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Bei der Bundeswehrreform "ist nichts stümperhaft vorbereitet"

Hermann Gröhe, CDU-Generalsekretär, verteidigt die Bundeswehrreform als "notwendige Reform, die richtigerweise angestoßen wurde". Er fordert zugleich konkrete Vorschläge dazu, wie man den freiwilligen Dienst attraktiver gestalten könne.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Sabine Adler | 06.03.2011
    Sabine Adler: Herr Gröhe, haben in dieser Woche mit dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg am Ende doch noch Demokratie, Anstand und Werte gesiegt?

    Hermann Gröhe: Nein, das ist eine Kategorie, in der man den bedauerlichen und gleichzeitig zu respektierenden Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg wahrlich nicht fassen sollte. Es sind Fehler gemacht - eingeräumt - worden, daraus die Konsequenz gezogen. Aber es war auch schon beschämend, wie sich mancher zum Moralwächter aufgespielt hat, der besser vor der eigenen Türe kehren sollte. Also, insofern Respekt vor der Entscheidung von Karl-Theodor zu Guttenberg, und gleichzeitig Unverständnis für vieles, was es da an Hatz von Rot-Grün vorher gegeben hat.

    Adler: Nun ist der Verteidigungsminister weg, ein neuer ist bestellt. Den Schaden haben Sie, hat die Union.

    Gröhe: Wir stehen alle in der Situation, dass der Rücktritt Enttäuschungen ausgelöst hat. Enttäuschung hat sicher auch der Vorgang ausgelöst, der zum Rücktritt geführt hat. Aber wenn Sie sehen, in welchem großen Umfang gerade junge Leute durch die Person von zu Guttenberg fasziniert wurden von Politik und jetzt seinen Rückzug bedauern und das in Facebook und anderswo zum Ausdruck bringen, dann sind das Enttäuschungen, und die sind für uns alle eine Aufgabe, jetzt zu arbeiten. Und ich denke, dass die hervorragende Neubesetzung im Kabinett ein guter Auftakt ist, da einfach an dem zu arbeiten, was es aufzuarbeiten gilt, wo Vertrauen zurückgewonnen und Enttäuschungen abgebaut werden müssen.

    Adler: Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende, hält Karl-Theodor zu Guttenberg nach wie vor für einen der genialsten Köpfe, den die Politik derzeit hat. Geht es Ihnen genauso? Sind Sie auch nach wie vor so ein "Fan" von ihm? Haben Sie vielleicht auch bei Facebook für ihn gestimmt?

    Gröhe: Er ist eine herausragende politische Persönlichkeit. Ich selbst nicht in Facebook, aber wenn ich sehe, in welchem Umfang die Freunde unserer ältesten Söhne, die Jugendlichen, die sich sonst kaum für Politik interessieren, durch ihn für Politik interessiert wurden, durch Karl-Theodor zu Guttenberg, dann ist das jemand, der für uns eine ganz wichtige Rolle gespielt hat - weit über sein Ressort hinaus, in diesem Ressort ganz besonders auch. Er hat den Soldatinnen und Soldaten in besonderer Weise das berechtigte Gefühl gegeben, ihr Anwalt in der Heimat zu sein. Er war mit sehr vielen Reisen an ihrer Seite, hat dadurch auch uns hier in der Heimat sozusagen diesen Konflikt nähergebracht, auch die Situation der Soldatinnen und Soldaten. Das bleibt, und insofern habe ich großes Verständnis für die anhaltende Begeisterung bei sehr vielen Menschen.

    Adler: Welche Note würden Sie denn dem Sachpolitiker Guttenberg geben - nachträglich?

