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Beethovenpreis für Aeham Ahmad
Der Pianist aus dem Flüchtlingslager

Aeham Ahmad wuchs in einem Lager für palästinensische Flüchtlinge in Damaskus auf und studierte Musik in Homs und Damaskus. Terror und Krieg in seiner Heimat versuchte er musikalisch die Stirn zu bieten: Er stellte sein Klavier auf die zerstörten Straßen und spielte für die restlich verbliebenen Menschen. Im DLF erklärte er, was ihn dazu antrieb.

Von Kersten Knipp | 20.12.2015
    Der syrisch-palästinensische Pianist Aeham Ahmad spielt in Yarmouk, einem Flüchtlingslager in Damaskus
    Der syrisch-palästinensische Pianist Aeham Ahmad spielt in Yarmouk, einem Flüchtlingslager in Damaskus (Niraz Saied)
    In Syrien geht das fünfte Kriegsjahr zu Ende. Aeham Ahmad, der Pianist aus dem Flüchtlingslager Yarmouk in der Hauptstadt Damaskus, setzt sich im Sommer dieses Jahres ans Klavier und spielt gegen die Zerstörung an. Ein Versuch der Ablenkung, der die dramatischen Umstände wenigstens für kurze Zeit vergessen lassen sollte.
    "In Yarmouk gab es Märkte; es gab zwei Krankenhäuser, es gab Sportstätten sowie Kultur- und Kunstzentren. Dann stürmten bewaffnete Oppositionskräfte das Lager, worauf das Lager von Kampfflugzeugen des Regimes beschossen wurde. Bis heute gibt es nichts mehr, was für ein normales Leben nötig ist. In dieser Situation war das Klavierspiel eine Möglichkeit, auf Distanz zu diesen deprimierenden Umständen zu gehen. Ich spielte mit Freunden oder allein. Dann kamen Kinder hinzu, die ihre Lieder sangen – oft traurige Lieder, die vom Leiden der palästinensischen und syrischen Bevölkerung handeln."
    "Durch diesen Krieg sterben vor allem Zivilisten"
    Der Krieg hat nicht nur die physische Landschaft zerstört, sondern auch die psychische. Im Westen schaut man vor allem auf die Terroristen des "Islamischen Staats". Doch so zynisch und brutal sie sind. Die Syrer, sagt Aeham Ahmad, sehen sich noch einer anderen Bedrohung gegenüber.
    "Bei den Bewaffneten handelt es sich um Leute, die nicht sonderlich gebildet sind. Von Anfang an wollten die Syrer eine Befreiung mit friedlichen Mitteln. Aber die hat sich leider in eine gewalttätige verwandelt. Sämtliche Ideale, für die die Leute auf die Straße gingen, sind darüber verloren gegangen. Das Lager Yarmouk wurde von der Gewalt erobert – sowohl derjenigen, die vom "Islamischen Staat" ausgeht, als auch jener, die das Assad-Regime verantwortet. Es greift uns mit seinen Flugzeugen und mit Fassbomben an, die aus den Hubschraubern geworfen werden. Inzwischen greifen auch die Russen an. Ich weiß nicht, welches Recht sie dazu haben. Durch diesen Krieg sterben vor allem Zivilisten – hauptsächlich Frauen und Kinder."
    Deutschland erlebt derweil eine Fluchtbewegung nie gekannten Ausmaßes. Eine Million Flüchtlinge sind binnen kurzer Zeit in das Land gekommen. Von vielen weiß man wenig bis nichts. Seit den Terrorschlägen von Paris ist die Sorge gestiegen, es könnten sich Terroristen unter ihnen befinden. Sie ist unbegründet, meint Aeham Ahmad.
    "Auch mich haben die Deutschen gerettet"
    "Als ich nach Deutschland kam, habe ich sehr viele Flüchtlinge getroffen. Alle diese Menschen sind vor dem Terror geflohen. Es sind Menschen, die in Syrien gegen den Terror auf die Straße gegangen sind. Doch gegen den Terror konnten sie sich nicht durchsetzen. Sie sind nach Deutschland gekommen, um ein sicheres und friedliches Leben zu führen. Und ich sage es in aller Aufrichtigkeit: Ich habe keinen einzigen Extremisten unter den Flüchtlingen gesehen. Unter den Flüchtlingen sind Muslime ebenso wie Christen. Ich sage es noch einmal: Von den Flüchtlingen geht keine Gefahr aus."
    Eine Millionen Flüchtlinge. Kann die Integration gelingen? Sie kann, meint Ahmad. Die Syrer jedenfalls wissen, was Deutschland für sie getan hat.
    "Man muss Deutschland wegen der Flüchtlinge dankbar sein. Es gibt viele Staaten, die viel näher an Syrien liegen als Deutschland. Aber alle kümmern sie sich nicht so um die syrischen Flüchtlinge, wie Deutschland das tut. Angela Merkel und die Deutschen nehmen die Flüchtlinge in aller Herzlichkeit bei sich auf. Auch der Bundespräsident nimmt Anteil an ihrem Schicksal. All dies ist absolut ungewöhnlich. Und es ist großartig. Auch mich haben die Deutschen gerettet. Hätten sie nicht getan, was sie getan haben, wäre ich in Yarmouk gestorben – so wie mein Piano dort verbrannt wurde."
    Willkommenskultur in Syrien
    Soeben hat die UN-Konferenz in New York eine Resolution an den UN-Sicherheitsrat verabschiedet. Das könnte den Durchbruch zum Frieden bringen. Doch noch wird in Syrien gekämpft - aus leicht nachvollziehbaren Gründen, meint Ahmad.
    "Alle Staaten, die in Syrien kämpfen, verfolgen ihre eigenen Interessen – das gilt für alle, ohne Ausnahme. In diesem Krieg geht es um Erdöl. Erst wenn man sich hier einigt, wird dieser Krieg aufhören. Es könnte alles ganz anders sein. Denn Syrien hat im Laufe seiner Geschichte selbst sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Flüchtlinge kamen aus Palästina, aus dem Irak, aus vielen Ländern der arabischen Welt – aus allen Ländern, in denen es Krieg gab. Die Leute kamen nach Syrien, um zu leben – genauso, wie sie jetzt nach Deutschland kommen."