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Belagerung von Ost-Aleppo
"Das ist nun wirklich reiner Terror und reine Brutalität"

Bei einer Belagerung wie im Osten der syrischen Stadt Aleppo gehe es darum, die totale Ohnmacht des Gegners zu erreichen. Als Gegner würden dabei all jene gelten, die der anderen Gruppe angehörten, ob bewaffnet oder unbewaffnet, sagte die Politikwissenschaftlerin Beatrice Heuser im DLF. Diese Art von Krieg solle nur zum eigenen Triumph führen und stehe einem dauerhaften Frieden nach dem Krieg völlig entgegen.

Beatrice Heuser im Gespräch mit Michael Köhler | 04.12.2016
    Zahlreiche syrische Familien fliehen vor den Kämpfen und Luftangriffen aus dem Ostteil der syrischen Stadt Aleppo.
    Zahlreiche syrische Familien fliehen vor den Kämpfen und Luftangriffen aus dem Ostteil der syrischen Stadt Aleppo. (AFP / George Ourfalian)
    Michael Köhler: Warum werden Kriegsparteien belagert? Sollen sie gelähmt, isoliert, erniedrigt, unterworfen werden? Warum wird dieses strategische Mittel so erbarmungslos angewendet?
    Beatrice Heuser: Bei der Belagerung spielt eine ganz große Rolle ein Antrag oder ein Ansinnen auf Legitimität. Man möchte als legitim anerkannt werden von der größtmöglichen Bevölkerung und bei einer Belagerung findet man nun wirklich die Bevölkerung selber, die sich diesem Legitimitätsanspruch widersetzt. Und dadurch ist durch die Jahrhunderte eine sehr seltsame Tradition, ist hervorgekommen, in der diese Belagerungen ganz besonders grausam ausgeführt werden, wenn sich die belagerte Stadt nicht ergibt. Das ist eine Sache, die sehr kurios ist und die auch im Kontrast steht zu viel humanerer Behandlung von anderen Bevölkerungen. Durch die Jahrhunderte hat es zum Beispiel eine Tendenz gegeben zu sagen, man sollte die nicht bewaffnete Bevölkerung, also Bauern, Fischer, Handwerker, Händler und sogar Studenten, möglichst vom Krieg unbehelligt lassen, aber die Stadtbevölkerungen von belagerten Städten wurden dann immer ausgenommen, wenn sich die Stadt nicht ergeben hatte, und das ist eine kuriose Sache, die sich noch weiterentwickelt hat, oder sich noch weiter justiert hat, obwohl 1907 in der Haager Landkriegsordnung nun wirklich ganz klar Stellung genommen ist gegen solche Behandlungen.
    Haager Landkriegsordnung von 1907 schützte Zivilisten
    Köhler: Das ist eine internationale Vereinbarung, die das Gemetzel eigentlich verbietet, auf die Sie gerade anspielen, die aber irgendwie nicht wirkungsvoll durchgesetzt werden konnte.
    Heuser: Ganz genau. - Kurioserweise hat zum Beispiel Deutschland keine Städte belagert im Zweiten Weltkrieg, die dieser Haager Landkriegsordnung beigetreten waren, Städte der Länder, die beigetreten waren. Die Belagerungen, die besonders brutal ausgeführt wurden - man denke an Leningrad und Stalingrad -, die wurden immer erklärt, das heißt, die Deutschen haben sich wenig gerechtfertigt, aber das gesamte Verhalten der Deutschen an der Ostfront wurde immer damit erklärt, dass die Sowjetunion ja dem nicht beigetreten sei.
    Köhler: Mit Bomben und Bodentruppen erobert das syrische Regime und seine Verbündeten Ostaleppo von den Rebellen zurück. Die russischen und syrischen Kampfflugzeuge sind mit einem Dauer-Bombardement dabei. Wenn wir in die Geschichte gucken, auch in die Literaturgeschichte, fällt mir ein: Von Arminius und Varus, von der Hermannsschlacht von Heinrich von Kleist, einem antinapoleonischen Stück, das übrigens das meist aufgeführte Stück während des NS-Reiches war, von Revolutionskriegen Napoleons bis auch zum Assad-Regime von heute hält sich diese Strategie der Belagerung. Was soll damit gemacht werden, eine Erhebung der Herzen, ein affektiver Kampf? Was ist das?