    Gröhe: Ich habe ihn als starken Außenpolitiker, erfolgreichen und gradlinigen Wirtschaftsminister und als überaus engagierten und erfolgreichen Verteidigungsminister erlebt, etwa in seiner Bereitschaft, in die CDU-Verbände zu gehen vor dem Bundesparteitag und dort für seine Überzeugung - einer Veränderung der Bundeswehr hin zu einer Freiwilligen- und Berufsarmee - zu werben - im Gespräch, im Dialog mit vielen, die aus guten Gründen ja lange an der Wehrpflicht festgehalten hatten. Also, ich habe allen Anlass, ihm für eine tolle Sacharbeit zu danken.

    Adler: Hat sie das nicht stutzig gemacht, dass da einer kommt und es innerhalb weniger Wochen und Monate gelingt, Grundfeste der CDU auch letzten Endes zu erschüttern - nämlich die Abschaffung der Wehrpflicht, die bislang ja wirklich für Sie nicht ein Tabu-Thema war, aber doch etwas, womit Sie sich schwer getan haben. Und da kommt nun einer und schafft das in wenigen Wochen, das hinweg zu fegen, was schon auch die Werte oder ein Gefüge der Union ausgemacht hat.

    Gröhe: Also die Debatte über die Wehrpflicht war für uns keine leichte. Die hat nicht wenige Wochen gedauert …

    Adler: Es hat gar keine Debatte mehr stattgefunden …

    Gröhe: Nein, das bestreite ich. Es hat eine sehr intensive Debatte gegeben, in jedem unserer Landesverbände hat es separate - übrigens bewusst nicht öffentliche - Debatten gegeben, wo sehr intensiv erörtert wurde. Es hat Vereinigungstreffen mit Hunderten von Teilnehmern zu diesen Themen gegeben. In Wahrheit haben wir die Debatte auch schon bei W 6 und bei den Veränderungen …

    Adler: W 6?

    Gröhe: … die Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate im Rahmen der Koalitionsvereinbarung auch geführt. Es ist wahr, dass vielen von uns das sehr schwergefallen ist. Ich glaube, wo die besondere Fähigkeit von Karl-Theodor zu Guttenberg in dieser Debatte bestanden hat, war, dass er deutlich gemacht hat: Die Veränderung der Wehrform ändert nichts daran, dass äußere Sicherheit ein Markenkern von CDU und CSU bleibt. Es geht um eine bessere Bundeswehr, eine Bundeswehr, die den Herausforderungen, die vor ihr in Gegenwart und Zukunft liegen, besser gewappnet ist. Und es ist kein - sozusagen - Abschied von der Bundeswehr. Und jemand, der mit solcher Leidenschaft für die Bundeswehr streitet, wie Karl-Theodor zu Guttenberg, konnte insofern auch gut erklären, warum es deswegen einer Veränderung der Wehrform bedurfte.

    Adler: Den Anstoß für die Bundeswehrreform, hat Wolfgang Schäuble gegeben mit seinen Sparvorgaben. Und wir erinnern uns, dass es quasi einer Trotzreaktion des Verteidigungsministers entsprungen ist, dass er sagte: Diese Sparvorgaben sind nur einzuhalten, wenn wir von der Wehrpflicht wegkommen hin zur Freiwilligenarmee. Dann ist später nachgeschoben worden die sicherheitspolitische Begründung beziehungsweise die Wehrungerechtigkeit. Das ist eine Genesis, die jetzt verkauft wird als ein Konzept, das es aber nicht war, jedenfalls nicht Guttenbergs Konzept.

    Gröhe: Also ich bestreite Ihre Schilderung, das würde jetzt zu weit führen. Die Aufforderung, die Wehrpflicht zu überdenken, kam nicht von Wolfgang Schäuble, sondern …

    Adler: Nein, die kam nicht von Wolfgang Schäuble, das hab . . .

    Gröhe: Sie haben gesagt, die Idee kam vom Finanzminister …

    Adler: Das war eine Trotzreaktion des Verteidigungsministers auf die Sparvorgabe.

