Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Beethovens Violinkonzert
"Es wird eng im CD-Regal"

Gleich zu Beginn der Feierlichkeiten anlässlich des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven sind zwei neue Aufnahmen mit seinen Violinkonzert erschienen. Eine mit Geigerin Lena Neudauer, die andere mit Leonidas Kavakos als Solist. Zum Glück sprechen sie ganz unterschiedliche Geschmäcke an.

Am Mikrofon: Johannes Jansen | 19.01.2020
    Ludwig van Beethoven wurde am 17.12.1770 in Bonn getauft.
    Ludwig van Beethovens Violinkonzert wurde 1806 in Wien uraufgeführt (picture-alliance / dpa / dpa)
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 1. Satz
    Es wird eng im CD-Regal, Abteilung B wie Beethoven. Zahlreiche Neuerscheinungen beanspruchen ihren Platz und kämpfen um jeden Zentimeter. In der Ecke mit den Violinkonzerten ist es besonders eng. Neben Milstein, Menuhin und Mutter, um nur einige derjenigen unter "M" herauszugreifen, welcher Geiger und welche Geigerin würde da nicht gerne stehen?
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 1. Satz
    Zur ersten Orientierung bietet sich ein Vergleich der Spieldauern an. Das mag ein ziemlich oberflächliches Kriterium sein, weil sich das "richtige" Tempo nicht in Sekunden zählen lässt und die Kadenzen, deren Auswahl und Gestaltung ganz im Ermessen der Solisten steht, unterschiedlich lang ausfallen. Annähernd vier Minuten Differenz beim ersten und mehr als zwei beim zweiten Satz sind allerdings ein Indiz für klare Auffassungsunterschiede zwischen Lena Neudauer mit der Cappella Aquileia unter der Leitung von Marcus Bosch auf der einen Seite und Leonidas Kavakos mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf der anderen. Erst im Schlussrondo nähern sie sich einander an und folgen wie die meisten anderen einem Tempo, das unterm Strich eine Satzdauer von etwas über zehn Minuten ergibt. Historisch betrachtet ist es ein Wert, der deutlich über dem liegt, was man aufgrund der von Beethovens Schüler Carl Czerny überlieferten Metronomangaben als empfohlene Richtgeschwindigkeit betrachten kann. Große Geiger wie Nathan Milstein haben sich daran orientiert, gehörten jedoch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon zu einer Minderheit. Inzwischen mehren sich wieder Produktionen mit etwas rascheren Tempi, aus denen Aufgeschlossenheit gegenüber aufführungspraktischen Erkenntnissen spricht. Die Aufnahme mit Lena Neudauer scheint es zu bestätigen.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 1. Satz
    Originalklang ohne Originalinstrumente
    Bis zu ihrem 17. Lebensjahr, sagt die Erste Preisträgerin des Leopold-Mozart-Violinwettbewerbs 1999, habe sie mit all den Tonleitern und Arpeggien im Beethoven-Violinkonzert wenig anfangen können. Erst Thomas Zehetmair und das Orchester des 18. Jahrhunderts unter der Leitung von Frans Brüggen hätten ihr die Augen geöffnet. Die Zusammenarbeit mit der Cappella Aquileia, dem Hausorchester der Opernfestspiele Heidenheim in Ostwürttemberg, geht in dieselbe Richtung, auch wenn sich die gemeinsame Klangvorstellung letztlich in einem "Originalklang ohne Originalinstrumente" realisiert. Marcus Bosch und sein Orchester verstehen sich auf kammermusikalische Balance und Transparenz, prägnante Phrasierung geht vor Schmelzklang. Das trifft sich mit dem Ansatz der Solistin und ihrem schlanken, leicht spröden Ton. In allem herrscht eine gewisse Lakonie. Auch im Mittelsatz, der etwas mehr Süße durchaus vertragen könnte.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 2. Satz
    Während der erste Satz streckenweise einer Sinfonie mit obligater Violine ähnelt und in den gleichförmigen Spielfiguren von der Solistin vor allem Disziplin verlangt, treten die spezifisch geigerischen Elemente im Larghetto freier zutage, umso mehr, als die Tutti-Streicher nach dem Willen des Komponisten fast bis zum Schluss mit Dämpfer spielen. Die Gesamtdramaturgie verändert sich vom Monumentalen ins eher Spielerische und Konversationshafte. Lena Neudauer unterstreicht dies durch eine leicht und sprechend gestaltete Kadenz vor dem Übergang ins Rondo-Finale. Das Orchester greift den Gesprächston bereitwillig auf und beteiligt sich engagiert. Um die Kommunikation auf musikalisch hohem Niveau zu halten, bedarf es besonderer Umsicht des Dirigenten, zumal die Solistin gern mit geschlossenen Augen spielt. Doch es gelingt sehr schön, auf eine zugleich lockere und elegante Weise.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 3. Satz
