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"Bei ihm war die Drohung Teil der Pressearbeit"

Vor einem Jahr löste der Anruf von Christian Wulff bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann die Wulff-Affäre aus. In den Drohanrufen des Ex-Bundespräsidenten sei das "System Wulff in der Pressearbeit" zu sehen, meint Nikolaus Harbusch, "Bild"-Redakteur und Mitautor des Buches "Die Affäre Wulff - Geschichte eines Scheiterns".

Nikolaus Harbusch im Gespräch mit Jürgen Liminski | 12.12.2012
    Jürgen Liminski: Heute vor einem Jahr griff der damalige Bundespräsident Christian Wulff nach einem Vortrag über die Bedeutung der Pressefreiheit zum Telefon und sprach dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung einige Sätze auf die Mailbox, die präsidiale Geschichte machten und letztlich zum bisher einmaligen Rücktritt eines Bundespräsidenten führten.

    Heute ist der Pulverdampf verflogen, Gelegenheit für uns, eine Bilanz zu ziehen und vielleicht auch in die Zukunft zu blicken. Dazu begrüße ich Nikolaus Harbusch aus der Redaktion "investigative Recherche" der "Bild"-Zeitung. Er hat mit Martin Heidemanns das Buch "Affäre Wulff – Die Geschichte eines Scheiterns" geschrieben. Guten Morgen, Herr Harbusch.

    Nikolaus Harbusch: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Harbusch, diese folgenschweren Worte vom 12. Dezember 2011, gibt es die als Abschrift?

    Harbusch: Ja. In unserem Buch "Affäre Wulff" haben wir die Mailbox-Nachrichten auf den Seiten 70/71 ausführlich auf zwei Seiten dargestellt.

    Liminski: Und warum haben Sie die Abschrift nicht veröffentlicht vorher, denn in dem Buch wird viel in indirekter Rede auch gesprochen?

    Harbusch: Wir haben das ausführlich dargestellt. Das war die Form, wie wir sie gewählt haben. Es ist auch nicht nur ein Anruf, den wir dort darstellen, sondern es sind die Anrufe des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff bei dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung Kai Diekmann und beim Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, die das Ziel haben, eben Berichterstattung, unliebsame Berichterstattung zu stoppen.

    Liminski: Hat er auch bei der Kaiserinwitwe Frau Springer angerufen?

    Harbusch: Ja, dazu gab es Berichterstattung in anderen Blättern, dazu haben wir keine weiteren Erkenntnisse im Buch weiter hinzufügen können. Was wir aber sagen können – und daran sieht man, wie Christian Wulff Pressearbeit gemacht hat -, bei ihm war die Drohung Teil der Pressearbeit, und an dieser Reihenfolge, die er gewählt hat, zuerst niederschwellige Beschwerden, dann vor einem Jahr zunächst der Drohanruf oder diese Kriegserklärung auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann, dann 44 Minuten später der Drohanruf beim Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner und, wenn das zutreffend ist, wie verschiedene Medien behauptet haben, hinterher der Versuch, noch bei der Mehrheitsaktionärin Friede Springer anzurufen, das ist der Baukasten, mit dem Christian Wulff Pressearbeit gemacht hat.

    Liminski: Bis dahin ging es um anrüchige Kreditgeschichten. Worin bestand denn nun die neue Qualität der Affäre jetzt?

    Harbusch: Die Geschichte um den Privatkredit, die spielte in Niedersachsen zu Zeiten Christian Wulffs als Ministerpräsident. Es ging darum, A von wem hat er einen Privatkredit bekommen, und B hat er über diesen Kredit, über eine Geschäftsbeziehung, hat er darüber den niedersächsischen Landtag getäuscht. Das lag in der Vergangenheit.

    Und plötzlich vor einem Jahr mit diesem Eingriff in die Pressefreiheit, mit diesem eklatanten Verstoß gegen Artikel fünf Grundgesetz, hatte die Affäre plötzlich Christian Wulff auch im Amt erreicht. Plötzlich war der Bundespräsident Christian Wulff betroffen, der eben in die Pressefreiheit eingegriffen hat.

    Liminski: Was würden Sie, unabhängig von den Details, als den Kern der Affäre bezeichnen?