    Gröhe: Es gab und gibt die Notwendigkeit des ehrgeizigen Sparens in allen Bereichen. Darauf machte der Bundesfinanzminister, unterstützt von den Koalitionsfraktionen und -parteien aufmerksam. Und es gab in der Koalition - noch mal - bereits bei der Diskussion um die Wehrpflichtverkürzung die Debatte: Wie sieht die Zukunft der Wehrpflicht aus? Und es waren gerade Fraktion und Partei, die gesagt haben: Darüber entscheiden wir nicht im Zuge primär der Sparperspektive. Deswegen konnte über die Zukunft der Wehrpflicht nicht im Rahmen einer Kabinettsklausurtagung entschieden werden, das wäre der falsche Weg gewesen. Sondern Fraktionsvertreter, auch ich selbst als Generalsekretär der CDU Deutschlands, haben Wert darauf gelegt, dass die Debatte "Wehrpflicht" eine sicherheitspolitische Debatte ist. Und die haben wir, beginnend mit der Frühjahrsdiskussion rund um die Kabinettsklausurtagung bis zum Parteitag im November in zahlreichen Veranstaltungen in ganz Deutschland erörtert - unter der Überschrift "Bundeswehr - starke äußere Sicherheit".

    Adler: Hermann Gröhe, der Generalsekretär der CDU im Interview der Woche. Herr Gröhe, das, was ja dann erlebt haben, war, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, bevor das Parlament die Wehrpflicht überhaupt in Gesetzesform gegossen hat. Ist das nicht eine unglaubliche Missachtung des Parlaments? Wir hatten am vorigen Donnerstag die erste Lesung des Gesetzes zur Aussetzung der Wehrpflicht. Tatsächlich ausgesetzt ist sie bereits.

    Gröhe: Die Situation ist die, dass es zur endgültigen Aussetzung im Sommer kommt und dass wir jetzt die Diskussion führen …

    Adler: Also schon nicht mehr eingezogen wird.

    Gröhe: … im Parlament die Diskussion führen, und Sie müssen sehen, dass der Beschluss, die Wehrpflicht auszusetzen, durch die Koalitionsfraktionen und auch weite Teile der Opposition ja begrüßt wurde. Es gibt noch Diskussionen über die einzelnen Schritte, aber die Diskussion, über eine Aussetzung der Wehrpflicht zu einer Veränderung der Bundeswehr zu kommen, ist gerade die offensiv vertretene Auffassung fast aller Parlamentsfraktionen.

    Adler: Warum konnte man nicht warten, warum musste man das so eilig in die Tat umsetzen, warum zieht man jetzt schon nicht mehr Wehrpflichtige ein?

    Gröhe: Es geht darum, dass wir diese Veränderung in einer Weise herbeiführen, die auch den davon betroffenen jungen Männern gerecht wird. Und das heißt, es findet jetzt eine freiwillige Einziehung statt. Aber es findet ja auch gleichzeitig ein Umbau statt, und insofern: Auch nach der Bundestagsdebatte, die ich ja erlebt habe, habe ich keine Veranlassung zu sagen, das ist falsch gewesen.

    Adler: Wenn man schaut in den Gesetzesentwurf, der in erster Lesung am vorigen Donnerstag behandelt wurde, sieht man auch, dass sehr, sehr unkonkret formuliert ist, welche Art von Anreizen es eigentlich geben soll - zum Beispiel materieller Art, aber auch Bildungsanreize, mit denen die Freiwilligen ja geworben werden. Und letzten Endes das wichtigste Signal, dass offenbar Schwierigkeiten eingetreten sind beim Ziehen der Freiwilligen, ist die Zahl der Freiwilligen, die überhaupt nicht befriedigen kann oder nicht an das heranreicht, was notwendig ist. Also doch ein Schnellschuss?