    Im Vergleich mit dieser Interpretation breitet das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dem griechischen Ausnahmegeiger Leonidas Kavakos einen arg flauschigen und leider etwas monochromen Klangteppich aus. Das wäre dem Dirigenten anzulasten. Dummerweise ist es Kavakos selbst. Das Orchester mit der Geige in der Hand zu leiten, entspricht den Gepflogenheiten der Beethoven-Zeit, birgt aber die Gefahr, dass Orchesterroutine sich gegen Gestaltungswillen durchsetzt, weil der Leiter gerade keine Hand frei hat. Und so zeigt diese Produktion, dass man sich auch durch einen "informierten" Zugang des schweren Gepäcks der spätromantischen Tradition nicht ohne Weiteres entledigt.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 1. Satz
    Kadenz mit Extra-Gemeinheiten
    Die Möglichkeit, das Tempo zu bestimmen, lässt sich Kavakos nicht nehmen, und so wie er seine Solostimme mit zahlreichen Binnenrubati ausstattet, leitet er auch im Orchester manches Bremsmanöver ein, nicht allerdings aus Bequemlichkeit, sondern zur Intensivierung des Ausdrucks. Viele haben es vorgemacht, speziell im g-Moll-Abschnitt des ersten Satzes, der auch bei Marcus Bosch und Lena Neudauer mit einer merklichen Tempodrosselung einhergeht. Indes gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies auch vom Komponisten intendiert war, sagt der britische Musikforscher und Beethoven-Herausgeber Clive Brown. Wer sich an Kavakos’ Tempo-Auffassung stört, wird sich vielleicht wundern, wie genau er die dynamischen Vorschriften beachtet. Das hervorstechendste Merkmal seiner Interpretation ist freilich der perfekt fokussierte, strahlend schöne Geigenton. Scheinbar unangestrengt bewältigt Kavakos die nachgerade unverschämt schwierige Kadenz des ersten Satzes. Sie folgt derjenigen, die Beethoven selbst für die Klavierfassung des Konzerts geschaffen hat und vor rund fünfzig Jahren von Wolfgang Schneiderhan auf die Geige rückübertragen wurde. Auch Lena Neudauer nutzt diese Fassung und garniert sie mit einigen zusätzlichen Anleihen bei Beethoven und eigenen Ideen, nicht jedoch in dem Umfang, wie es Kavakos tut. Sein Feuerwerk funkelt nicht nur eine Minute länger, sondern ist mit Extra-Gemeinheiten gespickt, die beweisen, dass er auch mehr als drei Jahrzehnte nach seinem Sieg beim Sibelius-Wettbewerb keinen Vergleich mit Jüngeren zu scheuen braucht.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur, op. 61, 1. Satz
    Es sind Momente wie diese, die Kavakos’ Neuaufnahme in den Rang des Spektakulären heben, der zusätzlicher Kaufanreize eigentlich nicht bedarf. Dennoch haben Kavakos und seine Plattenfirma dem Violinkonzert noch eine zweite CD mit musikalisch weniger bedeutenden Beethoven-Kammermusikwerken wie dem Septett op. 20 und einigen Volkslied-Variationen beigegeben, deren Sinn sich hier nicht recht erschließt, zumal es auch geigerisch keine sonderlich anspruchsvollen Stücke sind. Lena Neudauer hingegen hat sich als Zuwaage für die beiden Violinromanzen op. 40 und op. 50 entschieden, die gewissermaßen als natürliche Mitgift des Violinkonzerts zu betrachten und ohne Probleme auf einer CD mit ihm unterzubringen sind. Hier ein kurzer Ausschnitt aus der Romanze in F-Dur op. 50, fast noch ein Jugendwerk mit mozartischem Einschlag.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinromanze F-Dur, op. 50
    Das war ein Ausschnitt aus der Violinromanze F-Dur op. 50 von Ludwig van Beethoven, gespielt von Lena Neudauer und der Cappella Aquileia unter der Leitung von Marcus Bosch. Zuvor zu hören waren sie in einer beim Label cpo erschienenen Neuaufnahme des Violinkonzerts D-Dur op. 61. Ebenfalls vorgestellt wurde eine bei Sony realisierte zweite Aufnahme desselben Konzerts mit dem Geiger Leonidas Kavakos und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
    Ludwig van Beethoven
    Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 61
    Septett Es-Dur, op. 20
    Sechs variierte Themen für Klavier und Violine, op. 105
    Zehn variierte Themen für Klavier und Violine, op. 107

    Leonidas Kavakos, Violine und Leitung
    Enrico Pace, Klavier
    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

    Sony Classical (LC 06868) EAN: 19075929882 - 2CD
    Ludwig van Beethoven
    Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 61
    Romanze für Violine und Orchester Nr. 1 G-Dur, op. 40
    Romanze für Violine und Orchester Nr. 2 F-Dur, op. 50

    Lena Neudauer, Violine
    Cappella Aquileia
    Marcus Bosch, Leitung

    cpo (LC 08492) EAN: 76120375592