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Bekenntnisse eines Italieners

Innerhalb von nur acht Monaten schrieb der 27jährige Ippolito Nievo im Jahr 1858 seine rund 1500 Seiten umfassenden "Bekenntnisse eines Italieners" nieder. Darin ergreift ein feiner alter Herr von über achtzig Jahren das Wort, wendet sich vertrauensvoll an den Leser und lädt ihn ein, an der Rückschau auf sein Leben teilzuhaben. Die neue Übersetzung von Barbara Kleiner ist eine Meisterleistung, die dem Bekenner eine unverwechselbare Stimme mit einer leise vibrierenden Ironie im Umfeld von Jean Paul verleiht.

Von Maike Albath | 22.05.2005
    Ein feiner alter Herr von über achtzig Jahren ergreift das Wort, wendet sich vertrauensvoll an den Leser und lädt ihn ein, an der Rückschau auf sein Leben teilzuhaben. Es handelt sich um Carlo Altoviti, 1775 als Venezianer geboren, verdienter Kämpfer in den napoleonischen Kriegen, italienischer Patriot, von der Liebe in all ihren Schattierungen gebeutelt, gestandener Geschäftsmann, Familienvater und mehrfacher Großvater. Seine Geschichte beginnt in der Republik Venedig, als Italien kaum mehr als ein geographischer Begriff war und in unzählige Staaten zerfiel, und führt uns zuerst ins Hinterland nach Friaul auf das Schloss von Fratta, wo Carlo seine Kindheit verbrachte. Eine kuriose Gesellschaft tritt uns entgegen - sind wir in einer Komödie gelandet? Da gibt es nämlich den stets bramarbasierenden und in einen roten Hausrock gehüllten Grafen, ausgestattet mit einem verrosteten Degen, klirrenden Sporen, Tabakdose und Schnupftuch. Ihm steht ein beflissener Kanzler zur Seite, der seinem Herrn den lieben langen Tag kopfnickend hinterher eilt und ihm bei jedem Nieser gute Gesundheit wünscht. Der dritte im Bunde ist der Bruder des Grafen Monsignore Orlando, ein dicker Würdenträger von ausgesuchter Hässlichkeit, dessen geistliche Fürsorge einzig und allein der Bratensauce gehört. Komplettiert wird die kleine Gemeinschaft durch die gestrenge Gräfin, eine missgünstige, berechnende Person und wie viele Venezianerinnen der Spielsucht verfallen, unter der Carlo als uneheliches Kind ihrer verstorbenen Schwester und unerwünschtes Anhängsel der Familie besonders zu leiden hat. Die jüngste Tochter Pisana ist Carlos tyrannische Gebieterin; um ihre Gunst kreist sein gesamtes Kinderleben. Zum Bratspießdrehen in die Küche abgestellt und vom Hauslehrer Fulgenzio eher widerwillig erzogen, erfährt Carlo nur in der Natur eine gewisse Freiheit.

    " Als ich aus der Küche von Fratta zum ersten Mal in die Welt hinausschweifte, schien sie mir über alle Maßen schön. Vergleiche sind immer misslich; aber ich konnte mich damals nicht enthalten, solche anzustellen, wenn nicht in Gedanken so doch mit den Augen, und bei dem zwischen der Küche von Fratta und der Welt zögerte ich keinen Augenblick, muß ich gestehen, der letzteren die Palme zu geben. Erstens ist es von Natur aus so, daß man das Licht lieber mag als die Dunkelheit und die Sonne am Himmel lieber als jedes Feuer im Kamin; zweitens gab es in dieser Welt aus Wiesen, Blumen, Luftsprüngen und Purzelbäumen, in die ich meinen Fuß setzte, weder die vortrefflichen scharlachroten Rockaufschläge des Grafen noch die Strafpredigten des Monsignore wegen des Confiteor; weder Verfolgung durch Fulgenzio, noch die wenig angenehmen Liebkosungen der Gräfin; und auch keine Kopfnüsse von den Kammermädchen. Schließlich: lebte ich in der Küche als Untertan, so fühlte ich mich ein paar Schritte weiter als eigener Herr, konnte nach Herzenslust durchatmen und sogar niesen, mir dabei: "Gesundheit, Euer Exzellenz!" sagen und mir antworten: "Danke", ohne daß irgendjemand so viele Umstände ungebührlich gefunden hätte. Die guten Wünsche, die der Graf bei den glücklichen Anlässen seines Niesens entgegen nahm, waren für mich schon von klein auf Grund zum Neid gewesen; denn mir schien, ein Mensch, dem man so viele schöne Dinge wünsche, müsse sehr bedeutend und unendlich verdienstvoll sein. Im späteren Leben habe ich diese seltsame Meinung berichtigt; doch geht es nach dem Gefühl, so kann ich heute noch nicht in Ruhe niesen, ohne daß sich in mir ein gewisser Wunsch regt, von vielen Stimmen Gesundheit und ein langes Leben gewünscht zu bekommen. Der Verstand wird erwachsen und altert; das Herz bleibt immer ein Kind."