    Gröhe: Nein - und noch einmal: Es hat die Verkürzung der Wehrpflicht gegeben - auf sechs Monate, was auch nicht unproblematisch unter verschiedenen Gesichtspunkten war. Und wahr ist: Diese Reform ist auf den Weg gebracht, aber noch nicht umgesetzt worden. Insofern bedarf es einer konsequenten Fortsetzung dieser Arbeit, das wird von Thomas de Maizière sicher in exzellenter Weise vorangetrieben. Und dazu gehört, dass wir die diskutierten und angekündigten Attraktivierungsmaßnahmen konkretisieren, dass wir bei der Werbung Freiwilliger, die in der Tat erst los geht und erst umfassend gestaltet werden muss, dass wir da dann auch entsprechend konkret werden. Aber Sie müssen ja sehen: Wir haben gleichzeitig die Aufgabe einer Reduzierung der Bundeswehr. Das heißt, wir wachsen ja hinein in den Prozess zunehmender Freiwilligen. Und deswegen würde ich jetzt auch nicht, bevor das wirklich losgegangen ist, schon in Alarmismus machen. Das ist ein Umstellungsprozess, der ist nicht einfach. Ich bin überzeugt, er wird gelingen.

    Adler: Nun kann es sein, wenn die Zahl der Freiwilligen nicht tatsächlich noch gesteigert wird, dass diejenigen, die für die Heeresstärke verantwortlich sind, die den Nachschub so zusagen organisieren müssen, da allein im Regen stehen gelassen werden - beziehungsweise diejenigen, die in Afghanistan im Einsatz sind, möglicherweise länger im Einsatz sein müssen, weil einfach kein Nachschub kommt. Was sagen Sie denen?

    Gröhe: Also, die Bundeswehr kann sich auf keine politische Kraft so sehr verlassen wie auf die Union. Und ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass auch mancher in der Opposition jetzt noch pointierter seine Liebe zur Bundeswehr entdeckt. Bei uns ist sie sehr gut entwickelt. Und im Übrigen: Die Aussetzung der Wehrpflicht hat mit der Situation in Afghanistan insofern nichts zu tun, als Wehrpflichtige niemals im Auslandseinsatz waren …

    Adler: Aber Freiwillige, und die kommen gerade nicht.

    Gröhe: Da müssen Sie ja trennen zwischen denen, die sich länger verpflichtet haben und denen, die so zusagen jetzt neu an die Stelle der Wehrpflichtigen in einen kurzzeitigen Freiwilligendienst eintreten …

    Adler: Aber beide werden gebraucht.

    Gröhe: Das hat aber mit der Situation in Afghanistan jetzt nichts zu tun.

    Adler: Wie treten Sie denn Ihren Parlamentarierkollegen entgegen, die sagen: Es ist überhaupt nicht mehr wichtig, ob wir ein Gesetz verabschieden. Ihr macht ja sowieso was Ihr wollt!

    Gröhe: Ich habe das von Parlamentarierkollegen bisher nicht gehört.

    Adler: Und es ist ein Einwurf, den Sie auch für nicht berechtigt halten?

    Gröhe: Den ich nicht für berechtigt halte.

    Adler: Der Verteidigungsminister, der neue, hat gesagt, er würde sich jetzt die Zeit nehmen, die er braucht für die Umsetzung der Wehrreform. Ist er jetzt eigentlich der "Ausputzer" dessen, was eigentlich nur stümperhaft bislang zusammen gestellt wurde, nämlich dieses Gerüst dieser Reform?

    Gröhe: Noch mal stopp! Es ist sicher ungewöhnlich, dass in einer Reform, die begonnen ist, nun ein Rücktritt erfolgt. Das wünscht sich niemand so, so wie wir den Rücktritt insgesamt bedauern. Aber hier ist nichts stümperhaft vorbereitet, sondern eine notwendige Reform richtigerweise angestoßen worden. Und Thomas de Maizière hat eine Leidenschaft für die Bundeswehr, mit der er von sozusagen klein auf in enger Verbundenheit gelebt hat. Und er ist ein exzellenter Regierungsfachmann. Er wird das konsequent fortsetzen und zum Erfolg führen.

