hofburg, um die Uraufführung seiner Kantate "Meeresstille und Glückliche Fahrt" zu leiten. Darin übersetzt der Komponist die Stille und deren Grauen in Musik.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 25.12.2015
    Porträt des Komponisten Ludwig van Beethoven
    "Schreyt, denn ich bin Taub": Beethovens Kantate "Meerestille und Glückliche Fahrt" verwandelt Leben in Kunst (picture-alliance / dpa)
    Wie ein feiner Nachhauch der Stillen Nacht wirken die ersten Takte dieses Musikstücks, das am 25. Dezember 1815 zum ersten Mal erklang. Im überfüllten Redoutensaal der Wiener Hofburg stand Ludwig van Beethoven am Dirigentenpult. Die Kantate "Meeresstille und Glückliche Fahrt" hatte er selbst komponiert, nach zwei gleichnamigen Goethe-Gedichten. Meeresstille heißt das erste:
    Tiefe Stille herrscht im Wasser,
    Ohne Regung ruht das Meer
    Und bekümmert sieht der Schiffer
    Glatte Fläche ringsumher.
    Keine Luft von keiner Seite!
    Todesstille fürchterlich!
    In der ungeheuern Weite
    Reget keine Welle sich.
    Vom frommen Glück bis zur rettungslosen Einsamkeit
    Beethoven, so hat man gesagt, habe hier die Stille in Musik übersetzt. Und das stimmt. Es sind alle Farben der Stille, die wir hören – vom frommen Glück über die innigste Trauer bis zur rettungslosen Einsamkeit: Dem damals schon fast vollständig ertaubten Tonsetzer war das Grauen der Stille allzu vertraut. Inmitten der Gesellschaft überfiel es ihn "...mit einem feurigen Lebhaften Temperamente gebohren ... muste ich früh mich absondern ..., und doch war's mir ... nicht möglich den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreyt, denn ich bin Taub ..."
    Ein spannungsreiches Verhältnis verband Goethe und Beethoven
    Die Tragik des tauben Komponisten ist nur eine der vielen Dimensionen dieses Musikstücks. Auch das spannungsreiche, von Schweigen und Missverständnis durchsetzte persönliche Verhältnis zwischen dem Musik- und dem Dichtergenie schimmert hindurch. Beethoven und Goethe empfanden wechselseitig Bewunderung, blieben einander aber immer ein Rätsel. Was die beiden einte, war die Leidenschaft, mit der sie Leben in Kunst verwandelten, was ihrer Kunst bis heute Leben verleiht.
    Auch Goethe hatte den Schrecken der Stille am eigenen Leibe erfahren. Während seiner Italienreise im Mai 1787 geriet sein Schiff vor Capri in eine Flaute und eben diese schöne Meeresstille wurde lebensbedrohlich. Denn das mangels Wind manövrierunfähige Segelschiff kam in "eine Strömung, die sich um die Insel bewegte und uns durch einen sonderbaren Wellenschlag so langsam als unwiderstehlich nach dem schroffen Felsen hinzog, wo uns auch nicht ein Fußbreit Vorsprung oder Bucht zur Rettung gegeben war."
    Lebensbedrohliche Meeresstille
    Auf dem Schiff erhob sich ein Aufruhr der Passagiere, Männer wollten dem Kapitän an die Kehle, Frauen warfen sich schreiend und betend zu Boden, ein viel zu kleines Rettungsboot wurde in höchster Not zu Wasser gelassen - als sich endlich, endlich ein lauer Wind erhob.
    Die Nebel zerreißen,
    Der Himmel ist helle,
    Und Äolus löset
    Das ängstliche Band.
    Es säuseln die Winde,
    Es rührt sich der Schiffer.
    Geschwinde! Geschwinde!
    Es teilt sich die Welle,
    Es naht sich die Ferne;
    Schon seh ich das Land.
    Triumphlied der Lebensfreude
    Einige Jahre nach der Uraufführung schickte Beethoven die Partitur der Kantate mit einer Widmung an den über siebzigjährigen Goethe. Der antwortete nicht. Er war krank. Das Stück hat er nie gehört. Wie schade! Er wäre gewiss begeistert gewesen von diesem vielschichtigen Doppelkunstwerk, in dem sich Musik und Wort aus der Stille des Anfangs zu einem wahren Triumphlied der Lebensfreude aufschwingen.