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Begehren und sterben

Das Bemerkenswerte am Stuttgarter Schönberg-Janacek-Doppelabend ist der Ton. Der französische Dirigent Sylvain Cambreling hat sich an seiner künftigen Wirkungsstätte vorgestellt und aufs Beste eingeführt. Unter seinen Händen entwickelt das Staatsorchester Delikatesse.

Von Frieder Reininghaus | 13.03.2012
    Dunkel bleibt der Rede Sinn. Aber er wird Musik mit höchster expressiver Ambition. "Die glückliche Hand" will "mit den Mitteln der Bühne" musizieren. Sie ist Chiffre, kunstreligiöses Programm und Psychogramm - das heißt Echolot einer äußerst erregten, vielleicht verstörten, jedenfalls extrem kunstwilligen Seele.

    Sechs Männer und sechs Frauen vor dem silbern glitzernden, dann mit dem Wechsel der Klangfarben unterschiedlich beleuchteten Vorhang muten im Stuttgarter Staatstheater an wie fernöstliche Mönche. Aus ihrem Raunen und Zischeln heraus und mit dem raumgreifenden Tasten des Orchesters stellt der auch als Textautor tätig gewordene Komponist Arnold Schönberg sich und seinen Hörern einige Fragen: Bist du blind? Kannst Du nicht endlich Ruhe finden? Musst du dich immer wieder hineinstürzen? Willst du nicht endlich glauben?

    Die Sentenzen eröffnen weite Assoziationsfelder. Nichts weniger als eine konkrete Geschichte wollte Schönberg "erzählen". Es ging mit diesem Dramolett um Annäherung an Unaussprechliches - um "reine" künstlerische Idee und Hybris. Ja, in den Jahren 1910 bis 1913 ging es um Grenzüberschreitung!

    Die äußere Bühnenhandlung der "Glücklichen Hand" ist minimal. Da gibt es den Mann, der eine Frau über die Maßen bewundernd besingt und verbal begehrt. Hinter ihm steht das begehrte Objekt - schweigend. Jossi Wieler und sein dramaturgischer Partner Sergio Morabito haben hinter den exklamierenden Bariton eine Riesenstatue gestellt, die an antike Göttinnenbilder erinnert. Sie wird flachgelegt und vom Mann besprungen. Begrapscht werden die Riesenbrüste der aufblasbaren Puppe. Das ist alles ziemlich eindeutig.

    Das Bemerkenswerte am Stuttgarter Schönberg-Janáček-Doppelabend ist und bleibt der Ton. Sylvain Cambreling hat sich an seiner künftigen Wirkungsstätte vorgestellt und aufs Beste eingeführt. Die Transparenz, die Tiefenstafflung, die Auffächerung der Klangfarben, überhaupt die Delikatesse, die das Staatsorchester unter seinen Händen herausprozessiert, empfiehlt die Leistung für mehrere Nennungen bei den zum Saisonschluss fällig werdenden Evaluierungen. Auch die Kraft der Rhetorik im Zuge der mährischen Künstler- und Familientragödie, das feine Flirren und kräftige Konturenzeichnen - alles wärmstens zu empfehlen!

    Der Bühnenbildner Bert Neumann verknüpfte die beiden Kunst- und Künstlerstücke mit deutlichsten bildmotivischen Parallelen wie einer grellen Sonne oder einem zweimal auftauchenden fernöstlichen Paravent. Ansonsten führt "Osud" in andere Gefilde als "Die glückliche Hand": Die Kostüme weisen auf die Endphase Kakaniens hin. Da machen die munter parlierenden Bürger ihre Spaziergänge und treffen mit dem egomanischen Komponisten, der soeben ein Requiem auf gestorbene Liebe schrieb, und Míla, die den Anlass gab, zwei Menschen neuerlich aufeinander, die nicht zusammenpassen und die doch nicht von einander loskommen, bis dass der Tod sie scheidet.

    Míla muss mit ihrer Mutter in die Tiefe, als diese sich vom Balkon stürzt, im letzten Moment zurückgezerrt werden soll und doch die Tochter mitreißt. Der Komponist sucht auch dies in einem Werk psychophysischmusikalisch zu verarbeiten. Jossi Wielers Inszenierung zeigt das alles respektvoll redlich. John Graham-Hill und Rebecca von Lipinski statten das Liebespaar mit suggestiv-intensiven Klangreden aus, die aneinander vorbeigehen wie es eben Dialoge in den Familienhöllen aus dem Geiste Strindbergs tun.

    Und Cambreling lässt das Orchester dazu parlieren und grummeln und erheitern oder grämen, aber auch blitzen und donnern, dass es eine wahre Pracht ist im Elend der permanenten Beziehungskrise.