Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Beim Franken zu bleiben war "eine sehr weise Entscheidung"

54 Prozent beträgt die Exportquote der Schweiz. Durch den Höhenflug des Franken litten einige Teile der Wirtschaft und Wettbewerbsvorteile gingen verloren, sagt René Zeyer, Buchautor und Finanzfachmann aus Zürich. Und dennoch: Die Entscheidung vor 20 Jahren, dem Europäischen Wirtschaftsraum nicht beizutreten, sei sehr gut gewesen.

René Zeyer im Gespräch mit Dirk Müller | 13.09.2011
    Dirk Müller: Das ist schon paradox, auf den ersten Blick jedenfalls. Da verfügt ein Land über eine starke, international geschätzte Währung, und droht, gerade deshalb in den Abwärtsstrudel mitgerissen zu werden. Die Rede ist von der Schweiz, vom Franken. Bekamen die deutschen Urlauber beispielsweise vor einigen Jahren für einen Euro noch gut einen Franken 50 in die Hände, war der Umtauschkurs während der Sommerferien auf fast eins zu eins gerutscht, also ein Euro ein Franken. Das war dann zu viel für die erfolgsverwöhnten Eidgenossen: deutlich weniger Touristen und deutlich weniger Export. Wirtschaftskrise! Die Notenbank hat daraufhin die Notbremse gezogen, jetzt gibt es einen Mindesttauschkurs. Für einen Euro gibt es jetzt immerhin einen Franken 20, und das garantiert. So ist die Euro-Krise längst auch zu einer Schweizer Krise geworden. – Darüber sprechen wollen wir nun mit René Zeyer, Buchautor und Finanzfachmann. Guten Morgen nach Zürich.

    René Zeyer: Guten Morgen zurück!

    Müller: Herr Zeyer, verfluchen die Schweizer den Euro?

    Zeyer: So weit würde ich nicht gehen, aber ich muss auch gleich anfänglich etwas korrigieren. Die Schweizer Exportwirtschaft brummt und steigert sich. Es ist nun eher auch ein Jammern auf hohem Niveau, was man hier aus der Schweiz hört. Es ist zwar richtig, dass der deutsche Tourist in der Schweiz ziemlich gelitten hat, aber abgesehen von der Tourismusindustrie geht es der Schweiz weiterhin blendend.

    Müller: Dann haben wir das zum Teil hier falsch verstanden, weil sich ja auch viele Handwerksverbände und Industrieverbände beklagt haben, darüber, dass es immer schwieriger wird zu exportieren.

    Zeyer: Man darf dabei halt leider nie vergessen, dass die Schweiz tatsächlich – tut mir leid, das Deutschland sagen zu müssen – der wirkliche Exportweltmeister ist. Mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz wird in der Exportindustrie erwirtschaftet. Auf der anderen Seite muss man ja auch sehen, dass die Schweiz natürlich ein rohstoffarmes Land ist. Das heißt, das meiste, was hier verarbeitet wird, wird importiert. Und wenn es aus dem Euro-Raum importiert wird, ist das natürlich für die Schweiz von Vorteil. Das heißt, in der sogenannten Nettobilanz, was den Austausch EU-Schweiz anbetrifft, hat die Schweiz eigentlich genauso viele Vorteile wie Nachteile durch den starken Franken.

    Müller: Dann reden wir noch mal über die Exportquote. Sie haben das angekündigt. 54 Prozent, habe ich gelesen, Exportquote in der Schweiz. Im Vergleich dazu: Deutschland "nur" 48 Prozent. Da sagen Sie aber, wenn die Industrie, wenn die Wirtschaft darüber jammert, dann ist es Jammern auf hohem Niveau, stimmt also eigentlich gar nicht.

    Zeyer: Es gibt einige Industrieteile – den Tourismus haben Sie schon erwähnt, selbstverständlich: Das ist fürchterlich für die Schweizer Hoteliers und all die, die ums Matterhorn herumstehen. Auf der anderen Seite: Die Exportindustrie in der Schweiz hat natürlich Schwierigkeiten durch den hohen Franken, indem sie an Wettbewerbsvorteilen verliert. Auf der anderen Seite hat sich die Schweiz ja seit vielen Jahren schon auf Hightech-Produkte, also ausgewählte Sparten der Maschinenindustrie, Pharma und so weiter, konzentriert, und auf den Gebieten ist sie natürlich auch teilweise konkurrenzlos.

