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Begehrtes Gütesiegel

Fast jeden Tag liest oder hört man Meldungen über Entlassungen - Arbeitsplätze werden abgebaut, obwohl es den betreffenden Unternehmen oft gar nicht so schlecht geht. Dass man auch andere Wege beschreiten kann, darauf weist die EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, mit dem Arbeitsplatzsiegel "Arbeit Plus" hin. Diese Auszeichnung geht an Unternehmen, die sich auf innovative Weise um die Rettung von Arbeitsplätzen bemühen oder neue Wege beschreiten, um neue Arbeits- oder Ausbildungsplätze zu schaffen. Heute haben in Berlin elf Firmen das Arbeitsplatzsiegel "Arbeit Plus" erhalten.

Von Michael Hollenbach | 09.11.2005
    Ausgezeichnet wurde unter anderen die Berliner Volksbank, die größte Volksbank Deutschlands, die auch nach der Fusion mit der Grundkreditbank auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtete. Im Gegensatz zu anderen Großbanken, die in den vergangenen Jahren radikal Mitarbeiter entlassen haben, hat das Berliner Geldinstitut versucht, die Sanierung voranzutreiben und gleichzeitig die Beschäftigung zu sichern, sagt Personalchefin Ursula Kriete:

    " Inhaltlich haben wir kollektive Arbeitszeitverkürzungen geregelt, das heißt, die Mitarbeiter haben alle weniger gearbeitet und dafür auch weniger Geld bekommen, unsere außertariflichen Angestellten bis hin zum Vorstand haben einen entsprechenden Gehaltsverzicht geleistet."

    Außerdem erhalten die Mitarbeiter in den kommenden Jahren keine Tariferhöhungen, dafür aber eine Arbeitsplatzgarantie. Das kirchliche Arbeitsplatzsiegel "Arbeit Plus" bekamen die Berliner auch für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen, für familienfördernde Maßnahmen und die relativ hohe Frauenquote im Management:

    " Im Branchenvergleich sucht es seinesgleichen. Das heißt, wir haben auf unterer Ebene 50 Prozent, auf der mittleren noch 40 und selbst auf der Ebene unterhalb des Vorstandes noch 13. Das gibt es kaum in anderen Banken."

    Der geistige Vater des Arbeitsplatzsiegels "Arbeit Plus" ist Rainer Meusel, Mitglied des Kirchenparlaments der Evangelische Kirche in Deutschland und früher selbst Arbeitsdirektor bei einem größeren Unternehmen. Firmen, die sich um die Auszeichnung bewerben, werden von dem Marburger Institut für Wirtschafts- und Sozialethik durchleuchtet. Dabei werden 30 Kriterien untersucht, sagt Rainer Meusel:

    " Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es werden nicht Arbeitsplätze nur gezählt, sondern es wird geprüft, wie sind die Arbeitsverhältnisse, was macht das Unternehmen auf Flexibilisierung der Arbeitszeit, stellt das Unternehmen Langzeitarbeitslose ein, wie werden familienverträgliche Arbeitszeitmodelle hergestellt, wie ist die Schwerbehindertenquote, wie ist die Ausbildungsquote."

    Rund die Hälfte der Unternehmen, die sich um das Arbeitsplatzsiegel bewerben und für den Ethik-Check bis zu 7500 Euro bezahlen, erfüllt die Kriterien nicht und geht leer aus. Für die anderen ist es eine gute PR-Maßnahme:

    " Unsere Beobachtung ist, dass die Unternehmen das Siegel gern als Aushängeschild nehmen, um ihre vorbildliche und langfristige Personalpolitik zu verlautbaren. Es gibt deshalb auch Unternehmen wie die DBK mit mehreren tausend Mitarbeitern, die sich wiederholt darum bewerben, weil sie zum Beispiel in Stellenanzeigen mit dem Arbeitsplatzsiegel der Kirche werben."

    Die Personalchefin der Berliner Volksbank betont, dass die Auszeichnung auch für die Mitarbeiter wichtig sei:

    " Weil es auch dokumentiert, dass wir in den schwierigen Jahren, die wir jetzt hinter uns haben, wo wir Fusionsfolgen und die gesamte Sanierungsfrage überstanden haben, das sind eher Zeiten, in denen sich Unternehmen eher nicht mit solchen Dingen schmücken können, dass wir selbst in so einer schwierigen Phase so etwas bekommen haben, das finde ich schon eine sensationell gute Tat. "

    Ebenfalls gelobt wurde das Energieunternehmen Bewag; vor allem für intensive Fort- und Weiterbildung. So nahmen im vergangenen Jahr von den rund 4300 Mitarbeitern 3.500 an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Über zwei Millionen Euro habe das Unternehmen dafür ausgegeben, sagt die Leiterin der Personalentwicklung Beate Kleinow:

    " Weil wir wissen, dass die Anforderungen an die Qualifizierungen mittel- und langfristig steigen, dass es für uns auch eine Überlebensnotwendigkeit ist, heute schon zu schauen, dass wir die Kompetenzen und Qualifikationen für morgen sicher an Bord haben."

    Doch das Siegel ""Arbeit Plus"" ist eher eine Momentaufnahme: So hat die Bewag in den vergangenen zehn Jahren mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze abgebaut. Dass sie sich dennoch mit dem Siegel schmücken darf, hängt mit der Personalentwicklung der vergangenen drei Jahre zusammen, sagt Rainer Meusel:

    " Wir untersuchen einen Zeitraum retrospektiv drei Jahre, wenn in diesen Jahren etwas passiert, was kontraproduktiv ist, dann kann das Unternehmen nicht ausgezeichnet werden, aber wir können nicht die gesamte Vergangenheit eines Unternehmens aufrollen. "

    Und es gehe mehr um die Zukunft des jeweiligen Unternehmens, mit welcher Perspektive man an die Rettung oder den Ausbau von Arbeitsplätzen gehe.

    Rainer Meusel, der Erfinder des Arbeitsplatzsiegel, ist aber auch ein wenig enttäuscht. Denn Vorbild für das evangelische Gütezeichen sind die USA:
    Dort werden in etlichen Büchern Firmen aufgelistet, die sich sozial, ökologisch oder kulturell engagieren. Listen, die den Unternehmen wirtschaftlich weh tun können, denn viele Verbraucher treffen ihre Kaufentscheidung auch nach moralisch-ethischen Auswahlkriterien:

    " Ich glaube, dass diese Erwartungen, die ich ursprünglich hatte, dass die in Deutschland nicht eingetreten sind. Erstaunlicherweise hat das in Deutschland nicht die Resonanz gefunden. Die Deutschen sind mit solchen Auszeichnungen als Verbraucher noch nicht zu gewinnen."