    Harbusch: Der Bundesgerichtshof hat mal eine Lehre entwickelt von den Verheimlichungshandlungen. Verheimlichungshandlungen, meint der Bundesgerichtshof, sind Beweisanzeichen für Korruptionshandlungen. Und wenn man nach Verheimlichungshandlungen in dieser Affäre sucht, dann ziehen die sich auf wie Perlen an einer Schnur - nimmt man nur den Grundschuldbrief, den anonymen Bundesbank-Scheck, Nutzung eines fremden Handys, Löschung von Zimmernummern und Namen auf Hotelrechnungen und so weiter und so weiter.

    Liminski: Also Verheimlichung als Kern der Affäre?

    Harbusch: Nein, permanente Verheimlichungshandlungen in allen Bereichen, und das ist eben sehr, sehr auffällig. Lassen Sie Ihren Namen auf Hotelrechnungen tilgen? Lassen Sie Ihre Zimmernummer tilgen? Benutzen Sie das Telefon permanent von Freunden? Wussten Sie vor der Affäre überhaupt, dass es anonyme Bundesbank-Schecks gibt?

    Liminski: Es gab Stimmen, Herr Harbusch, die sagten, Wulff habe sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden. Wer von der "Bild" und anderen gejagt wird – das Phänomen ist in der Publizistik als "Pack Journalism" oder Meutenjournalismus ja bekannt -, für den kann man doch Verständnis haben, wenn er emotional ausrastet.

    Harbusch: Ja, wenn es so war, könnte man Verständnis haben. Aber der These eines emotionalen Ausrasters widerspreche ich. Er hat zweimal hintereinander mit ruhiger Stimme im Abstand von 44 Minuten die ähnlichen Drohungen auf zwei unterschiedlichen Mailboxen hinterlassen. Da kann man nicht von emotionalem Ausraster sprechen.

    Liminski: Aber weil es kurz hintereinander war vielleicht doch. Wo sehen Sie eine Konsequenz in der Handlung?

    Harbusch: Ich sehe darin ein System. Ich sehe, dass die Anrufe mit klarer, ruhiger Stimme vorgebracht waren. Ich sehe darin das System Wulff in der Pressearbeit.

    Liminski: Wie geht es nun weiter? Wird man Wulff noch auf der Anklagebank sehen?

    Harbusch: Darüber entscheidet die Staatsanwaltschaft Hannover, und sie hat diese Entscheidung angekündigt für die Zeit nach der Landtagswahl am 20. Januar 2013. Es ist nicht Aufgabe eines Journalisten, über die mögliche Strafbarkeit zu entscheiden. Wir haben die Verstöße gegen die politische Hygiene aufgelistet, das auf 210 Seiten in unserem Buch "Affäre Wulff". Über alles andere müssen die Staatsanwälte entscheiden.

    Liminski: Aber Sie recherchieren doch in dieser Angelegenheit?

    Harbusch: Na klar, auch weiterhin.

    Liminski: Und was ist Ihre Einschätzung? Ist die Geschichte zu Ende, oder wird man eben Wulff doch noch auf der Anklagebank sehen – vielleicht? Was ist Ihre Einschätzung?

    Harbusch: Es gibt ja bislang zwei unterschiedliche Strafverfahren: das Verfahren gegen Wulff und seinen Freund Groenewold sowie das Verfahren gegen seinen ehemaligen Sprecher Glaeseker und den Party-Veranstalter Manfred Schmidt. Und ich vermute, dass es zumindest in einem, wenn nicht in beiden Fällen zu einem Gerichtsverfahren kommen wird.

    Liminski: Werden die Gerichtsverfahren zusammengefügt? Werden alle drei auf der Anklagebank sitzen?

    Harbusch: Alle vier werden auf der Anklagebank möglicherweise sitzen, nach jetzigem Stand aber in getrennten Verfahren.

    Liminski: Die Geschichte eines Scheiterns, die Affäre Wulff – das war hier im Deutschlandfunk ein Jahr nach dem Anruf, der alles ins Rollen brachte, der Autor des gleichnamigen Buches, Nikolaus Harbusch. Besten Dank für das Gespräch, Herr Harbusch.

    Harbusch: Danke sehr.


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