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"Beitrag zur Islamdebatte"

Die Berliner Schau zeigt archäologische Funde aus Saudi-Arabien aus islamischer und vor allem vorislamischer Zeit. Damit spannen die Ausstellungsmacher den Bogen von der Antike in die heutige Zeit und ergänzen die Islamdebatte um einen kulturhistorischen Aspekt.

Von Jan Kuhlmann | 30.01.2012
    Wüstenwind der arabischen Halbinsel, so wie ihn die Tonkünstlerin Ksenija Ladic am Computer kreiert hat - dieser Klang empfängt die Besucher der Berliner Ausstellung "Roads of Arabia". Die Weite der arabischen Halbinsel, sie ist voller Geheimnisse. Bei archäologischen Ausgrabungen sind Funde zutage getreten, die selbst Fachleute überraschen. Rund 400 Objekte aus fast sechs Jahrtausenden sind im Pergamonmuseum zu sehen. Etwa Stelen mit menschlichem Antlitz, künstlerisch so ausdrucksstark und abstrakt, dass sie für moderne Kunst gehalten werden könnten – obwohl sie aus den ersten Jahrtausenden vor Christus stammen, wie Joachim Gierlichs vom Pergamonmuseum erläutert:

    "Sie verraten uns zunächst, dass eine hohe Kultur dort bereits geherrscht hat, dass man in der Lage war, sich künstlerisch auszudrücken. Es muss also eine Gesellschaft existiert haben, die ein hohes Niveau hatte, was Organisation, was auch handwerkliche Fähigkeiten anbelangt."

    Die arabische Halbinsel, sie war nicht isoliert. Einflüsse der frühen Hochkulturen in Ägypten oder Mesopotamien sind genauso zu erkennen wie deutliche Spuren der Römer und Griechen. Zu sehen etwa an römischen Inschriften. Oder an einer Bronzestatue mit Lockenkopf aus der Zeit um Christi Geburt, gefunden tief im Innern der Halbinsel. Die Frisur entspricht der Mode der römischen Zeit. An das kulturelle Erbe der Antike knüpfte auch der Islam im siebten Jahrhundert an, sagt Ali al-Ghabban, Vize-Präsident der saudischen Antiken-Behörde:

    "Der Islam kam nicht in ein leeres Land, sondern in eins mit einer reichen Zivilisation und einer lange Geschichte. Der Islam ist eine neue Schicht auf einer Ansammlung von vielen Schichten der Kultur."

    Für einen offiziellen saudischen Regierungsbeamten sind das bemerkenswerte Sätze. Die Geschichte des Islams beginnt für gläubige Muslime eigentlich erst mit dem Propheten Muhammad. Die Periode davor nennen sie Jahiliya, die Zeit der Unwissenheit und Finsternis. Sie steht für Vielgötterei, für die Abkehr der Menschheit vom rechten Weg. Saudi-Arabien hat sein vorislamisches Erbe lange Zeit ignoriert. Die Ausstellung aber macht deutlich, dass ein Umdenken eingesetzt hat. Viele der vorislamischen Exponate sind Leihgaben aus Saudi-Arabien – sie hätten vor Jahren das Land nicht verlassen können. Auch die Bedeutung der Archäologie sei im Königreich erkannt worden, sagt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin:

    "Seit zehn Jahren gibt es internationale archäologische Grabungen. Und seit vier Jahrzehnten gibt es Archäologen, die sich intensiv mit diesem Kulturerbe auseinandersetzen. Das Nationalmuseum ist zwölf Jahre alt. Es ist also eine Bewegung, die sehr jung ist, aber sie ist sehr dynamisch."

    Den fließenden Übergang der Kulturen verdeutlicht die Ausstellung auch dadurch, dass sie viele Exponate aus der islamischen Zeit zeigt. Sie orientiert sich an den alten Handels- und Pilgerrouten. So ermöglicht sie dem nicht-muslimischen Besucher einen, wenn auch kleinen, so doch seltenen, Einblick in das Heiligste des Islams: in die Stadt Mekka, jährlich Ziel für Hunderttausende muslimischer Wallfahrer. Nicht-Muslimen ist der Zutritt nach Mekka untersagt. In der Ausstellung ist eine alte Eingangstür der Kaaba zu sehen, dem zentralen Heiligtum des Islams. Dass Saudi-Arabien das Stück aus osmanischer Zeit jetzt ausgeliehen hat, war für die Ausstellungsmacher eine Überraschung, sagt Mitkurator Joachim Gierlichs:

    "Künstlerisch ist es auch ein bedeutendes Werk. Es hat wertvolle Materialien auf dem Holzkern. Es ist Silber, große Mengen von Silberblech, vergoldet, sehr fein ziseliert. Und höllisch schwer. Also, die Tür aufzustellen war auch ein hartes Stück Arbeit für die Firma, die das übernommen hat."

    Auch die Geschichte der Pilgerfahrt bekommt Raum im Pergamonmuseum. So zeigt die Ausstellung schmuckvoll und farbenprächtig gestaltete alte Pilgerbücher, eine Art spirituelle Reiseliteratur für Wallfahrer. Der Koran spielt dagegen nur eine Nebenrolle – obwohl alte Handschriften des heiligen Buches der Muslime zu den bedeutendsten historischen Zeugnissen der islamischen Kultur gehören. Der Koran werde jedoch bewusst nur am Rande behandelt, sagt Museumsdirektor Weber:

    "Wir machen keine Religionsgeschichte, wir machen Kulturgeschichte. Da ist Religion ein Teil von, wir haben auch zwei, drei Korane hier. Aber wesentlich wichtiger sind uns andere Literaturformen, also die man nicht kennt und die auch ein bisschen mehr über das aussagen, was wir hier präsentieren, nämlich die Geschichte der Pilgerfahrt."

    Mit dem Rückblick auf die Kulturgeschichte wagt die Ausstellung auch den Griff von der Antike in die heutige Zeit. Museumsdirektor Weber sieht die Schau auch als Beitrag zur Debatte über den Islam in Deutschland.

    "Wir wollen der Diskussion um den Islam eine kulturhistorische Diskussion hinzufügen, die im Augenblick im allgemeinen Diskurs so nicht zu finden ist. Ganz wichtig für uns – in Verbindung mit den vorislamischen Kulturen, und das ist also Kernaussage – dass das eine aus dem anderen entsteht und mit ihm verbunden ist. Dass Muslime auch in Deutschland heute hierher kommen können und sagen: Ja, die Antike, ja, der Alte Orient, damit haben wir auch etwas zu tun, das ist Teil unserer kulturellen Identität."

    So beteiligt sich Saudi-Arabien vermutlich ungewollt, aber doch indirekt an der Islamdebatte in Deutschland – denn möglich war die Ausstellung nur mit Hilfe aus dem Königreich. Das saudische Königshaus hat dabei nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein ökonomisches Interesse: Es will den Tourismus fördern und das Land stärker für Besucher aus dem Westen öffnen. Eine PR-Aktion also. Den kulturhistorischen Wert der Schau schmälert das nicht.

    Mehr Informationen:
    "Roads of Arabia" im Pergamonmuseum