Freitag, 19. April 2024

Archiv


Befreiungsschlag fürs Smartphone

Als vor vier Jahren Android auf den Markt kam, wurde vor allem der freie Umgang gelobt, den das mobile Betriebssystem gestatte. Doch so hoch hängt der Freiheitsgedanke im Hause Google wohl doch nicht. Die europäische Free Software Foundation jedenfalls will Android-Nutzern nun die Hoheit über ihr mobiles Endgerät wiederbeschaffen.

Von Sven Töniges | 21.07.2012
    Mein Android? Befreien? Aber das ist doch schon frei. So mag mancher Android-Nutzer denken, hört er von der "Free Your Android"-Kampagne. Schließlich bestand Googles genialer Marketingcoup bei der Vorstellung von Android vor vier Jahren eben genau darin: Man brachte ein freies mobiles Betriebssystem mit quelloffener Software auf den Smartphone-Markt – der bis dato beherrscht wurde von einem besonders hermetischen – und unter Freunden freier Software besonders verachteten Betriebssystem. Anders als Apple holte sich Google mit seinem Android die Entwickler ins Boot – und konnte so auch deren Schwarmintelligenz abschöpfen. Warum also nun eine Kampagne namens "Free Your Android", wie sie die FSFE, die "Free Software-Foundation Europe" und der Datenschützerverein FoeBuD ausrufen? Tatsächlich seien ja die Türen schon ziemlich offen, die man einrennen will, sagt FSFE-Aktivist Torsten Grote, der Initiator der Kampagne:

    ""Das Problem ist, dass Android noch nicht vollkommen frei ist, und das größte Problem sind die Apps, die man sich über den Marktplatz installieren kann. Die meisten Apps, die in dem Google-Marktplatz sind, sind keine freie Software, dass heißt, die Nutzer dieser Apps können sie nicht für jeden Zweck benutzen, sie können sie nicht studieren, sie können nicht schauen, wie sie funktionieren, sie können sie nicht einfach an andere Leute weitergeben. Und sie können auch nicht die Funktionsweise dieser Apps verbessern."

    Womit die vier Kriterien genannt sind, die Free-Software-Papst Richard Stallman von "freier" freier Software verlangt: Nämlich die Freiheiten, die Software zu verwenden, zu studieren, zu verbreiten und zu verbessern. Das Android-System kommt diesen Kriterien weitgehend nach.

    Doch den Free-Software-Aktivisten reicht das nicht. Immerhin gehe es bei Smartphones um hochgezüchtete Minicomputer, die wir ständig mit uns herum schleppen – mitsamt einer Unmenge sensibler Daten. Und Anfang März etwa enthüllte die "New York Times", dass bestimmte Android-Apps – vom Nutzer völlig unbemerkt – alle auf dem Handy gespeicherten Fotos auf externe Server hochladen können. Gerade bei den schlauen Telefonen stellt sich die Frage, wer am Ende den Hut auf hat: Der Hersteller oder der Nutzer. Wenig überraschend, dass sich Free-Your-Android-Aktivist Grote da für die Nutzer entscheidet:

    "Uns geht es darum, dass Nutzer von Android-Telefonen die volle Kontrolle über ihre Telefone haben, und dass transparent ist, was diese Telefone tun. Und dafür ist freie Software unerlässlich. Und unser Ziel ist, dass auf einem Telefon hundert Prozent freie Software läuft, das ist das Endziel, das es zu erreichen gilt. Weil dann machen die Telefone genau das, was die Nutzer wollen. Und wenn sie es nicht tun, dann ist es ganz einfach, irgendwo jemanden auf der Welt zu finden, der die Funktionsweise so ändert, dass sie tun, was die Nutzer wollen."

    100 Prozent freie Software – Software, die nicht nur frei ist wie Freibier, sondern frei, wie in "Frei-heit". Ein hehres Ziel. Bei wie viel Prozent man derzeit stehe, sei schwer auszumachen, sagt Torsten Grote.
    "Na ja, das ist schwer zu sagen. Bei einem Android, das man heute kauft, sind in der Regel die ganzen Hardware-Treiber unfrei. Das heißt, es ist schwierig für die Entwickler-Gemeinde Upgrades zu machen, neue Versionen zu machen, oder auch Fehler in der Ansteuerung der Hardware zu verhindern. Das andere sind unfreie Erweiterungen, die die Hersteller hinzufügen, um sich von den Konkurrenten abzugrenzen, die sind in der Regel unfrei. Und dann gibt es noch die Apps, um den Marktplatz zu bedienen, um die Maps zu benutzen – um die E-Mails zu benutzen. Also das sind alles sehr kritische Funktionen, wo der Nutzer nicht weiß, was passiert und wo der Nutzer auch keinen Einfluss auf die Funktion hat."

    In einem ersten Schritt wollen Grote und seine Mitstreiter erst einmal die Autoren aller wesentlichen bis jetzt unfreien Apps anschreiben, und um Unterstützung bitten. Ein Wiki soll die Informationen bündeln. Und man wird die User mit Anleitungen versorgen, wie man sein Android rooten und eine alternative Android-Version installieren kann, oder einen von Google unabhängigen Android-Markt:

    "In diesem Markt sind alle Programme freie Software und es ist sogar beschrieben, ob diese Programme Werbung enthalten, ob sie Daten auf Server hochladen, ob diese Programme dich vielleicht tracken, ob sie Google Analytics benutzen. Und man kann sicher sein, dass es eine Entwicklergemeinschaft gibt, die sich diese Apps anguckt und weiterentwickelt."

    Bei Google zeigt man sich gelassen gegenüber der Android-Freiheitsbewegung. Seit man ein Betriebssystem unter Open-Source-Lizenz angeboten habe, sei man sich vieler Freunde in der Entwicklergemeinde gewiss, sagt Stefan Keuchel, Pressesprecher von Google-Deutschland gegenüber "Computer und Kommunikation". Android sei bereits so offen wie möglich, so Keuchel, so offen, wie ein Betriebssystem sein kann, hinter der dem neben Google nachgeordnet noch 50 weitere Firmen stünden. Und ein wenig scheint man sich bei Google doch zu wundern, dass ausgerechnet Android zum Ziel der Kampagne wurde – und nicht ein anderes populäres Smartphone-Betriebssystem.

    Doch geht es den Software-Freiheitskämpfern ja auch nicht um die Abschaffung des Systems, sondern um seine Reform. Aktivist Torsten Grote weiß bereits nach ersten Rückmeldungen von Anbietern von Android-Apps, dass nicht immer böse Interessen lauern, wenn etwa der Quellcode nicht offen liegt. Manchmal sind die Gründe trivialer:

    "Eine Reaktion ist, dass sich die Leute für ihren Quelltext schämen. Also, sie haben Angst, dass andere Leute sich das angucken könnten und sagen könnten, hm, das könnte man aber besser machen."