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Beitritt für Transit

Wie abhängig Europa vom russischen Gas ist, hat der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine erneut deutlich gemacht. Alternative Gasquellen soll die Nabucco-Pipeline erschließen: Vom Kaspischen Meer geht es an der nicht-russischen Seite des Schwarzen Meeres vorbei nach Westeuropa. Doch diese Route führt durch Türkei - ein Aspekt, aus dem der türkische Ministerpräsident Erdogan nun für das EU-Beitrittsverfahren seines Landes Kapital schlagen will.

Gunnar Köhne aus Istanbul | 22.01.2009
    "Wenn die Eröffnung des Verhandlungskapitels Energie blockiert werden sollte, dann werden wir unsere Haltung zu diesem Projekt noch einmal überdenken. Wir meinen Die Sache sollte beiden Seiten nutzen."

    Da staunten die Zuhörer der Brüsseler Pressekonferenz von Tayyip Erdogan nicht schlecht: Der türkische Premier glaubt, gegen stockende EU-Beitrittsverhandlungen einen Trumpf in der Hand zu haben. Sein Name: Nabucco. Eine Gaspipeline von Aserbaidschan über Georgien, die Türkei weiter bis nach Österreich. Nach den ständigen Querelen mit Russland setzt die EU auf diese von Moskau unabhängige Gasversorgung große Hoffnungen. 2013 soll sie fertig sein, Mithat Rende, ehemaliger Beauftragter für Energiefragen im türkischen Außenministerium sieht sein Land in einer Schlüsselposition:

    "Aufgrund unserer geografischen Lage können wir einen erheblichen Beitrag zur Energiesicherheit Europas leisten. Die internationale Energieagentur hat ausgerechnet, dass der Gaskonsum Europas bis 2030 um 70 Prozent ansteigen wird. Dieses Gas kann nicht nur aus einer oder zwei Quellen kommen. Es ist für die Europäer wichtig, dass es mehrere Routen gibt."

    Die Europäische Kommission räumt dem so genannten südlichen Gaskorridor höchste Priorität ein. Nach dem russisch-georgischen Konflikt im vergangenen Sommer hätten die am Nabucco-Projekt beteiligten Investoren, Kreditgeber und Versicherer beinahe einen Rückzieher gemacht, weil die Lage in der Region auf einmal nicht so sicher schien wie so oft beschworen. Diese Gefahr scheint vorerst abgewendet, auch die acht Milliarden Euro Kosten sind aufgebracht. Eine viel wichtigere Frage dagegen ist immer noch nicht gelöst: Woher soll das Gas eigentlich kommen, das in fünf Jahren ins österreichische Baumgarten fließen soll? Aserbaidschan kann nicht genügend in die Röhre einspeisen, vom Iran will man nichts haben und andere gasreiche Anrainer wie Turkmenistan oder Kasachstan zögern noch, weil sie es sich nicht mit den Russen verderben wollen. Und dann gibt es noch die finanziellen Forderungen Ankaras, weiß Hugh Pope, Istanbuler Bürochef der International Crisis Group:

    "Es gibt noch keine Geschäftsgrundlage mit der Türkei. Wird die Türkei bloß Transitland für das Gas sein und entsprechend Gebühren bekommen? Oder wird die Türkei, was Ankara bevorzugt, das Gas von verschiedenen Ländern einsammeln und dann an Europa weiterverkaufen? Oder werden am Ende doch die Europäer die Pipeline kontrollieren? Das ist alles noch nicht geklärt."

    Noch also ist das Nabucco-Projekt gar nicht unter Dach und Fach - die Aufregung um den angeblichen Erpressungsversuch des türkischen Regierungschefs darum übertrieben, findet der Brite Pope. Diese Art der rüden Diplomatie sei schließlich auch unter EU-Mitgliedern nicht unüblich. Nach zahlreichen Vetos einzelner Mitgliedstaaten gegen die Eröffnung bestimmter Verhandlungskapitel mit der Türkei kehre Ankara den Spieß bloß um:

    "Die Aufregung um die Äußerungen Erdogans zeigt die Unsicherheit der Europäer in dieser Frage. Sie wollen eine schnelle Lösung mit Hilfe von Nabucco, und die EU mit ihren 500 Millionen Menschen meint, dass das Nichtmitglied Türkei mit seinen 75 Millionen folgen sollte, wenn Brüssel etwas sagt. Aber sie müssen erkennen: Die Türkei verfolgt auch eigene Interessen."

    Dass die türkische Regierung bei einem Scheitern der Beitrittsverhandlungen tatsächlich auch Nabucco platzen lassen könnte, gilt indes als wenig wahrscheinlich. Schließlich braucht die Türkei gerade in dieser Zeit Geld so dringend wie die Europäer Gas.