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Behindertensport
Mehr Fertigkeiten als Wayne Gretzky

Bei der Sledge-Hockey-WM in Buffalo gilt das gastgebende Team aus den USA als Favorit. Der Sport hatte 1994 seine Premiere und ist sozusagen das Eishockey des Behindertensports.

Von Heiko Oldörp | 25.04.2015
    Zwei Eishockeyschläger liegen an einem Puck
    Zwei Eishockeyschläger liegen an einem Puck (picture-alliance / dpa - Marco Kohlmeyer)
    Jeff Sauer steht an der Bande der Eisfläche im Harborcenter von Buffalo. Der Trainer der US-Sledge-Hockey-Nationalmannschaft zeichnet mit einem dicken Filzstift die nächsten Spielzüge auf. Sein Blick geht dabei immer wieder nach unten, denn die Spieler stehen nicht, sondern sitzen auf ihren Schlitten. Einige von ihnen haben zwei Beine, andere nur eins – und dann gibt es auch welche, die gar keine mehr haben, oder nie welche hatten.
    Josh Pauls beispielsweise kam ohne Schienbeine zur Welt. Als er zehn Monate alt war, wurden ihm beide Beine amputiert. Wenn seine Mitmenschen ihn auf seinen Prothesen sehen, sagt Pauls, werde er schon mal gefragt, ob es hart gewesen sei, so gehen zu lernen. Seine Antwort ist immer gleich: "Keine Ahnung, ich kenne es nicht anders."
    "When I learned to walk, I learned to walk in prosthetics. People ask me all the time: Is it hard? I go, I don't know. This is the only thing I've ever been used to."
    Pauls ist 22 Jahre alt, Stürmer und gehörte schon 2010 und 2014 zum Team, das bei den Paralympics in Vancouver und Sotschi Gold gewann. Er ist einer der Schnellsten in der Mannschaft. Wenn der Blondschopf die Metalzacken an den Enden seiner beiden Schläger kräftig ins Eis drückt und sich wuchtig abstößt, erreicht er eine Geschwindigkeit von fast 50 km/h. Und wenn es dann zum Crash an der Bande kommt, zucken so manche der Zuschauer schon mal zusammen.
    Obwohl die Spieler von Manager Dan Brennan gehandicapt sind, hindert dies sie nicht daran, ihren Sport leidenschaftlich und körperbetont auszuüben.
    "Wir sind eine Mischung von Körperbehinderungen, haben Spieler, die mit Handicaps geboren wurden, andere, die Unfälle hatten und wir haben auch vier Soldaten, die ihre Beine in Afghanistan oder im Irak verloren haben."
    Einer dieser ehemaligen Soldaten ist Josh Sweeney. Er war 2009 als Scharfschütze in Afghanistan im Einsatz, als er auf einen Sprengsatz trat. Sweeny erlitt schwere Verletzungen an Beinen, Händen und Armen. Er blutete so stark, dass er immer wieder Gefahr lief, das Bewusstsein zu verlieren. Da die beiden entsandten Rettungswagen auf Minen auffuhren, dauerte es insgesamt drei Stunden, bis Sweeney in ein Krankenhaus transportiert werden konnte, wo ihm beide Beine komplett amputiert wurden. Der 27-Jährige hatte bereits vor dem Unfall Eishockey gespielt – und deshalb war Sled-Hockey, wie der Sport in Amerika genannt wird, anschließend für ihn ein wichtiger Teil auf dem harten Weg zurück ins Leben.
    "Sowas wie diesen Sport habe ich noch nie gesehen. Eine Gruppe von Behinderten gibt einfach alles auf dem Eis, hängt sich körperlich voll rein. Sled Hockey ist auf jeden Fall ein Sport, der sich lohnt und war ein Grund, warum ich wieder gesund und so schnell so unabhängig geworden bin."
    Bei den Paralympics in Sotschi bildete Sweeney zusammen mit zwei anderen ehemaligen Soldaten die erste Angriffsreihe der Amerikaner. Angelehnt an ihre Vergangenheit galten sie nur als "bravo-delta-Linie".
    "The bravo delta line will start for the United States – all military. Josh Sweeney, Rico Roman, Paul Schaus."
    Und es war Sweeney, der im Finale gegen Russland das einzige Tor erzielte. Die USA konnten somit als erste Nation ihre Goldmedaille verteidigen.
    "Here comes Sweeney, he's alone and he scores. The giveaway and the US puts it in. Bravo delta lightning up the score board."
    Bei einer Trainingseinheit schaute vor nicht allzu langer Zeit David Backes vorbei. Der Stürmer ist der Kapitän der St. Louis Blues aus der Profiliga NHL und war für die USA bei den Winterspielen in Vancouver und Sotschi auf dem Eis. Backes ist es gewohnt, dass Menschen zu ihm aufschauen, ihn bewundern. Beim Besuch der Sled Hockey-Nationalmannschaft jedoch war es genau andersrum.
    "Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich ihre Geschichten höre und dann sehe, mit welcher Einstellung sie trotzdem dabei sind und immer lachen. Das ist eine großartige Lehre für uns alle. Sie haben jetzt zweimal Gold bei Paralympics gewonnen und wollen dennoch immer besser werden. Das ist fantastisch."
    Die ersten beiden US-Gegner bei der WM in Buffalo heißen Russland und Deutschland. Welchen Stellenwert Sled Hockey in Amerika mittlerweile ist, zeigt die Tatsache, dass einige WM-Spiele live im Fernsehen übertragen werden. Die Erwartungen der Gastgeber sind hoch – doch Können und Fähigkeiten des US-Teams sind es ebenso. Für einen letzten Push sorgte Trainer Jeff Sauer auf der Pressekonferenz. Er sage seinen Spielern, dass sie mehr Fertigkeiten hätten als Wayne Gretzky, so Sauer. Schließlich haben sie zwei Stöcker in den Händen und können somit links und rechts schießen.
    "I tell these guys they have better skills than Wayne Gretzky does. Because they can shoot both ways, they can shoot with both hands."