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Befragung Snowdens in Deutschland "wäre eine unnötige schwere Belastung"

Er könne nur warnen vor dem Versuch, Edward Snowden nach Deutschland zu bringen, sagt Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Er betont außerdem, es sei nur schwer zu kontrollieren, ob die USA eine Vereinbarung gegen Ausspähungen auch einhielten.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.11.2013
    Christoph Heinemann: Internationale Konferenzen werden mit einigem Vorlauf geplant. Je hochrangiger die Teilnehmer, desto langfristiger müssen die Termine abgeglichen werden. Insofern hatte die Münchner Sicherheitskonferenz eine verblüffend gute Nase, oder einfach nur Glück, als sie für diese Woche zu einer Diskussion zum transatlantischen Verhältnis nach Washington einlud. Eingeladen war zum Beispiel Senator John McCain.

    Die NSA-Affäre liefert reichlich Gesprächsstoff. Gestern gewährte uns Joseph Wippl, der ehemalige CIA-Chef in Deutschland, in dieser Sendung Einblicke in das Denken von Geheimdienstleuten. Je mehr ich die Positionen auch eines Partners verstehe, sagte er, desto besser kann ich mit der Partnerschaft umgehen. Für die Medien ist Aufklärung etwas Feindliches, dabei ist das überhaupt nicht so. Die Positionen anderer zu verstehen, ist wirklich wichtig, und die Aufklärung spielt dabei eine große Rolle.

    Unterdessen hat US-Außenminister John Kerry in der "Bild"-Zeitung Spannungen im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA eingeräumt, gleichzeitig aber betont, Themen wie das transatlantische Freihandelsabkommen oder der Umgang mit Syrien und dem Iran seien zu wichtig, um nicht gemeinsam voranzuschreiten. – Wolfgang Ischinger ist der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, er war deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika, und ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, ob sich irgendeiner seiner US-amerikanischen Gesprächspartner in Washington reuig gezeigt und guten Vorsatz gelobt hat.

    Wolfgang Ischinger: Der Grat des Verständnisses in Washington über den Grat der Aufregung und der Empörung und ja des Entsetzens in Europa und insbesondere auch in Deutschland, der Grat des Verständnisses wächst, und ich denke, unsere Veranstaltung kann einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass man in USA besser versteht, wie groß das Ausmaß der Empörung ist und warum das so groß ist. Ich denke, hier werden jetzt die Fundamente dafür gelegt, dass Vertrauensbildung wieder stattfinden kann und dass man hoffentlich bald wieder zu den eigentlichen transatlantischen Fragen zurückkehren kann, wenn diese Vertrauenskrise dann hoffentlich gerade gezogen ist.

    Heinemann: Nun hat NSA-Chef Alexander in diesen Tagen gesagt, es sei doch eigentlich ganz praktisch, wenn man vor gemeinsamen Verhandlungen wisse, was die Kanzlerin so denke. Das klingt jetzt weder nach schlechtem Gewissen noch nach einem Gesinnungswandel. Ist der Ärger in Deutschland vielleicht doch noch nicht überall angekommen in den USA?

    "Nachrichtendienstliche Aufklärung ist wichtig"
    Ischinger: Man darf natürlich von dem Chef einer solchen nachrichtendienstlichen Organisation jetzt nicht erwarten, dass er sich öffentlich Asche aufs Haupt streut. Hier verteidigt jeder sozusagen seine Mitarbeiter, seine Strategien und so weiter. Was politisch zählt ist, was die amerikanische Regierung, was Präsident Obama, was das Weiße Haus entscheidet, und ich denke, dort hat man bereits entschieden, dass solche Aktivitäten, wie anscheinend geschehen, betreffend Handy der Kanzlerin und anderer, aufgehört haben. Ich glaube also, über den Punkt sind wir schon raus.