    Adler: Kann es sein, dass die Bundesregierung, die Minister, aber auch die Unionsparteien da einem Blender aufgesessen sind und sozusagen immer noch nicht richtig erwacht sind?

    Gröhe: Wir sind tatkräftig bei der Arbeit. Insofern kann das Thema Erwachen gar kein Thema für uns sein. Wenn Sie unterstellen, dass die Bevölkerung aus dieser Sicht zu dumm wäre, Politiker richtig einzuschätzen, ist das nicht die Sicht, die ich sehe. Ich trenne die Verfehlungen, die es da gegeben hat und die natürlich auch die Glaubwürdigkeit eines Politikers tangieren, von dem, was der Politiker als Politiker geleistet hat. Und da finde ich die Kritik, die jetzt plötzlich an Karl-Theodor zu Guttenberg laut wird, nicht berechtigt.

    Adler: Haben Sie das der Kanzlerin eigentlich abgenommen, dass sie unterteilt in der Person des Verteidigungsministers zwischen seinem wissenschaftlichen Engagement und seiner Arbeit als Politiker, oder fühlten Sie sich und Ihren Intellekt möglicherweise beleidigt dadurch?

    Gröhe: Ich fühle mich durch diese Interpretation in meinem Intellekt zumindest herausgefordert, die Sie vornehmen. Was die Bundeskanzlerin gemacht hat war der richtige Hinweis darauf, dass heute die Person eben nicht aufgespalten sondern in ihrer Gesamtheit bewertet werden muss. Und dazu gehört eine ernst zu nehmende Verfehlung, und da ist nie ein Zweifel dran gelassen worden, dass da dieselben Normen an einen Minister anzulegen sind wie an jeden anderen und sein erfolgreiches Wirken in der Politik. Es geht gerade darum, dem gesamten Menschen gerecht zu werden und ihn nicht so aufzuspalten.

    Adler: Das haben Wissenschaftler im Land völlig anders verstanden, denn es hat eine Protestwelle gegeben, wie sie Deutschland eigentlich überhaupt noch nie erlebt hat. Sie wissen das wahrscheinlich selbst viel besser, denn die Briefe sind im Kanzleramt gelandet, waschkörbeweise, haben sich gerade Wissenschaftler empört über diese Zweiteilung, die die Kanzlerin vorgenommen hat. Was bedeutet das eigentlich im Hinblick auf die Landtagswahlen? Haben Sie da eine Wählerschicht, die ja nun wirklich sehr für bürgerliche Werte steht, vergrätzt und verloren?

    Gröhe: Ich nehme die Enttäuschung im Bereich der Wissenschaft sehr ernst und lege selbst auch Wert darauf, dass die Normen hier in diesem Bereich gelten. Und wir haben immer klar gesagt, dass Verstöße gegen den Schutz geistigen Eigentums keine Kleinigkeiten sind. Aber noch einmal, die von Ihnen jetzt wieder als Fakt unterstellte Aufspaltung hat es durch die Bundeskanzlerin nicht gegeben. Wohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass dies so interpretiert wurde und auch von vielen in der Wissenschaft so verstanden wurde. Ich halte es für legitim, zu sagen, man muss einer Persönlichkeit insgesamt gerecht werden und darf sie nicht auf einen schweren Fehler reduzieren. Und ich finde übrigens Loyalität zu engen Mitarbeitern auch einen bürgerlichen Wert. Aber ohne Zweifel gilt es, Vertrauen zurückzugewinnen - übrigens auch auf Seiten der Wissenschaft. Auch die Wissenschaft wird darüber nachdenken, wie man zukünftig bei Doktorarbeiten besseren Schutz vornimmt. Also, insofern gibt es Nachbereitungsbedarf vielleicht an ganz vielen Stellen, wenn es um die Wissenschaft geht. Was nun die Landtagswahlen angeht ist meine feste Überzeugung, die Menschen in Sachsen-Anhalt, in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, die wissen sehr genau, um was in diesen Wahlen geht. Das wird ihre Wahlentscheidung bestimmen. Und da bin ich zuversichtlich, dass wir unsere erfolgreiche Arbeit in Sachsen-Anhalt und vor allem auch in Baden-Württemberg werden fortsetzen können und dass die Menschen auch sehen, dass es gut wäre, wenn Rheinland-Pfalz vom Beck-Filz endlich befreit würde.