    In einem tänzelnden Plauderton und gemächlich voranschreitenden Satzgirlanden entspinnt Carlo Altoviti die Geschichte seiner Kindheit, berichtet von Scharmützeln der feindseligen Familie, reiht Anekdoten und Sottisen aneinander und spart nicht an amüsanten Seitenhieben und entlarvenden Schilderungen der maroden venezianischen Gesellschaft. Über den Ausflügen in die ursprüngliche Natur des Friaul mit seiner wilden Schönheit liegt ein ganz eigener Zauber - was für ein Gegensatz zu den erstarrten Sitten in den Salons. Dort deutet alles auf den nahenden Untergang hin: übereifrig imitieren die adligen Herrschaften die Gepflogenheiten der Serenissima, aber die hochaufgetürmten Perücken, endlosen Kartenspiele und affektierten Konversationen voller Bonmots sind kaum mehr als eine Karikatur dessen, was die prunkvolle Handelsmetropole an der Adria einmal darstellte. Mit behaglicher Ironie und großer Eleganz entwirft Ippolito Nievo, 1831 als Abkömmling eines venezianischen Patriziergeschlechts in Padua geboren, sein farbenprächtiges fiktionales Panorama und arbeitet gleich noch eine bissige Gesellschaftsreportage mit ein. Mit seinem 1.500seitigen Hauptwerk Bekenntnisse eines Italieners gelingt dem Juristen, Publizisten und Verfasser einiger Gedichtzyklen und Erzählungen eine atemberaubende Mischung aus zeitgenössischer Milieustudie, Abenteuergeschichte, Memoirenliteratur und ländlichem Sozialroman. Die unzähligen Verästelungen und Verzweigungen der Geschichte haben Prinzip. Als Verehrer von Laurence Sterne prägt Nievo nicht nur eine italienische Spielart der zwanglosen Abschweifung, sondern knüpft mit seinen Genrebildern und dem Lob auf die Tugenden des einfachen Menschenschlags auch an einen volkstümlichen Begriff von Literatur an, wie er in Frankreich gerade in Mode kam. Nievo ist bewusst anti-elitär: von tiefer demokratischer Gesinnung getragen, will er die geschichtlichen Zusammenhänge auf zugängliche Weise darlegen, ohne über die Kluft zwischen Landbevölkerung und aufgeklärtem Bürgertum hinwegzutäuschen. Von Rousseaus pädagogischem Entwurf des unverdorbenen "homme naturel" hält er gar nichts - im Gegenteil, Erziehung und Bildung sind Schlüsselbegriffe. Das legt er lang und breit am Beispiel von Carlos verzogener Cousine Pisana dar, deren kapriziöses Wesen durch mangelnde Anleitung noch verstärkt wird. Ihrem Charme tut das allerdings keinen Abbruch: Die glutäugige Pisana hält Carlo auch als Erwachsenen in Atem und bringt ihn dauernd um den Verstand. Lange Zeit galt er ohnehin als unstandesgemäßer Heiratskandidat, aber kurz vor dem Einmarsch der Franzosen in Venedig 1797 taucht plötzlich Carlos Vater aus der Versenkung auf. Angetan mit türkischen Beinkleidern und unaufhörliche kaffeetrinkend entpuppt er sich als ein einflussreicher Angehöriger der venezianischen Oligarchie und potenter Kaufmann, der seinem Sohn sofort Zugang zur Führungsschicht der Stadt verschafft. Aber Pisana gefällt sich in der Rolle der umschwärmten Dame und vermählt sich mit dem greisen Baron Navagero, bis sie eines Tages panisch an Carlos Tür klopft und ihn anfleht, ihr Schutz zu gewähren.