    Müller: Wir haben, Herr Zeyer, ja die Griechenland-Diskussion auch heute Morgen im Deutschlandfunk schon wieder weiter entwickelt, weiter diskutiert. Inwieweit ist es ein großes Thema für die Schweiz?

    Zeyer: Es ist natürlich insofern ein Thema, dass diese Untergrenze, die die Schweizer Nationalbank mit 1,20 zu einem Euro festgelegt hat, immer davon abhängt, wie es dem Euro weiter geht. Man darf ja nie vergessen, dass nicht der Franken zu stark ist, sondern dass der Euro schwächelt, kränkelt oder vielleicht sogar schon auf dem Todeslager liegt. Und wenn sich da grausame weitere Entwicklungen abzeichnen werden, dann ist die Schweizer Nationalbank natürlich mit dem Problem konfrontiert, dass sie ja angekündigt hat, fürs Halten dieses Kurses ist sie bereit, in unbegrenztem Ausmaß Schweizer Devisen auf den Markt zu werfen.

    Müller: Halten Sie das für richtig?

    Zeyer: Ich halte es für tollkühn, weil, man darf ja nie vergessen, wenn wir jetzt mal die internationale Lage anschauen, nur eine Zahl: Pro Tag werden weltweit im Wert von 72 Milliarden Dollar Euro und Franken hin- und hergetauscht. Das heißt, das ist ein riesiger spekulativer Markt, wie auch in der übrigen Finanzszene, und wenn jetzt beispielsweise einige große Hedgefonds und Schattenbanken und andere Spekulanten beschließen sollten, das auszutesten, wie man so schön sagt, ob der Schweizer Franken tatsächlich auf 1,20 bleibt, oder ob man ihn nicht beispielsweise wieder runter kriegen könnte, dann muss die kleine Schweizer Nationalbank natürlich mit Giganten mithalten, und ob sie das kann und was das für Auswirkungen hat, ist nun wirklich nicht absehbar.

    Müller: Es könnte also sein, Herr Zeyer, dass die Schweiz irgendwann mal mit diesen Finanzspielchen, wie Sie gesagt haben, mit den Spekulationen, mit der Abwertung überfordert ist?

    Zeyer: Das ist genau das Problem des heutigen Finanzmarkts. Normalerweise drückt ja ein Währungsverhältnis eine sogenannte Kaufkraft-Parität aus. Das heißt, auf beiden Seiten der beiden Währungen kann man fürs gleiche Geld gleich viel Waren kaufen. Das ist die schöne alte Theorie. Die neue Welt der Finanzmärkte ist ja, dass das alles mit Derivaten, Hebelwirkungen und anderen Spekulationselementen völlig aus dem Ruder gelaufen ist, und was sich da in Zukunft noch abspielen wird, das ist im besten Sinne des Wortes und auch im schlechtesten unvorhersehbar.

    Müller: Und Sie sagen, normalerweise, aber Sie sagen auch gleich, dieses normalerweise wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder geben.

    Zeyer: So wie es im Moment aussieht. Da es ja den gesammelten Regierungen der industrialisierten Staaten nicht gelungen ist, die Spekulanten, Banken, Gangster und so weiter, in die Schranken zu weisen, machen die ausführlich weiter, und darunter leidet natürlich jetzt im Moment allenfalls dann sogar die Schweizer Nationalbank.

    Müller: Sie sagen, die Hedgefonds sind Schuld. Sind auch die Banken Schuld?

    Zeyer: Ja selbstverständlich! Wenn wir wieder in die Euro-Zone zurückkehren, besteht ja das Problem nicht nur in dem von Ihnen erwähnten Griechenland, das selbstverständlich Pleite ist, sondern es besteht ja auch darin, dass Banken in Europa weiterhin dermaßen viele Griechen-Papiere in ihren Büchern haben, die sie künstlich viel höher bewerten dürfen, als sie eigentlich wert sind. Und wenn die europäischen Banken diese Papiere nur zum aktuellen Marktwert bewerten müssten, dann wären sie wieder mal Pleite, beziehungsweise müssten wieder "Hilfe, Staat, komm her und gib mir Geld" rufen.