    Adler: Das Feuilleton der FAZ hat in dieser Woche geschrieben: "An der Klippe des moralischen Selbstmordes sind die Spitzen der bürgerlichen Parteien gerade noch einmal vorbeigeschrammt." Können Sie jetzt im Wahlkampf, außer in den Karnevalstagen, überhaupt noch mit konservativen Werten werben?

    Gröhe: Ja, selbstverständlich. Und wenn Sie die Politik dieses Landes erfolgreich gestalten, wie wir das tun, wie die CDU in Sachsen-Anhalt dafür gesorgt hat, dass dieses Land die rote Laterne, die es unter Rot-Rot hatte, nicht mehr hat, sondern erfolgreich wirtschaftlich aufschließt, wenn man sieht, dass Baden-Württemberg eine überaus erfolgreiche bürgerlich geprägte Politik macht, dann gibt es kein Vertun. Wer für bürgerliche Werte streitet, der wird sich auch auf Fehler befragen lassen müssen. Das stimmt. Und dieser Diskussion stellen wir uns. Aber dass eine SPD, die in Brandenburg mit reuefreien Stasi-Spitzeln koaliert und Grüne, die sich allenfalls halbgar von gewalttätigem Protest gegen AKWs distanzieren, sich zum Sachwalter bürgerlicher Moral glauben aufspielen zu können, ist eine schlichte Frechheit. Und das werden die Menschen im Wahlkampf auch von uns hören und am Wahltag auch bedenken.

    Adler: Wenn wir betrachten, welchen Flurschaden die Guttenberg-Affäre angerichtet hat, da wird jetzt davon gesprochen, "den Guttenberg zu machen". Schwarzfahren, Abschreiben, Ladendiebstahl, alles wird sozusagen mit einem anderen Maß gemessen, weil man dem einen bereit war - fast - zu vergeben.

    Gröhe: Das habe ich noch nirgends erlebt. Ich habe noch nirgends eine Debatte gehört, weder bei meinen Kindern in der Schule, noch bei den Zeitungen, noch bei den Fernsehberichten …

    Adler: Fahren Sie mal Straßenbahn.

    Gröhe: Ich fahre auch Straßenbahn, keine Sorge. Es ist im Übrigen so, das jemand ja gerade nicht zur Rechenschaft gezogen wurde, sondern selbstverständlich in dem Verfahren, das dafür vorgesehen ist, der Universität Bayreuth zur Rechenschaft gezogen wurde. Und das Verfahren hält an. Karl-Theodor zu Guttenberg hat immer klar gemacht, dass er selbstverständlich sich diesem Verfahren stellen muss wie jeder andere. Und das ist auch von uns immer geschehen. Also, dass ein Jugendlicher in Deutschland mehr schwarz fährt, weil er das gehört hat, das halte ich für eines der originellen Märchen und Legenden, die offensichtlich jetzt auch dazu gehören.

    Adler: Es hat aus der Guttenberg-Affäre eine weitere Weiterung gegeben, mit der Sie als der Generalsekretär der Partei, der CDU, zu tun haben werden, nämlich den Streit zwischen den Schwesterparteien. Horst Seehofer hat es angedeutet. Es wird noch mit Frau Merkel zu reden sein, wie er angekündigt hat, denn er hat die uneingeschränkte Solidarität der CDU mit der CSU vermisst. Wie wird das ausgehen?

