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Beginn der Marktwirtschaft chinesischer Prägung

Ende der 70er-Jahre begannen Chinas Machthaber mit wirtschaftlichen Reformen. 20 Jahre später änderten sie am 29. März 1993 dann ihre Verfassung: Aus einer Planwirtschaft wurde eine sozialistische Marktwirtschaft.

Von Caspar Dohmen | 29.03.2013
    "Der Kapitalismus ist ein giftiges Gas mit duftendem Geruch",

    warnte Mao Tse-tung, von 1943 bis 1976 in verschiedenen Funktionen der führende Politiker in der Volksrepublik China. Die kommunistischen Machthaber setzten auf eine Planwirtschaft mit rigiden Staatseingriffen, die teils katastrophale Folgen für die Menschen hatten. Als Generalsekretär der Kommunistischen Partei war auch Deng Xiaoping maßgeblich beteiligt, beispielsweise am sogenannten "Großen Sprung nach vorn": Von 1958 bis 1961 zwangen die roten Kader die Bauern zum Verlassen ihrer Felder und zum Einschmelzen ihrer Schaufeln und Hacken. So wollten sie die Industrialisierung des Landes vorantreiben. Die Ernte sank, schätzungsweise 30 Millionen Chinesen verhungerten. Nach dem Tod Maos und dem Intermezzo durch das als "Viererbande" bezeichnete linksradikale Quartett um Maos Ehefrau Jiang Qing wurde Deng der neue starke Mann in China.

    Er trat ein schwieriges Erbe an: Staat und Wirtschaft waren zerrüttet und viele Chinesen hungerten. Der ideologische Hardliner wandelte sich zum pragmatischen Reformer. Er leitete eine wirtschaftliche Wende in China ein, die das Land und die Welt verändern sollte. Deng damals:

    "Unsere Modernisierung muss auf Chinas Gegebenheiten aufbauen. Wir müssen von der Erfahrung anderer Nationen lernen. Aber der Erfolg anderer kann nicht einfach kopiert werden. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Wir müssen einen Sozialismus chinesischer Prägung erreichen."

    China blieb grundsätzlich sozialistisch, aber es öffnete sich für Ideen von außen, auch für kapitalistische. Bauern durften wieder privat Land beackern. Die Machthaber duldeten nun Privatwirtschaft und erlaubten ausländische Investitionen.

    Die Frage des richtigen Wirtschaftskurses blieb aber strittig in der kommunistischen Einheitspartei. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 sah es zeitweise sogar so aus, als ob die Kritiker der wirtschaftlichen Öffnung die Oberhand gewinnen könnten. Drei Jahre dauerte die Phase der Unsicherheit und innerparteilichen Kämpfe. Dann unternahm Deng 1992 eine Reise in den Süden Chinas, die an ähnliche Reisen der früheren Kaiser erinnern sollte und daraus ihre Symbolkraft zog. Im Süden hatten Dengs wirtschaftliche Reformen begonnen, hier genoss der Politiker besonders großen Rückhalt in der Bevölkerung. Er nutzte das Umfeld und trug einige Thesen zum Kapitalismus vor, den er umdefinierte.

    "Denke nicht, dass Planwirtschaft sozialistisch und Marktwirtschaft kapitalistisch ist. Beide sind nur Maßnahmen. Der Markt kann auch dem Sozialismus dienen."

    Nach dieser Lesart war die Marktwirtschaft kein Produkt des Kapitalismus mehr, sondern ein Mittel zum Zweck. Die Menschen glaubten Deng. Auch die Kommunistische Partei stellte sich hinter seine Sichtweise der Dinge. Sie diskutierte und billigte noch im selben Jahr auf dem XIV. Parteitag Dengs Vorhaben für den Aufbau einer sozialistischen Marktwirtschaft, umzusetzen bis zum Ende des Jahrhunderts.

    Schlüsselmaßnahmen waren die Trennung von Regierung und Geschäftsführung der Staatsbetriebe sowie der Plan, eine flächendeckende Sozialversicherung aufzubauen. Die entsprechende Verfassungsänderung erfolgte am 29. März 1993. An dem Tag ersetzten die Abgeordneten den Begriff Planwirtschaft durch sozialistische Marktwirtschaft und die Formulierung "vom Staat betriebene Unternehmen" änderten sie in "Unternehmen im Eigentum des Staates". Die Beschlüsse lösten einen Wachstumsschub aus.

    "Einige müssen zuerst reich werden",

    hatte Deng Mitte der 80er-Jahre gesagt und gleichzeitig betont:

    "Unsere Politik wird nicht zur Polarisierung führen, zu einer Situation, wo die Reichen reicher und die Armen ärmer werden."

    Was für ein Irrtum. Der Wohlstand in China ist extrem ungleich verteilt und die Schere zwischen Reichen und Armen öffnet sich weiter. Die geplante Sozialversicherung für alle Menschen gibt es bis heute nicht. Die Chinesen genießen als Konsumenten große Freiheiten, aber nicht als Bürger. Auf die wirtschaftliche folgte keine politische Liberalisierung. Und die Parteiführung ist längst auch nicht mehr bereit, die gesamte Wirtschaft zu privatisieren. Einige Industriezweige wie Rüstungsindustrie, Energieerzeugung, Öl und Petrochemie und Telekommunikation sollen erklärtermaßen unter der absoluten Kontrolle des Staates bleiben.