    Müller: Wie groß ist denn der politische Spielraum der Schweiz?

    Zeyer: Nun, die Schweiz hat ja so eine kleine Inselstellung: Einerseits die Insel der Seeligen, andererseits die Insel in Europa. Und dass die anderen Staaten von Europa nicht mit Wohlwollen auf die Schweiz schauen, sondern auch mit Neid, ist ja völlig klar. Und noch mal: Die Schweiz und auch die Schweizer Nationalbank ist nun wirtschaftlich gesehen natürlich in Europa kein Riese, sondern ein Zwerg, der sich mit dem Goliath, nämlich dem Euro, angelegt hat.

    Müller: Und Sie sind dafür, dass die Schweiz eine Insel bleibt?

    Zeyer: Ich finde es eine sehr weise Entscheidung. Es gab ja in der Schweiz Anfang der 90er-Jahre eine große Diskussion, ob man damals dem Europäischen Wirtschaftsraum beitreten soll oder nicht, und die Schweizer Bevölkerung, die über so Sachen eben abstimmen darf, hat sich mehrheitlich entschieden, das nicht zu tun. Und ich glaube, inzwischen, 20 Jahre später, ist die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung sehr froh über diesen Entscheid.

    Müller: ... , weil die auf dem Kontinent es nicht können?

    Zeyer: Es hat sich ja wohl eindeutig gezeigt, dass die Europäische Union politisch gesehen absolut unfähig ist, die verschiedenen Finanzpolitiken und die verschiedenen Währungspolitiken der einzelnen Länder irgendwie in irgendeiner Form in den Griff zu bekommen. Wenn ich dann noch einmal auf Griechenland hinweisen darf: Wenn man sich nur überlegt, dass vor eineinhalb Jahren noch allgemeiner Konsens in Europa war, "Griechenland, ein Problem? – Aber überhaupt nicht!" – und das war vor genau 18 Monaten -, und heute reden bereits die ersten Politiker davon, dass man vielleicht Griechenland doch Pleite gehen lassen sollte.

    Müller: Wäre das gut?

    Zeyer: Ich glaube, das wäre das einzig Richtige! Ich meine, das ist wie im Wirtschaftsleben. Wenn eine Firma nicht mal die Zinsen ihrer Schulden bezahlen kann – und so weit ist ja Griechenland -, dann ist Ende der Fahnenstange. Und ein sogenannter geordneter Konkurs, das heißt, man sagt Neustart, alle Gläubiger müssen sich etwas ans Bein streichen, aber die gute Nachricht ist, anschließend weiß jeder, woran er ist, und die griechische Wirtschaft hat wieder die Möglichkeit, sich aufzurappeln, wäre die einzige Lösung für dieses Problem.

    Müller: Ich weiß nicht, René Zeyer, ob Sie das mitbekommen haben, ob das in den Schweizer Medien diskutiert worden ist. In der vergangenen Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede im Bundestag gesagt, am Beispiel der Schweiz sieht man, wie es einem Staat gehen kann, wenn man nicht Teil dieses europäischen Geleitzuges ist. Das muss doch ein bisschen wie Hohn klingen bei Ihnen?

    Zeyer: Na ja, sagen wir mal, Frau Merkel hat ja auch gesagt, scheitert der Euro, scheitert Europa. Ich glaube, Frau Merkel macht sich da leider etwas berühmt dafür, dass die Aussagen, die sie bezüglich der Europäischen Union und der Schweiz trifft, nun wirklich so falsch sind, dass nicht mal das Gegenteil richtig wäre.

    Müller: Und abschließend wollen wir festhalten: Sie meinen, die Schweiz muss Schweiz bleiben?

    Zeyer: Die Schweiz wird die Schweiz bleiben. Ob der Franken der Franken bleiben wird? Die Auswirkungen einer solchen Währungspolitik sind natürlich in erster Linie mittelfristig, nämlich eine allenfalls galoppierende Inflation, wenn die Schweizer Nationalbank zu viel Devisen herstellen muss. Aber ich bin eigentlich ganz ehrlich gesagt, wenn Sie mich so fragen, optimistischer, was die Zukunft der Schweiz anbetrifft, als was die Zukunft des EU-Raums anbetrifft.

    Müller: Buchautor und Finanzfachmann René Zeyer heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Zeyer: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.