    Gröhe: Die Unionsparteien haben sich insgesamt sehr solidarisch in diesen schwierigen Tagen verhalten. Aber natürlich spiegeln auch Äußerungen aus unseren Reihen die Gefühle und Diskussionen dieser Tage wider. Alles andere wäre unnormal. Ich rate uns allen jetzt, gemeinsam nach vorne zu schauen, die Aufgaben, die vor uns liegen, anzupacken. Und Horst Seehofer hat auch sehr deutlich gemacht, was wir gemeinsam vor uns haben, hat ausdrücklich der Bundeskanzlerin für ihre klare Positionierung gedankt. Und wenn er Gesprächsbedarf angemeldet hat, so hat er stets hinzugefügt, dass wir das dann intern und sehr kameradschaftlich machen werden.

    Adler: Herr Gröhe, wie ging es Ihnen selbst, als Sie die Äußerungen von Herrn Böhmer, Ihrem Parteifreund in Sachsen-Anhalt, dem scheidenden Ministerpräsident gehört haben, von Kurt Biedenkopf, letzten Endes von Annette Schavan oder Norbert Lammert. Haben Sie sich da insgeheim gefreut, dass es doch noch so etwas gibt wie parteiunabhängiges Denken und Aufrichtigkeit?

    Gröhe: Ich bin ein großer Anhänger von beidem, von Aufrichtigkeit und unabhängigem Denken. Aber Sie sollten Aufrichtigkeit nicht nur bei den Politikern vermuten, die vielleicht Ihrer Meinung sind. Vielleicht waren andere genau so aufrichtig anderer Meinung als Sie. Aber noch einmal: Dass die Diskussionen dieser Tage und auch die Enttäuschungen, die es etwa im Bereich der Wissenschaft gegeben hat, auch durch Politiker der Union artikuliert wurden, das finde ich bei mancher Wortwahl, über die ich mich auch geärgert habe, nicht das Problem. Und jeder dieser Politikerinnen und Politiker hat es übrigens verdient, dass man genau hinschaut. Dann sieht man beispielsweise, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert sich gegen das in allen Medien verbreitete Online-Voting über die Kabinettsbesetzung aufgeregt hat mit der Formulierung vom Sargnagel der Demokratie und keinesfalls damit das Verhalten von Karl-Theodor zu Guttenberg gemeint hat, sondern eine Votingveranstaltung, die es nachgerade in jedem Online-Medium gegeben hat, und diese Diskussion kann man ja doch führen.

    Adler: Die Bundesforschungsministerin hat in ersten Interviews quasi bis an die Grenze der Selbstverleugnung zu Karl-Theodor zu Guttenberg gestanden. Anderen Parteimitgliedern ging es vielleicht auch so. Ich möchte da nur mutmaßen und natürlich nicht für gegeben nehmen, was ich nicht belegen kann. Aber ist es das eigentlich wert, wenn so eine Solidarität eingefordert wird, die bis an die Grenze der Selbstverleugnung geht? Ist da eine Partei überhaupt glaubwürdig?

    Gröhe: Eine Partei wäre nicht glaubwürdig, wenn sie bei jeder ersten Attacke sofort auseinander läuft. Es ist auch ein bürgerlicher Wert, zusammenzustehen, zumal es zum Teil wirklich groteske Züge genommen hatte, die Art und Weise, wie hier gehetzt wurde gegen Karl-Theodor zu Guttenberg. Ich finde, es steht einer bürgerlichen Partei auch gut an, zusammenzustehen. Das musste nicht verordnet werden. Es sind jetzt unsere Kreisverbände, die in besonderer Weise deutlich machen, wie sehr sie auch seinen Rücktritt bedauern. Insofern ist das eine Entscheidung jedes Einzelnen gewesen, wie er sich positioniert hat. Und die überwältigende Mehrheit hat sich sehr, sehr solidarisch positioniert.

