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Bei Steinbrück oben ohne?

In den Bundestagswahlkampf wollen auch die Frauenrechtlerinnen von Femen eingreifen. Prostitutionsgesetz und Sexindustrie sind hierzulande ihre Themen, die Politiker sollten sich deshalb - im Gegensatz zu den Aktivistinnen - schon mal "warm anziehen".

Von Verena Herb | 15.08.2013
    Rike schreit. Versucht, sich los- und ihre Arme hochzureißen, um ein Plakat in die Luft strecken zu können. Sie wehrt sich gegen jene, die sie festhalten und wegtragen wollen. Rike trägt einen Blumenkranz im Haar und weder T-Shirt noch BH. Sie ist eine der Sextremistinnen, wie sich Femen nennen – Extremistinnen mit S.

    Die Zuschauerinnen applaudieren: "Gut gemacht." Es ist Rikes erstes Femen-Training. 17 Jahre ist sie alt, klein und zart. Die obligatorischen Blüten hat sie in ihr blondes Haar eingeflochten. Heute sind es fünf Frauen, die sich fit machen für ihren Straßenprotest. Die älteste ist 26 Jahre alt. Der Kampfplatz gegen das Patriarchat an diesem Abend: ein Souterrain in einem Mehrfamilienhaus im Berliner Westen. Femen können den Raum, in dem tagsüber Kinder turnen, kostenlos nutzen. Dafür darf aber auch nicht verraten werden, wo er sich befindet: Die Besitzer wollen nicht mit Femen in Verbindung gebracht werden.

    Die 23-jährige Theresa leitet das Training: Erst einmal aufwärmen, es folgen 20 Minuten Krafttraining, dann geht es in die Aktion, bei der immer zwei Frauen Polizei oder Sicherheitskräfte simulieren:

    "Wichtig ist, dass Du dann Deinen Körperschwerpunkt von der normalen X-Form in die Knie verlagerst und schwer wirst. Und: Bleib in Bewegung. Dass man Dich nicht kriegt, im Prinzip. Und nach unten drücken. Du gehst nicht mit! Wir gehen mit der Polizei nicht mit. Ganz wichtig."

    Außerdem: Nicht lächeln. Schließlich geht es um eine ernste Sache, sagen Josephine und Theresa:

    "Es ist auch wichtig, immer in die Kamera zu schreien. Weil es nichts bringt, den Polizisten ins Gesicht zu schreien. Weil die sowieso nicht das Auge der Öffentlichkeit sind. Sondern Richtung Kamera. Denn es geht um die Menschen da draußen. Nicht um die 20, 50 Menschen, die um einen rum sind."

    Femen inszenieren sich öffentlichkeitswirksam als kämpfende Amazonen mit traditionellem Blumenkranz im Haar und – wie sie selbst sagen - ihren blanken Brüsten als Waffe. Für die Frauen ein Zeichen der sexuellen Selbstbestimmung, ein Zeichen ihrer Freiheit. Gewaltfrei, aber provokant soll der "Post-Feminismus" proklamiert und das Patriarchat bekämpft werden. Auch in Deutschland. Auch beim anstehenden Bundestagswahlkampf.

    "Zum Beispiel das Prostitutionsgesetz in Deutschland ist ja immer noch definitiv ein Thema auf´m Tisch, das wir so überhaupt nicht tolerieren können. Wir wollen das schwedische Modell. Dann das Betreuungsgeld natürlich. Alles was in der politischen Arena passiert, wird von uns beobachtet."

    Erklärt Theresa und es scheint, als wären sich die Frauen selbst noch nicht ganz sicher, wo sie im Wahlkampf ansetzen sollen. Die große Idee ist klar: Kampf gegen das Patriarchat, das ihrer Ansicht nach getragen wird von drei Säulen: Politische Gewaltherrschaft, Sexindustrie und Religion – die gilt es zu bekämpfen.

    "Das Patriarchat hat viele Gesichter. Und all diese Gesichter müssen attackiert werden."