    "Was das bedeutet?" antwortete Pisana mit solcher Wut in der Stimme, daß sie die Worte nur mühsam zwischen den Zähnen hervorstieß. "Das will ich dir erklären, was das bedeutet! Ich habe meinen Mann verlassen, ich bin meiner Mutter überdrüssig, meine Verwandten haben mich verstoßen. Jetzt bleibe ich bei dir....!" "Um Himmels willen" war mein erster Ausruf, ich erinnere mich noch ganz genau, als wäre es gestern gewesen; ich erinnere mich aber auch, daß Pisana das überhaupt nicht übelnahm und sich nicht im geringsten von ihrem Entschluß abbringen ließ. Was mich selbst angeht, so war es wohl nicht verwunderlich, daß ein so plötzlicher Umsturz der ganzen Situation mich in schmerzliche Verwirrung stürzte, die vorerst alle Freude und Furcht überwog. Wie auch immer, ich fühlte mich so sehr aus meiner gewohnten Sphäre gerissen, daß es mir die Kehle zuschnürte; und erst ein paar Augenblicke später hatte ich mich so weit gefasst, daß ich Pisana zu fragen vermochte, welchem Umstand ich es zu verdanken hätte, daß ich ihr in irgendeiner Weise nützlich sein konnte. "Nun", antwortete sie, "du weißt ja schon, daß ich gelegentlich sogar aufrichtig bin, dann wieder verlogen, im allgemeinen aber verschlossen und zurückhaltend. Heute will ich dir nichts mehr verschweigen: Mir liegt das Herz auf der Zunge, und es ist gut, daß du mich endlich von Grund auf kennen lernst. Ich habe geheiratet, um dich zu ärgern und meiner Mutter einen Gefallen zu tun, aber das sind Racheakte und Opfer, derer man rasch überdrüssig ist, und bei meinem Temperament kann man unmöglich vierundzwanzig Stunden am Tag einen alten gebrechlichen Mann gern haben. Von Signor Giulio habe ich mir, weil du für ihn eingetreten bist, ein paar Huldigungen gefallen lassen, aber ich war wütend auf dich; und dann erst auf deinen Schützling....! Außerdem quoll mir das Herz über von Vaterlandsliebe und Freiheitsbegeisterung, während mein Mann mit seinem Husten mir Ruhe und Mäßigung predigte, da man nicht wissen könne, wie sich die Dinge entwickeln."

    Sie ist geschwätzig, rachsüchtig, galant, spontan, schlagfertig, mutig, intelligent, von berückender Schönheit und unberechenbar - kurzum, ein faszinierendes Geschöpf und eine der schönsten Frauengestalten der italienischen Literatur. Anders als sein berühmter Kollege Alessandro Manzoni, der mit seiner herzensguten Lucia, die kein Wässerchen trüben kann, das Ideal der katholischen Weiblichkeit formulierte, prägt Nievo ein ganz anderes Bild. Ihm gelingt mit Pisana eine in sich zerrissene Figur, die den Geist der Zeit verkörpert und verblüffend modern wirkt. Die Liebesgeschichte mit Carlo bildet den dynamischen Kern der Bekenntnisse eines Italieners - ihre Trennungen, Zerwürfnisse, Enttäuschungen und seligen Vereinigungen, die immer nur von kurzer Dauer sind, geben den Rhythmus der Verwicklungen vor. Dass Pisana lange vor Carlo stirbt und ihn zuvor in die Ehe mit einer anderen Frau treibt, ist den Forderungen des Entwicklungsromans geschuldet: schließlich muss Carlo zu sittlicher Reife gelangen und überdies ein patriotisches Gewissen herausbilden, dem alle privaten Empfindungen unterzuordnen sind. Aber Pisana mit ihrem anarchischen Temperament kann das nichts anhaben - stillschweigend unterläuft Nievo die Konventionen und lässt seine Heldin wie einen Wirbelwind durch die Kapitel fegen. Immer wieder bringt sie Carlo von seinen politischen Missionen und Bestimmungen ab. Als dieser sie mitten im Krieg in letzter Minute aus den brennenden Trümmern eines Hauses rettet, überschüttet sie den vermeintlich untreuen Freund mit Vorwürfen:

    " Sie fühlte sich durch meine Miene überhaupt nicht gedemütigt; im Gegenteil, stolz wie eine beleidigte Jungfrau, zog sie die Augenbrauen hoch: "Ach ja, du liebst mich also? rief sie. "Frevler, Verräter, Meineidiger! Der Himmel möge deine Lügen hören und sie dir wie glühendes Blei in die Kehle gießen...! Du hast mich mit Füßen getreten wie eine Sklavin, du hast mich betrogen wie ein dummes Ding; an meiner Seite, ja, in meinen Armen hast du auf Verrat gesonnen, den du dann auch begingst...! Oh, du kannst dich glücklich preisen, daß sich ein Mann zwischen dich und mich gestellt hat! Daß er mir die Rache aus der Hand genommen hat und eine andere bot, die meine Schande, meine tägliche, stündliche Qual ist! Sonst hätte ich dir am Busen deiner Buhlin einen Dolch ins Herz gesenkt; und so viel Kraft war in diesem Arm, daß er mit einem Stoß euch beide vernichtet hätte...! Geh, jetzt geh!""

