Mittwoch, 24. April 2024

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Bekämpfung der Corona-Pandemie
Politologe: "Wir haben kein Föderalismusproblem"

Der Föderalismus sei besser als sein Ruf, sagte der Politologe Frank Decker im Dlf. Er ermögliche einen Wettbewerb um bessere Problemlösungen in der Corona-Pandemie. Die Forderung nach einheitlichen Lösungen widerspreche dagegen der Grundidee des Förderalismus.

Frank Decker im Gespräch mit Rainer Brandes | 13.02.2021
Die Ministerpräsidenten der Länder sitzen auf einer langen Holzbank und schauen in die Kamera
Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten noch vor Corona-Zeiten (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
Ein kleines Jubiläum gab es am Samstag im Bundesrat zu feiern: Die zweite Kammer des deutschen Parlaments, die Länderkammer, kam zu hrer 1000. Sitzung seit 1949 zusammen - einer Sondersitzung wegen der Corona-Pandemie. Trotzdem nahm man sich Zeit für eine Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Der errinnerte daran, dass dieses Jubiläum in eine Zeit fällt, in der der deutsche Föderalismus so sehr unter kritischer Beobachtung steht wie lange nicht mehr.
Der Politikwissenschaftler Frank Decker von der Universsität Bonn verteidigte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk den deutschen Föderalismus. Dieser sei kein Hemmnis bei der Bekämpfung der Panadmie, sondern zeige gerade in der Coronakrise seine Stärke. Denn der Wettbewerb zwischen den Bundesländern könne bessere Problemlösungen hervorbringen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Rainer Brandes: Jedes Bundesland entscheidet selbst darüber, wann und ob und wie es Schulen öffnet, Niedersachsen öffnet demnächst wieder Gartencenter, Schleswig-Holstein die Zoos – und die Bundeskanzlerin stellt resigniert fest, dass sie in der Bildungspolitik keine Kompetenzen hat. Scheitert der deutsche Föderalismus am Coronavirus?
Frank Decker: Nein. Also, wenn wir uns umschauen in Europa und in der Welt, sehen wir, dass es keinen großen Unterschied macht, ob Länder föderal verfasst sind, auch andere föderal verfasste Länder wie die USA oder die Schweiz stehen nicht so gut, was die Pandemiebekämpfung angeht, auch umgekehrt gibt es auch sehr viele Beispiele für klassisch zentralistisch verfasste Länder. Wir haben bei der Pandemiebekämpfung kein Föderalismusproblem, vielleicht haben wir ein generelles Problem mit der liberalen Demokratie.
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Brandes: Darauf können wir gleich vielleicht noch mal eingehen. Sie haben jetzt gerade schon zentralistische Staaten wie zum Beispiel Frankreich angesprochen. Und Frankreich steht ja tatsächlich nicht besser da in der Pandemie als wir, könnten Sie also sagen, der Föderalismus ist hier besser als sein Ruf?
Decker: Ja, er ist besser als sein Ruf. Er sorgt ja zum Beispiel auch dafür, dass es einen starken Verwaltungsunterbau gibt. Die Gesundheitsämter zum Beispiel haben uns in der ersten Phase der Krise schon ganz gut geholfen. Auch immer dieser Hinweis auf die Einheitlichkeit, der übersieht ja zum einen, Sie haben ja die Beispiele genannt, jedes Land macht, was es will. So ist es ja nicht, sondern die Länder sprechen sich schon untereinander ab, sie sprechen sich auch mit der Bundesregierung ab. Die Länder sind für die Durchführung der Gesetze zuständig, deshalb kann ein Bundeskanzler, kann eine Bundesregierung hierzulande auch nicht durchregieren. Und Unterschiedlichkeit kann ja auch Vorteile haben.
Also zum einen ist die Pandemielage ja auch unterschiedlich etwa in den Bundesländern, warum soll man da nicht dann auch unterschiedlich reagieren? Zum anderen ermöglichst der Föderalismus ja auch eine Art von Wettbewerb um bessere Problemlösungen. Nehmen Sie gerade mal das Beispiel der Schulen, da geht es ja jetzt vielleicht gar nicht so sehr darum, ob man die Schulen wieder aufmacht, sondern unter welchen Bedingungen jetzt auch pandemieverträglich Unterricht wieder stattfinden kann. Warum sollten Länder dann nicht bestimmte Dinge ausprobieren, wenn die sich bewähren, werden das andere Länder automatisch für sich übernehmen. Da kann der föderale Wettbewerb durchaus auch eine positive Rolle spielen.

