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Begegnung auf Augenhöhe

Unter dem Titel Young Europe haben sich acht europäische Bühnen zusammengeschlossen, um gemeinsam Theater für junge Zuschauer zu produzieren. Die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit sind auf dem Young-Europe-Festival in Berlin zu sehen.

Von Oliver Kranz |
    In einem dunklen Lagerraum sprühen auf einmal Funken. Kobolde mit abstehenden Haaren und dunkel geschminkten Augen tanzen zwischen aufgestapelten Kisten hin und her. Sie machen sich einen Spaß daraus, den herbeigeeilten Wachmann zu erschrecken. Das Stück des zypriotischen Staatstheaters THOC greift den Mythos der Kali-Kantzar auf:

    "Das sind Wesen, die unter der Erdoberfläche leben und nach Weihnachten, das ist ein alter Mythos in Zypern, kommen sie an die Oberfläche und verbreiten Chaos."

    Die zypriotische Produktion ist ein Musical für die ganze Familie – einerseits ein Märchen, andererseits eine Parabel auf Zustände, die sich abrupt ändern. Insofern hat das Stück auch mit der derzeitigen Situation auf der Mittelmeerinsel zu tun. Die Zyprioten haben im Rahmen des Young-Europe-Projekts mit einem Theater im ungarischen Miskolc kooperiert.

    "Bei dem Projekt geht es darum, dass immer in Kooperation zwischen zwei Häusern aus zwei verschiedenen Ländern neue Stücke für ein junges Publikum entwickelt werden","

    erklärt Friedemann Windhorst vom Theater an der Parkaue in Berlin, das in diesem Jahr Gastgeber des Young-Europe-Festivals ist. Vor ein paar Jahren hat das Haus selbst mit dem THOC-Theater aus Zypern kooperiert.

    ""Dass man sagt: Da gibt es die finanzschwachen Länder und Deutschland als starkes Land, das merkt man in der Zusammenarbeit eher weniger. Man begegnet sich wirklich auf Augenhöhe und spricht. Gerade mit den Kollegen auf Zypern habe ich viel gesprochen: Wie geht es denen da unten, wie sieht der Alltag aus? Man kriegt andere Einblicke."

    Und das ist ein gewollter Nebeneffekt des Festivals. Theaterleute aus den beteiligten Ländern sollen sich kennenlernen, im besten Fall über dauerhafte Arbeitspartnerschaften.
    Beim aktuellen Young-Europe-Projekt hat das Theater an der Parkaue mit dem Kaupunginteatteri Helsinki kooperiert. Enstanden ist das Stück "15.15", in dem es um Leute geht, die vergeblich auf den Bus warten…

    "Natürlich ist die Frage: Woher kommt das? Warum kommt der Bus nicht? Darüber kann man viel spekulieren. Aber natürlich lernen sich die Figuren auch kennen und es gibt unterschiedliche Einflüsse, wie das Chaos auf deren Leben wirkt."

    Camilla Schlie hat das Projekt als Theaterpädagogin betreut. Das Stück wurde von deutschen und finnischen Jugendlichen geschrieben. Die Autoren kannten sich untereinander nicht und mussten ihre Texte anonym in englischer Sprache einreichen. Das Material wurde gesichtet und am Ende mit Hilfe professioneller Theatermacher zu einem Stück zusammengebaut. Zum deutschen Autorenteam gehört die 22-jährige Ronja Lindemann.

    "Wir haben uns ja während des gesamten Schreibens nie kennengelernt. Das hat das auch ein bisschen kompliziert gemacht, wenn man darüber gesprochen hat: In welche Richtung soll es ganz grob gehen? Man hat auch immer gerätselt: Wer kommt woher?"

    Umso größer das Aha-Erlebnis, als sich die Jugendlichen am Ende doch trafen. Das Stück wurde zweimal inszeniert – einmal in Helsinki und einmal in Berlin – und zu beiden Premieren wurden die jungen Autoren eingeladen. Zwischen Deutschen und Finnen gab es keine Verständigungsprobleme.

    "Ich habe das Gefühl, man kommt leicht mit denen ins Gespräch. Ein unkompliziertes Volk. Mein alter Mitbewohner war auch Finne. Ich hatte immer schon ein gutes Verhältnis zu denen gehabt."

    Europäische Gedanken muss man den jugendlichen Young-Europe-Teilnehmern nicht erst einimpfen. Die Erfahrung hat auch Friedemann Windhorst vom Theater an der Parkaue gemacht.

    "Man fühlt sich per se als Europäer oder international vernetzt. Es ist nicht mehr kompliziert, mit den Zyprioten in Kontakt zu treten. Da kann man jederzeit hinfliegen, telefonieren, es gibt Facebook. Die Jugendlichen sind sowieso weltweit vernetzt."

    Doch das Young-Europe-Festival liefert neue Anknüpfungspunkte. Theater bietet andere Erfahrungen als eine Facebook-Freundschaft. Beim Festival in Berlin kann nach jeder Vorstellung mit den Theatermachern diskutiert werden.