    Doch die wutschnaubende Pisana hat Carlo umsonst betrogen, denn die Konkurrentin ist niemand anderes als Carlos Halbschwester. Zahlreiche Deus-ex-macchina-Coups dieser Art halten den Leser bei der Stange: Atemlos stolpern wir mit Carlo von Schauplatz zu Schauplatz quer über die Halbinsel, besichtigen Mailand, Rom, Neapel und Bologna, verfolgen Parallelhandlungen, machen Bekanntschaft mit einer ganzen Armee von Helden, nehmen Anteil an Liebeshändeln, lauschen Dienstbotengeschwätz, zittern im Kampfgetümmel um Carlos Leben und freuen uns über seine Karrieresprünge im Verwaltungsapparat. Kaum ist er mit Pisana glücklich vereint, kaum sind die ersten Gehälter verprasst, fordert Pisanas todkranker venezianischer Ehemann seinen Tribut und zwingt die abtrünnige Gattin zur Krankenpflege, weigert sich aber jahrelang zu sterben. Witzige Einfälle in Goldoni-Manier machen die Lektüre zu einem höchst erbaulichen Unterfangen - der rasante Zickzackkurs von Carlos privatem Geschick findet in dem nicht minder überraschenden Wechselfällen der Historie seine Entsprechung. Auf jeden Aufstieg folgt ein tiefer Fall. Nachdem sich Napoleon zum Kaiser krönen lässt, tritt Carlo von allen Ämtern zurück, die Hoffnungen auf ein vereintes Italien sind zerstoben, Armut, Krankheit und Exil stehen auf dem Programm. Doch dann wendet sich das Blatt wieder, und in Siebenmeilenstiefeln eilt die große und die kleine Geschichte voran. Dass Ippolito Nievo mit dem als Bastard gebrandmarkten Carlo einen ausgemachten Anti-Helden mit der Erzählung betraut, ist ein origineller dramaturgischer Schachzug. Seine Froschperspektive erlaubt ihm überhaupt erst die Erkenntnis, wie verwahrlost die Eliten sind. Dies ist der erste Schritt zu eigenverantwortlichem Handeln, wobei er nicht nur in seiner Liebeskrankheit menschliche Schwächen zeigt, sondern auch sonst immer mal wieder strauchelt. Seine Empfänglichkeit für politische Herausforderungen teilt er mit seinem Erfinder: Ippolito Nievo war ein kämpferischer Anhänger des Risorgimentos, wollte nach den gescheiterten Unabhängigkeitskriegen von 1848/49 die allseits herrschende Lähmung überwinden und moralische und ideologische Hilfestellung leisten. Innerhalb von acht Monaten schrieb der 27jährige in einem Handstreich die Bekenntnisse eines Italieners 1858 nieder, um sich bald darauf Garibaldi anzuschließen und in seinem Gefolge den Befreiungskampf in Sizilien auszufechten. Gerade noch hatte er seinen lebenssatten Helden über den Tod sinnieren lassen, da kommt Nievo bei der Überfahrt von Palermo nach Neapel 1861 mit knapp dreißig Jahren tragisch ums Leben. Sein großes literarisches Vermächtnis erscheint 1867; die Entstehung des italienischen Nationalstaates, die er in seinem Werk immer wieder beschwört, sollte er nicht mehr miterleben. Die Bekenntnisse sind der wichtigste Roman über das italienische Risorgimento, jener hochinteressanten aber unendlich komplizierten historischen Periode, die der nationalen Einigung voran ging. Es liegt an Nievos narrativer Gestaltungskraft, dass der dickleibige Lebensabriss weder in einem politischen Pamphlet, noch in einem Schlachtenkalender oder gar in einem Historiendrama erstarrt, sondern ein äußerst witziges, kurzweiliges, lebendiges Gebilde darstellt, das sich wie ein überdimensionales Wandgemälde in alle Richtungen ausdehnt und zugleich die Eigenarten Italiens einfängt.