    Adler: Sie schauen jetzt auf die Landtagswahlen. Wir haben gerade darüber gesprochen. Wie sehr macht Ihnen Sorge, dass möglicherweise die Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund - aus dem Grund möglicherweise, dass sie enttäuscht sind, dass Karl-Theodor zu Guttenberg zurückgetreten ist, oder aber auch, wie man an ihm festgehalten hat - jedenfalls: dass sie aufgrund ihrer Enttäuschung gar nicht wählen gehen?

    Gröhe: Im Wahlkampf geht es immer darum, Menschen davon zu überzeugen, erstens zur Wahl zu gehen, zweitens zu wissen, worum geht es - es geht um die Zukunft von Rheinland-Pfalz, von Sachsen-Anhalt, von Baden-Württemberg - und dann für die Argumente zu werben. Und sehen Sie mal, wenn wir die …

    Adler: Aber wie groß sind Ihre Sorgen, dass die Menschen nicht zur Wahl gehen, aus dieser Enttäuschung heraus?

    Gröhe: Ich mache mir nicht Sorgen darum, dass das die Wahlbeteiligung wesentlich beeinflussen wird. Und die Diskussion, die uns da fordert, die nehmen wir offensiv an. Wissen Sie, Herr Beck hat sich nicht von einem Justizminister getrennt, dem ein Verfassungsbruch bei der Auswahl eines Oberlandesgerichtspräsidenten vorgeworfen wird vom Bundesverwaltungsgericht. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Justizminister erhält von einem obersten deutschen Gericht Verfassungsbruch bescheinigt und er bleibt fröhlich im Amt. Ein Landesrechnungshof sagt, ihr verzockt in Mainz die Zukunftschancen der jungen Generation, und alle bleiben im Amt. Ein Innenminister versorgt seine Familie und die Kumpels des Ministerpräsidenten mit attraktiven Aufträgen und bleibt im Amt. Diese Debatte führen wir in Rheinland-Pfalz sehr gerne mit denen, die sich als rote Moralrichter gerieren.

    Adler: Das werden wahrscheinlich Argumente sein, die in Sachsen-Anhalt oder in Baden-Württemberg weniger ziehen. Da berührt vor allem übergreifend für alle drei Landtagswahlen die Guttenberg-Affäre.

    Gröhe: Das sehen Sie falsch. Ich bin viel in Baden-Württemberg unterwegs. Dort treibt die Menschen um, …

    Adler: … was in Rheinland-Pfalz geschieht?

    Gröhe: … wie dieses tolle Land auf der Erfolgsspur bleibt. Nein, in Baden-Württemberg treibt die Menschen um, dass dieses Land, das großartig erfolgreich ist in Bildung, in Wissenschaft, bei Arbeitsplätzen, dass das auf der Erfolgsspur bleibt. Das treibt die Menschen um in Baden-Württemberg. Das erlebe ich bei regelmäßigen Besuchen dort.

    Adler: Herr Guttenberg wird das Land jedenfalls nicht im Wahlkampf so schnell besuchen. Was glauben Sie, wann ist mit seiner Rückkehr in die Politik zu rechnen?

    Gröhe: Darüber will ich gar nicht spekulieren, weil das eine höchstpersönliche Entscheidung ist. Und er hat jetzt auch Respekt vor seinem Rücktritt in der Gestalt verdient, dass öffentliches Spekulieren, wann er denn wiederkommt, ihm nicht die notwendige Ruhe zum Nachdenken nimmt. Eins ist sicher richtig: Für ein so großes Talent bleiben die Türen offen. Aber wann er diese offene Tür nutzt, entscheidet er allein.

    Adler: Wünschen Sie sich das eher früher oder erst später?

    Gröhe: Ich wünsche ihm jetzt viel Kraft für die richtigen Entscheidungen.

    Adler: Herr Gröhe, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Portal Landtagswahlen 2011