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Beitragssenkungen fraglich

Neun Monate lang greift die Gesundheitsreform erst und schon melden sich Krankenkassen und Ärztevertreter, um ihren künftigen Mehrbedarf vorzurechnen. Dauerhafte Beitragssenkungen werden somit in Frage gestellt. Zu unrecht, meinen unabhängige Experten und nicht einmal alle Kassen glauben an die neue Hochrechnungen. Jetzt seien erst mal die Pharmafirmen und Apotheken dran, monierten etwa Experten bei einem Pressegespräch der Gmünder Ersatzkasse letzte Woche in Berlin.

Von William Vorsatz | 21.09.2004
    Sie sollte die Beitragszahler langfristig entlasten und Lohnnebenkosten zu senken. Aber die Gesundheitsreform trifft in Wahrheit vor allem die Patienten. Besonders solche, die viele Medikamente brauchen, gibt Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen zu bedenken:

    Im Prinzip sind die Selbstbeteiligungen der Patientinnen und Patienten deutlich angestiegen, im Arzneimittelbereich zum Beispiel von durchschnittlich sieben Prozent auf etwa 11 Prozent, wir haben manche Überforderungsklausel nicht mehr wie vorher, also es gibt sozusagen die generelle Befreiung nicht, jeder muss zahlen, insofern kann man sich hier sehr gut ausrechnen, dass auch bei dem erhöhten Anteil, der gezahlt werden muss zwischen fünf Euro und zehn Euro diese Belastung, diese finanziell Belastung ansteigt.

    Doch die Apotheker klagen ebenfalls über Umsatz- und Gewinneinbrüche. Weil sie indirekt unter der Praxisgebühr leiden. Denn die Versicherten gehen seltener zum Arzt. Zehn bis 15 Prozent weniger Arztbesuche sind es seit Beginn diesen Jahres, also seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform. Und da die Patienten die Praxis im Schnitt mit wenigstens einem Rezeptverlassen, fehlt dieser Umsatz den Apothekern nun. Rezeptfreie Arzneien werden von den gesetzlichen Krankenkassen dazu ebenfalls nicht mehr erstattet. Harald Prüller von der Gmünder Ersatzkasse:

    Der Wegfall der nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel ist sicherlich aus Sicht der Apotheker ein Riesenverlust, muss man ganz klar sagen, auf der anderen Seite sind wir auch der Auffassung, dass viele Medikamente, die dort verordnet sind, letztlich gar nichts gebracht haben, unnötig waren und somit jahrzehntelang eigentlich verschwendet worden sind.

    Dafür zahlen die Gesetzlichen Krankenkassen den Apotheken jetzt höhere Preise für die rezeptpflichtige Medikamente ihrer Patienten. Hatten sie vor der Reform einen generellen Rabatt von zehn Prozent herausgehandelt, sind es jetzt nur noch knapp fünf Prozent. Unterm Strich ist der Medikamentenhandel immer noch ein gutes Geschäft, auch wenn darüber in der Pharmabranche nicht so gern geredet wird. Etwa bei Generika, also billigen Nachahmerpräparaten. Die Hersteller wollen in den Markt, doch die Preise für rezeptpflichtige Medikamente sind festgesetzt. Deshalb kaufen die Produzenten sich bei den Apotheken mit satten Zugaben ein. Prof. Glaeske rechnet das an einem Beispiel vor:

    Die Hersteller bieten dem Apotheker Rabatte an, Sie kaufen eine Packung, bekommen eine zweite dazu, und wenn Sie dann wissen, dass der Verkaufspreis für Arzneimittel festgelegt ist, dann würde das zum Beispiel folgendes bedeuten: sie kaufen ein Arzneimittel ein für 50 Euro, verkaufen es für 70 Euro und haben sozusagen 20 Euro gewonnen als Beispiel. Jetzt kaufen sie für die 50 Euro zwei Packungen. Können also 2 mal 70 Euro verkaufen, haben 140 Euro, aber nur einmal 50 Euro bezahlt. Also haben sozusagen eine ungeheure Spannenerweiterung in der Apotheke dadurch gewonnen, dass Sie mit Rabatten bei solchen Herstellern einkaufen.

    Es gehe immerhin um einen Rabattvolumen von 1,5 bis 2 Milliarden Euro, schätzt Glaeske. Und die müssten eigentlich, wie etwa bei billigerem Zahnersatz, an die Versicherten weiter gegeben werden. Dann könnten Beiträge und auch die Zuzahlungen der Patienten drastisch sinken.

    Aber es geht noch weiter mit den Sparmöglichkeiten: Bei jeder zweiten Arznei, die durch ein preiswertes Generika ersetzt werden könnte, verschreiben die Ärzte immer noch das teurere Originalpräparat. Und dann gibt es ständig Medikamente, die neu und innovativ scheinen, viel kosten, aber eigentlich nichts wirklich neues bieten. Auch hier ließen sich preiswertere bekannte Produkte verschreiben, die sogar sicherer sind, weil gründlicher geprüft:

    Ich muss darauf hinweisen, dass im Moment schon wieder Diskussionen beginnen, insbesondere im Arzneimittelbereich, ausgelöst durch ein Gutachten, eine Publikation der kassenärztlichen Bundesvereinigung, die darauf hingewiesen haben, dass wir einen Mehrbedarf von sechs Milliarden Euro im Arzneimittelbereich haben, weil es viel an Unterversorgung auszugleichen gibt. Es mag völlig richtig sein, dass es Unterversorgung gibt, aber die KBV, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, hat unanständiger Weise, muss ich wirklich sagen, vergessen, die Überversorgung und Fehlversorgung zu berechnen.

    Bei realistischen Prognosen unter Einbeziehung aller Sparmöglichkeiten könnten die Portmonees der Patienten also geschont werden und die Kassenbeiträge gesenkt. Ganz so, wie mit der Gesundheitsreform eigentlich geplant.