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Behinderung im TV
"Nichts über uns ohne uns"

Das Magazin "Zeig mir deine Welt" oder die Serie "Dr. Klein": Im deutschen Fernsehen existiert eine Reihe von Formaten, in denen Menschen mit Behinderung eine Rolle spielen. Gut gemeint, aber ist es auch gut gemacht? Wie viel Behinderung verträgt das deutsche Fernsehen? Darum ging es bei der Tagung "Inklusion im Fernsehen", zu der die Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen Verena Bentele zusammen mit der Grimme-Akademie eingeladen hat.

Von Simone Schlosser | 18.03.2015
    Der Moderator Kai Pflaume mit Sebastian Urbanski, Ottavio Tavormina und Tom Auweiler bei einem Pressetermin zu seinem ARD-TV-Projekt "Zeig mir deine Welt" - ein Leben mit Down Syndrom.
    Der Moderator Kai Pflaume mit Sebastian Urbanski, Ottavio Tavormina und Tom Auweiler bei einem Pressetermin zu seinem ARD-TV-Projekt "Zeig mir deine Welt" (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    "Das Gute, was sich verändert hat, ist das nicht mehr über die Menschen mit Behinderung hinweg gesprochen wird, sondern dass mit ihnen gesprochen wird. Ich habe mir Dokumentationen aus den 70er-Jahren angeschaut. Das war in gewisser Weise sehr von oben herab erzählt. Sehr fürsorglich zwar, aber doch sehr pädagogisch. Heute ist es mehr Dialog."
    Für den Medienkritiker Torsten Körner ist die Inklusion im deutschen Fernsehen auf einem guten Weg. Doch Menschen mit Behinderung, wie der Aktivist Raul Krauthausen, der kleinwüchsig ist und im Rollstuhl sitzt, haben einen anderen Eindruck.
    "Ganz oft ist es noch so, dass nicht behinderte Menschen mit Behinderung spielen, oder Behinderte im Fernsehen oft nur über ihre Behinderung reden und nicht noch über andere Inhalte. Und natürlich auch, und das ist das eigentlich über allem schwebende Meta-Thema, Berührungsängste. Also dass Medienmacher einfach selbst in ihrem Leben kaum Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben, und man dann nicht genau weiß, wie mache ich das jetzt?"
    Auch mal behindert sein
    Im Trend sind sowohl bei den öffentlich-rechtlichen Sendern als auch im Privatfernsehen Formate, in denen die Moderatoren versuchen, sich in die Rolle von Menschen mit Behinderung zu versetzen. Für Raul Krauthausen ein absolutes No-Go:
    "Schwierig finde ich Serien oder Experimente, wie sie oft gemacht werden, wo sich dann ein nicht behinderter Protagonist mal für ein paar Tage oder Stunden in den Rollstuhl setzt, um das mal auszuprobieren und dann die ganze Zeit von diesem Leid spricht. Aber Menschen mit Behinderung, die tagtäglich im Rollstuhl sitzen, die empfinden ganz andere Dinge als Leid. Nämlich, dass sie nicht überall rein kommen, aber nicht, dass sie nicht laufen können."
    Das US-Fernsehen ist schon weiter
    Wer wissen möchte, wie Inklusion im Fernsehen aussehen kann, muss in die USA gehen:
    "Man kann einfach vom US-Fernsehen lernen die Erkenntnis: 'Nothing about us without us.' Also: Nichts über uns ohne uns."
    Ein gelungenes Format ist die Serie "Push Girls": eine Art "Sex and the City" im Rollstuhl.
    "Es geht viel um Schönheit, um Karriere, um Beruf und auch Sexualität natürlich. Aber die Protagonistinnen sitzen alle wirklich auch im Rollstuhl auch als Schauspielerinnen wirklich. Und da geht es dann auch um Themen wie Katheterisierung oder Assistenz, was einen deutschen Programmmacher, glaube ich, erst mal abschrecken würde."
    Auch in den großen US-amerikanischen Erfolgsserien spielen Menschen mit Behinderung eine Rolle: In "Game of Thrones" hat der kleinwüchsige Schauspieler Peter Dinklage eine der Hauptrollen. Und in "Breaking Bad" spielt der an infantiler Zerebralparese erkrankte Schauspieler RJ Mitte den Sohn der Hauptfigur Walter White. Die Stärke dieser Figuren liegt darin, dass die jeweilige Behinderung nicht Gegenstand der Serie ist, meint die Medienpsychologin Ute Ritterfeld:
    "Walter Junior, der ja auch unter einer Behinderung leidet, wird im Grunde da in Bezug auf die Behinderung überhaupt nicht thematisiert. Sondern das ist etwas, das gezeigt wird, das auch in seiner Beschränkung gezeigt wird, man lernt vielleicht etwas darüber, das man vorher nicht gewusst hat. Wie die Menschen leben. Wundert sich vielleicht auch. Aber es ist eine Handlung, die nicht um die Behinderung aufgebaut wird."
    Vom Bildschirm in die Praxis
    Bereits seit mehreren Jahren beschäftigt sich Ute Ritterfeld mit der Frage, welchen gesellschaftlichen Einfluss die Darstellung von Menschen mit Behinderung im Fernsehen hat. Aktuell arbeitet sie an einem Forschungsprojekt über die ZDF-Vorabendserie "Dr. Klein," in der die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch eine erfolgreiche Kinderärztin spielt. Das einzige deutsche Format, das an diesem Tag nicht komplett durchfällt. Ute Ritterfeld:
    "Es war so eine pfiffige Idee, die ein erhebliches Unterhaltungspotenzial verspricht, nämlich die Idee, dass eine kleinwüchsige Frau, leitende Oberärztin, auch noch Familie hat. Also da kommen ja unglaublich viele Unwahrscheinlichkeiten zusammen. Frau ist leitende Oberärztin. Wie oft gibt es das? Hat dann auch noch Kinder. Und ist behindert. Es ist nicht immer alles gelungen, aber es ist viel lustiges dabei, weil man nicht um das Thema Behinderung produziert hat."
    Doch von Inklusion kann im deutschen Fernsehen noch keine Rede sein:
    "Wir sind vielleicht auf dem Weg, wo wir versuchen, zu integrieren und ein Leben auch in der Mitte der Gesellschaft auch möglich zu machen. Aber Inklusion würde bedeuten, wir reden mit Menschen, die keine Arme haben, ohne zu thematisieren, dass sie keine Arme haben."
    Dafür müssen Menschen mit Behinderung in die Programmgestaltung eingebunden werden. Bisher sind sie in den Redaktionen noch in der deutlichen Minderheit. Raul Krauthausen hofft, dass sich das irgendwann ändert:
    "Es geht nicht darum, dass wir die Medien erobern wollen, und dann am Ende alle nur noch Menschen mit Behinderung sind, sondern auch in einer Straßenumfrage berücksichtigt werden, oder vielleicht auch Gelegenheit bekommen, die Nachrichten zu sprechen."