Einheitliche Lösungen widersprechen etwas der Grundidee des Föderalismus,

Brandes: Aber woher kommt dann immer wieder auch die Äußerung von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in Umfragen äußern, dass sie sich dort Einheitlichkeit wünschen?
Decker: Das ist ein generelles Problem des deutschen Föderalismus. Das bricht jetzt durch diese besondere Herausforderung der Pandemie noch mal deutlicher hervor, aber wenn Sie Bürger schon vorher gefragt hätten, ob sie es eigentlich gut finden, dass wir unterschiedliche Schulsysteme haben in den Ländern, Sie bekommen immer eine ganz stark Präferenz für einheitliche Lösungen. Das hängt eben auch mit der Geschichte unseres Föderalismus zusammen.
Deutschland war ja ein verspäteter Nationalstaat, dieses Streben nach Einheitlichkeit, nach gleichwertigen, einheitlichen Lebensverhältnissen, das hat in Deutschland immer eine große Rolle gespielt. Um es ein bisschen flapsig zu sagen, wir sind zwar alle froh, dass wir einen Föderalismus haben, aber er soll keine Unterschied machen. Das widerspricht natürlich etwas auch der Grundidee des Föderalismus, bei der es ja darum geht, auch Vielgestaltigkeit zu ermöglichen und sie mit notwendiger Einheitlichkeit zu verbinden.
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Brandes: Es gibt ja im Moment nicht nur Kritik am Föderalismus, sondern auch daran, dass im Moment alle Macht sozusagen in den Händen der Regierungen liegt und eben nicht zum Beispiel bei den Landesparlamenten. Warum nutzen die Landesparlamente nicht ihre Macht, die sie ja eigentlich laut Verfassung hätten, und drängen darauf, dass sie diejenigen sein wollen, die Einschränkungen von Grundrechten beschließen?
Decker: Ja, aber einige Länder haben das mittlerweile auch erkannt. Artikel 80 des Grundgesetzes ermöglicht es, dass man an die Stelle von Rechtsverordnungen auch Gesetze setzt, parlamentarisch beschließt. Und in NRW wird man diesen Weg jetzt ausprobieren, also diese Möglichkeiten bestehen, aber Ihre Frage ist völlig berechtigt. Auch übrigens mit Blick auf den Bund, warum dort die Parlamente ihre Möglichkeiten, die sie haben, nicht wirklich ausreizen. Das hängt natürlich auch ein bisschen mit dem parlamentarischen Regierungssystem zusammen. Da ist es ja so, dass im Grunde die Regierung immer von einer Mehrheit im Parlament getragen wird. Aber wir haben ein ganz grundsätzliches Problem sicherlich mit dieser Form des Exekutivföderalismus, den wir in Deutschland haben.
Das sieht man auch ganz grundsätzlich im Bundesrat, das sind Regierungsvertreter, in den Ministerpräsidenten- und Ministerkonferenzen sind es Regierungsvertreter, die miteinander sprechen, da bleiben die Parlamente in Ländern und im Bund eben ein Stück weit auf der Strecke. Das hat übrigens auch damit zu tun, dass Oppositionsparteien im Bund, nehmen Sie das Beispiel der Grünen, so stark auch in die Länderregierungen mittlerweile eingebunden sind, dass sie dort im Grunde auch keine wirkliche Oppositionspolitik mehr treiben können, denn sie würden sich ja damit am Ende selber widersprechen. Sie können nicht auf der Bundesebene im Bundesrat etwas kritisieren, was sie dann in den Länderregierungen selber mitmachen. Und da haben wir grundsätzlich Probleme, die haben sehr stark eben auch zu tun mit der Veränderung der Parteienlandschaft in diesem Land.

Grenzschließungen können sinnvoll sein

Brandes: Und wenn wir jetzt noch mal auf die Grenzschließungen gucken, die Deutschland jetzt an mehreren Stellen anordnet – Tschechien, Slowakei, Tirol sind jetzt offiziell Mutationsgebiete, das führt zu Einreisebeschränkungen. Und jedes Mal müssen sich da die Bundesländer mit der Bundesregierung absprechen, das Ganze muss man dann noch rechtskonform machen, dass eben auch Klagen dagegen keine so große Aussicht auf Erfolg haben. Stimmt der Vorwurf, dass unser liberaler Rechtsstaat zu langsam ist für die Pandemie?
Decker: Das ist eine … Da bräuchten wir dann noch mal ein längeres Interview. Die Demokratie, die auf Zustimmung angewiesen ist der Bürger, auf die Akzeptanz, und auch der liberale Rechtsstaat ziehen den Möglichkeiten des Staates Grenzen. Aber um nur einen Punkt zu sagen: Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans hat gestern gesagt, diese Grenzschließungen sind dumm. Und ich finde, in dieser Pauschalität ist auch diese Äußerung falsch. Denn, was vielleicht an der französischen Grenze oder an der Grenze zu Belgien und Niederlande nicht sinnvoll ist, kann ja durchaus sinnvoll sein mit Blick auf Tirol oder Tschechien. Auch hier hat unser Staat dann die Möglichkeit, unterschiedlich zu reagieren. Darin sehe ich jetzt kein Problem.
Brandes: Das wäre am Ende eigentlich doch wieder ein Argument für den Föderalismus?
Decker: In gewisser Weise ja, denn die Grenzschließungen sind ja Sache des Bundes. Aber auch hier steht natürlich dann der Bund unter einem gewissen Druck der Länder. Wenn Nordrhein-Westfalen sagt, wir wollen diese Grenzschließungen zu den Niederlanden und zu Belgien nicht, wofür es ja auch gute Gründe gibt, dann wird der Bund das nicht so ohne Weiteres gegen den Willen der Länder, die sind ja vor Ort auch näher dran, dann durchsetzen wollen und können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.