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Befreiung der Frauen?

1968 - gibt es gegenwärtig eine größere Diskussionsplattform? Dagegen ist doch die politische Mitte, um die heute die Parteien rangeln, ein langweiliger Nebenschauplatz. 1968 - und 40 Jahre später verstehen alle etwas anderes darunter. Da geht es den Frauen nicht anders als den Männern.

Von Claudia Henne | 01.03.2008
    Für die Pädagogin Katharina Rutschky, Jahrgang 1941, haben damals die vorne doziert und sich wenig darum geschert, wer sie überhaupt versteht: Seminarmarxisten. Für die taz-Redakteurin Ines Kappert, Jahrgang 1970, ist 68 ein Phänomen, das von heute aus konstruiert wird. Die Autorin Katja Kullmann, ebenfalls Jahrgang 1970, kennt den Mythos 68 als "Oma und Opa erzählen vom Krieg". Trotzdem bestritt am Schluss niemand, wie wichtig der politische Aufbruch für die Republik gewesen ist. Und natürlich auch die Frauenbefreiung, die es, und diese These wurde gestern Abend gewagt, ohne die 68er Bewegung gar nicht gegeben hätte. Richtig ist, dass die drei Tomaten, die im Herbst 68 den SDS-Chefideologen Krahl trafen, den Berliner "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen" über Nacht berühmt machten und Helke Sanders Rede über "das Private, das politisch ist" die Diskursherrschaft der Männer empfindlich störte.

    Zeitzeugin für den Aufstand der Frauen war gestern Abend einzig und allein Katharina Rutschky. Aber mal ehrlich, wer denkt bei 68 an Rutschky? Sie versteht sich nicht als 68erin und stellte das auch gleich zu Beginn der Diskussion klar. Sie ließe sich nicht eingemeinden. Damals nicht und heute auch nicht. Katharina Rutschky ist überzeugte Individualistin und Feindin von Alice Schwarzer oder besser gesagt, die Schwarzer ist die Feindin der Rutschky - sie gebe ihr nicht einmal die Hand! Das ist eigentlich unwichtig, aber gehört auch zur Geschlechterfrage oder? Denn an der mangelnden Solidarität der Frauen untereinander hat sich bis heute wenig geändert. Wo ist die funktionierende "Kusinenwirtschaft", die Frauen auf dem Weg nach oben hilft? Da sind sie immer noch selten anzutreffen. Und Frauen verdienen immer noch weniger als Männer. Genau diese Haltung brachte Katharina Rutschky immer wieder auf die Palme und schon immer gegen Alice Schwarzer auf. Es ginge nur um Defizite und gegen Männer. Es sei den Frauen, einschließlich Schwarzer, nie um die weibliche Freiheit gegangen. Bei den Jüngeren stieß sie damit auf Unverständnis. Es sei einfach statistisch erwiesen, dass Frauen schlechter wegkommen. Da wurde es richtig laut im Publikum! Natürlich fiel irgendwann der Name Simone de Beauvoir. Auch Judith Butler blieb nicht unerwähnt, gender mainstreaming, alles wurde angesprochen - eine diffuse Diskussion. Wie immer oder?

    Selbst die Frage, ob es überhaupt noch eine Frauenbewegung gibt, blieb umstritten. Die Sängerin Christiane Rösinger brachte den Zwiespalt auf den Punkt: einerseits müsste jede Frau ab einem bestimmten Alter mit IQ, Feministin sein; andererseits ist die "Frauenbewegung wie eine alte, peinliche Tante, die man mitschleppt und der man irgendwie dankbar ist". Wer erinnert sich gerne an lila Latzhosen oder unsägliche Märchenprinzen? Haupt- und Nebenwiderspruch haben ausgedient. Im Nahkampf der individuellen Interessen ist es schwer geworden, miteinander gegen, ja gegen wen eigentlich? zu kämpfen. Das war und da hat Katharina Rutschky recht, 1968 anders, man könnte fast sagen einfacher. Damals war überall Aufbruch zu spüren, man war jung und wollte die Welt aus den Angeln heben. Frauen ...und Männer.