    Die Frage ist jetzt nur: wie können wir sicherstellen, dass wir hier künftig ein gemeinsames Verständnis von dem haben, was geht und was nicht geht. Wir wollen und wir dürfen auch nicht auf deutscher, auf europäischer Seite das Kind mit dem Bade ausschütten. Nachrichtendienstliche Aufklärung ist wichtig, nicht nur wegen der Terrorismusbekämpfung, auch wegen der Bekämpfung organisierter Kriminalität und vieler anderer Themen. Man wird nicht erwarten können, dass plötzlich alles, was mit nachrichtendienstlicher Informationsgewinnung zu tun hat, beendet wird. Im Gegenteil! Aber wir brauchen Regeln, und der Ruf nach klareren Regeln, nicht nur im Umgang zwischen transatlantischen Partnern, sondern überhaupt weltweit, der Ruf ist stark geworden. Ich denke, da wird sich eine Basis auch für gemeinsames transatlantisches Handeln ergeben.

    Heinemann: Stichwort Regeln. Washington und Berlin planen ja jetzt ein gemeinsames Abkommen. Nun ist das Vertrauen futsch, Kontrolle wäre besser. Kann man denn eine wirkungsvolle Kontrolle einbauen?

    Ischinger: Na ja, das wird nur in engen Grenzen möglich sein. Wir sollten die Erwartungen an ein solches Abkommen nicht überfrachten. Ein solches Abkommen wird auch aus den Gründen, die Sie gerade nennen, der Schwierigkeit der Verifizierung, ein solches Abkommen wird nicht alle Fragen aus der Welt schaffen, aber es kann ein Element der Vertrauensbildung sein, und deswegen, glaube ich, ist man auf dem richtigen Weg. Ganz wichtig, wenn ich das noch mal wiederholen darf, ist es, in Amerika die Einsicht zu verstärken, dass das in Europa wirklich wie eine Bombe eingeschlagen hat. Das haben bis vor wenigen Tagen viele in Washington, auch in der amerikanischen Regierung noch nicht voll verstanden gehabt. Ich glaube, die Message, die Botschaft ist jetzt angekommen, und das ist wichtig, um künftig gemeinsam Schadensbegrenzung zu betreiben und Vertrauen, das verloren gegangen ist, wieder aufzubauen.

    Heinemann: Stichwort Vertrauensbildung. Herr Ischinger, die Bundesregierung hat vor Wochen Auskunft erbeten, einen Fragenkatalog nach Washington geschickt, der bis heute nicht beantwortet ist. Was sagt denn das aus über den Stellenwert der Bundesregierung und die Art und Weise, wie Washington dieses Problem ernst nimmt oder eben nicht?

    Ischinger: Na ja, ich weiß nicht, ob es viel aussagt über den Stellenwert der Bundesrepublik Deutschland. Aber es sagt eine Menge aus über die bürokratische Schwerfälligkeit des amerikanischen Regierungsapparats, und der ist besonders umständlich und schwerfällig und noch schwerfälliger geworden in der Folge von 9/11. Man hat in den USA noch neue Ebenen der geheimdienstlichen Arbeit und Koordinierung eingezogen nach 9/11, weil ja damals der Vorwurf laut geworden ist, dass die amerikanischen Dienste und Polizeiinstitutionen nicht hinreichend miteinander vernetzt seien.

    Das ist eine riesige, schwer handhabbare Organisation geworden, die offensichtlich auch zu wenig Überwachung erfahren hat vonseiten des Parlaments. Daran wird jetzt aber auch gearbeitet. Ich habe heute Früh von Senator McCain, wie ja allen bekannt ist, eine der bedeutsameren Stimmen im amerikanischen Senat, gehört, dass er dezidiert der Auffassung ist, hier muss mehr Überwachung her, bessere Überwachung her. Da ist ein guter Ansatzpunkt auch für transatlantische Gespräche zwischen unseren Parlamentariern und den amerikanischen Senatoren und Kongressabgeordneten.

    Heinemann: Hat Präsident Obama seinen Geheimdienst nicht im Griff?