    Angela Merkel hatte bereits das Vergnügen: im April beim Rundgang auf der Hannovermesse. Dort galt der Protest jedoch eher ihrer Begleitung: dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Damals hatten drei "Sextremistinnen" "Fuck Dictatorship" auf ihre Oberkörper gemalt. Eine davon war Josephine Witt. 20 Jahre alt, Studentin aus Hamburg.

    Man trifft sich vor dem Eingang zur Herbertstraße im Hamburger Rotlichtviertel, auf St. Pauli. Hier haben Femen Anfang des Jahres ihre erste Protestaktion durchgeführt, erzählt Josephine. Die Frauen schmierten damals den Nazi-Spruch "Arbeit macht frei" an die Wand. Für Femen ein logischer Schritt: Die Sexindustrie ist für sie der Faschismus des 21. Jahrhunderts.

    Bei dieser Aktion war Josephine – noch – nicht dabei. Sie kam erst einige Monate später zu Femen. Und innerhalb kürzester Zeit wurde sie das deutsche Gesicht der Sextremistinnen. Denn sie protestierte in Tunesien vor dem Palais de la Justice barbusig gegen die Inhaftierung von Amina Tyler und kam ins Gefängnis. Vor allem muslimische Frauen übten damals harsche Kritik an der Aktion: Einige gründeten die Protestgruppe "Muslima Pride" auf Facebook, um sich von nackten Radikalen zu distanzieren, die ihrer Ansicht nach ihre Religion beleidigen. Sie habe versucht, mit den Muslima Kontakt aufzunehmen, erzählt Josephine – bekam jedoch keine Antwort. Und abgeklärt, wie die 20-jährige im Gespräch oft wirkt, sagt sie:

    "Wir wollen niemanden bevormunden. Und diese Frauen, die wirklich frei sind und sich frei dafür entschieden haben, die sollten bitte darauf achten, dass sie in der Minderheit sind. Also, dass der Islam leider, gerade der Islam, sehr unterdrückend ist, und der Frau die Kontrolle über ihren Körper entzieht – durch die viele Dinge, die getan werden. Und viele Musliminnen, die uns unterstützen sprechen von einem Stockholmsyndrom ..."

    Seit ein paar Wochen ist Josephine zurück in Deutschland – und kämpft weiter für die Femen-Sache. Erst vor wenigen Tagen ist sie bei einem Wahlkampfauftritt von Peer Steinbrück gewesen, verrät sie, um sich die Szenerie anzuschauen: um zu checken, ob sich Wahlkampfkundgebungen für eine Aktion der "Busen-Guerilla" anbieten. Aber auch aus persönlichen Gründen, denn sie ist politisch interessiert. Josephine ist mit ihren 20 Jahren Erstwählerin. Und ihr Wahlrecht wird sie auch nutzen, sagt sie. Trotz aller Probleme, die sie sehe:

    "Ich sehe sehr viel Ignoranz der Politik auch gegenüber Frauenthemen. Und ich sehe mich auch nicht angesprochen von diesen Parteien. Ich werde wahrscheinlich trotzdem zur Wahl gehen und das kleinste Übel dann wählen."

    Wer in ihren Augen das kleinste Übel ist, weiß sie noch nicht. Der SPD-Kanzlerkandidat jedenfalls hat auf sie uninspiriert gewirkt: Steinbrück habe kein Charisma und vermöge es nicht, die Massen zu bewegen, findet Josephine. Auch wenn sie aus einer sozialdemokratisch sozialisierten Familie stammt – Steinbrück ist nicht ihr Kandidat.

    "Es gab schon so viele Versuche, dieses Prostitutionsgesetz wieder zu verändern. So viele Anträge, die gestellt worden sind. Und es ist immer nicht durchgekommen … Und ich glaube, dass man nur was bewirken kann, wenn man wirklich die breite Öffentlichkeit auf diese Probleme aufmerksam macht."

    Femen wollen mitspielen im Wahlkampf: Wann, wo und gegen wen sie blankziehen - das wird allerdings nicht verraten. Generell gilt: Merkel, Brüderle und Co. sollten sich schon einmal - Zitat - "warm anziehen".