    " Am nächsten Tag tot oder nicht - an jenem Abend wurde tüchtig getanzt, so daß mir oft mein liebes Friaul in den Sinn kam und die berühmten Kirchweihfeste von San Paolo, Cordovado oder Rivignano, wo getanzt und getanzt wird, bis man Bewusstsein und Schuhe verliert. Auch Neapolitaner und Apulier verstehen zu tanzen; und vom nördlichsten bis zum südlichsten Zipfel unseres armen Italien sind wir gar nicht so verschieden, wie man uns weismachen will, ja, es gibt die erstaunlichsten Übereinstimmungen, wie man sie bei kaum einer anderen Nation antrifft. So besitzt ein Bauer aus dem Friaul den ganzen Geiz und Starrsinn eines Genueser Kaufmanns, ein venezianischer Gondoliere die geschliffene Redekunst eines Florentiner Stutzers, und ein Veroneser Makler und ein Baron aus Neapel kommen sich an Prahlerei so nahe wie ein Häscher aus Modena und ein römischer Priester an Durchtriebenheit. Piemontesische Offiziere und Mailänder Literaten besitzen dieselbe steife Würde, dasselbe anmaßende Gehabe; Wasserträger aus Caserta und Bologneser Doktoren wetteifern in Beredsamkeit, kalabrische Briganten und Gebirgsjäger aus Aosta in Mut, neapolitanische Tagediebe und Fischer aus Chioggia in Geduld und Aberglauben. Und dann die Frauen, ach, die Frauen! Sie sind von der Art der wahren Frauen, nicht Automatenfrau, nicht Kalkülfrau oder Mannweib, wie in Frankreich, England und Deutschland üblich. Was die Herrschaften aus dem Ausland auch immer sagen mögen, wohin kommen denn ihre Dichter, um ein Quentchen Liebe zu ergattern....? Hier zu uns, denn nur in Italien leben Frauen, die Liebe zu wecken und zu erhalten wissen. "

    Ippolito Nievos wucherndes Werk ist auch in sprachlicher Hinsicht verblüffend. Er ist ein früher Vertreter stilistischer Polyphonie, schert sich nicht um die klassische Schriftsprache Toskanisch und Forderungen der sprachlichen Reinheit, sondern mischt gehobene und niedere Ausdruckweisen unterschiedlichster Sphären und wartet mit einer Fülle von verschiedenen Soziolekten, dialektalen Eigenarten und syntaktischen Fügungen aus der gesprochenen Sprache auf. Anders als Manzoni, der in seiner Purismusmanie sogar nach Florenz reiste, dort seine Brautleute dem Toskanischen anglich und noch einmal umschrieb, schaut Nievo dem Volk aufs Maul und zimmert unbekümmert mehrere literarische Genres zu einer neuen Form zusammen - ein überaus vitales Buch ist das Ergebnis. Ermüdende Längen, Wiederholungen und Ungereimtheiten hängen mit Nievos plötzlichem Tod zusammen; zu einer Durchsicht oder gar Überarbeitung des Manuskripts war es nicht mehr gekommen. Hat man erst einmal in das erzählerische Universum hinein gefunden und sich mit Carlo, seiner launenhaften Geliebten, der zeternden Ehefrau und den wagemutigen Nachkommen angefreundet, stört das die Lektüre kaum. Das liegt aber vor allem an der Übersetzerin Barbara Kleiner. Ihre neue Übertragung der Bekenntnisse eines Italieners ist eine Meisterleistung. Sie gibt dem achtzigjährigen Autobiographen ein unverwechselbare Stimme mit einer leise vibrierenden Ironie irgendwo im Umfeld von Jean Paul. Mit komödiantischem Talent macht Kleiner aus den mundartlich gefärbten Dialogen des Originals auch im Deutschen kurzweilige Ping-Pong-Spiele. Durch ihr Gespür für die Aura altertümlicher Formulierungen setzt sie Ausdrücke wie "gerüttelt Maß" oder "mich dauert" oder idiomatische Wendungen wie "lange Zähne" ein und verleiht dem Roman eine zeitgeschichtliche Tiefe. Wer der Entstehung Italiens literarisch auf die Spur kommen will, sollte sich in ihre Hände begeben und Carlo Altovitis leichtfüßigen Plaudereien über das private Antlitz der Zeitläufte Gehör schenken.

    Ippolito Nievo, Bekenntnisse eines Italieners. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Mit einem Nachwort von Klaus Harprecht. Manesse Verlag Zürich 2005. 1476 Seiten, zwei Bände. 53,80 Euro