    "Wir sind doch eines der transparentesten Länder der Welt"
    Ischinger: Zumindest, wenn ich amerikanische Stimmen wie Senator McCain zitieren darf, zumindest war die Kontrolle nicht ausreichend. Offensichtlich hat das Risikomanagement versagt. Irgendjemand hätte ja sagen müssen, bei solchen Aktivitäten, wie sie da offensichtlich stattgefunden haben, Abhören von Handys von politischen Führungspersönlichkeiten, da ist doch der Schaden, der Vertrauensschaden, wenn es rauskommt, hundertmal größer als der mögliche Ertrag einer solchen Aktion. Wer wissen will, was in der Bundesregierung gesagt, getan, gedacht wird, der ist doch relativ gut unterrichtet, wenn er schlicht und ergreifend ein paar gute deutsche Zeitungen einschließlich "Spiegel" liest. Dann weiß er doch, was im Bundeskanzleramt, was in der Koalitionsregierung gedacht wird. Wir sind doch eines der transparentesten Länder der Welt. Da abzuhören, ist dann ja eher lächerlich.

    Heinemann: Außerdem kann man ja den Deutschlandfunk hören, ohne abhören zu müssen, sondern zuhören. - Herr Ischinger, die Bundesregierung will Edward Snowden nicht in der deutschen, sondern in der russischen Hauptstadt befragen oder befragen lassen. Wieso besteht aus US-Sicht eigentlich da ein so großer Unterschied, ob er jetzt in Moskau oder in Berlin befragt wird?

    Ischinger: Ich glaube, wir müssen sehen, dass aus amerikanischer Sicht – zurecht oder zu Unrecht lasse ich jetzt mal dahingestellt – Edward Snowden eines schweren Verbrechens, der Verletzung amerikanischer Strafgesetze, bezichtigt wird. Er wird steckbrieflich sozusagen gesucht. Und wenn jetzt der Eindruck entstünde, in USA, dass wir mit diesem steckbrieflich gesuchten Mann – so würde es dann ja in Amerika wirken – gemeinsames Spiel treiben, wäre das wahrscheinlich eine ebenso große Ohrfeige, eine ebenso große Belastung des transatlantischen Verhältnisses in der anderen Richtung dann, als es die Abhörvorgänge der letzten Jahre gewesen sind. Ich kann nur warnen vor dem Versuch oder vor dem Gedanken, Herrn Snowden egal in welcher Form nach Deutschland zu bringen, wenn es möglich ist, ihn in Moskau zu befragen. Das hat dann sicherlich einen etwas anderen Charakter. Aber ihn nach Deutschland zu holen, das wäre aus meiner Sicht den transatlantischen Beziehungen nicht nur nicht zuträglich, das wäre eine unnötige schwere Belastung.

    Heinemann: Und diese Beziehungen kennen Sie wie wenige andere nur. Sie waren während der deutsch-amerikanischen Krise auch im Vorfeld des Irakkrieges deutscher Botschafter in den USA. Wie tief reicht das Zerwürfnis diesmal?

    Ischinger: Wissen Sie, die Lehre, meine Lehre, das, was ich gelernt habe aus den Vorgängen von 2002, 2003, also dem Zerwürfnis wegen des Irakkriegs, ist folgende: Das eine ist die Ursache der Krise oder des Zerwürfnisses. Mindestens genauso wichtig wie die Beseitigung der Ursachen ist aber die Art und Weise, wie man eine solche aufgetriebene Krise behandelt, also der Prozess der Schadensbegrenzung und der wieder Vertrauensbildung. Deswegen plädiere ich mit großem Nachdruck dafür, dass man jetzt nicht die Hände in den Schoß legt und mal wartet, dass der Sturm sich irgendwie legt, sondern ich plädiere dafür, dass man mit großer Energie auf beiden Seiten, insbesondere auf amerikanischer Seite, sich der Schadensbegrenzung zuwendet, dass man Schritte ergreift, die in Deutschland, in Europa als konstruktive Schritte zur besseren Zusammenarbeit und zur Beendigung solcher Aktivitäten gewertet werden können. Dann können wir zu Business as usual hoffentlich peu à peu wieder zurückkehren.

    Heinemann: Botschafter Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Demonstranten in Berlin fordern Asyl für Edward Snowden in Deutschland
    Es wäre eine Ohrfeige für die USA, wenn Snowden nach Deutschland geholt würde, sagt Ischinger. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)