    Den Gegner "bis zum Kind in der Wiege verfolgen"
    Heuser: Genau das Gegenteil. Ich meine, man kämpft gerade nicht um die Herzen und Gemüter derjenigen, die belagert werden. Das ist nun wirklich reiner Terror und reine Angsteinflößung und reine Brutalität. Man will die anderen wirklich dazu zwingen, Sie hatten es vorhin recht trefflich gesagt: Erniedrigung und totale Ohnmacht des Gegners möchte man erreichen dabei. Und es ist wirklich eine ganz besonders zugespitzte Art dessen, den Gegner zu bestrafen, wobei der Gegner ganz nazihaft und ludendorffisch gesehen wird als alle die, die der anderen Gruppe angehören, ob sie nun bewaffnet sind oder unbewaffnet sind. Ludendorff hat gesagt, bis hin zum Kind in der Wiege müsste man sie verfolgen, und das ist ganz klar, wie diese Schlacht ausgeführt wird. Es gibt andere Beispiele, die nach der Verabschiedung der Haager Landkriegsordnung 1907 passiert sind, aber immer wieder wurden sie dann durchgeführt durch Regime, die dann gesagt haben oder sich besonders auf die Seite der brutalen Kulturen bekannt haben und das irgendwie dann auch richtig fanden und gut fanden, dass die gesamte Gegenbevölkerung verteufelt wurde.
    Es gibt eine zusätzliche Problematisierung bei dieser Sache, und das ist, dass in ganz starkem Maße gerade bei Belagerungen natürlich Kämpfer und Nichtkombatanten vermischt sind, dass die Zivilbevölkerung vermischt ist mit denen, und daher gibt es dieses berühmte Buch von Sir Rupert Smith, der geschrieben hat, "War amongst the people", dass wir es besonders oft antreffen, dass Krieg stattfindet oder dass Kampfhandlungen ausgetragen werden von Leuten, die dauernd andere Zivile als ihren menschlichen Schild, "Human Shield" benutzen.
    "Es gibt ja ein großes Land, das das Assad-Regime unterstützt"
    Köhler: Nach rund vier Monaten Belagerung sind Nahrungsmittel fast völlig aufgebraucht. Versorgung ist zusammengebrochen, die medizinische Versorgung ist auch aufgebraucht. Das Regime nimmt in Kauf, dass eine internationale Öffentlichkeit das mitbekommt, das verurteilt, aber dennoch wird daran festgehalten.
    Heuser: Es ist ja eine internationale Öffentlichkeit, die das verurteilt, zerspalten und zersplittert. Wir sind ja gar nicht alle dieser Meinung. Es gibt ja ein ganz wichtiges großes Land, das das Assad-Regime unterstützt, und von daher ist das Regime nicht isoliert und braucht auch gar nicht etwa Angst zu haben, dass Assad in nächster Zukunft dann dafür vor ein internationales Gericht gestellt wird. Das ist ja gerade wichtig, dass er diesen Rückhalt plötzlich hat jetzt wieder, den er vor zwei, drei Jahren nicht hatte.
    Köhler: Noch einmal die Frage: Warum wird daran festgehalten? Es gibt angeblich Flugblätter, auf denen zu lesen ist: "Wenn ihr diese Gebiete nicht sofort verlaßt, werdet ihr vernichtet." Das ist doch eine Form von Kultur-Atavismus, von der man denkt, sie sei im 20. oder 21. Jahrhundert längst überwunden.
    "Es ist irgendwann sehr schwierig, die einzelnen Kämpfer herauszupicken"
    Heuser: Andererseits hatten wir das doch im 20. Jahrhundert noch im Zweiten Weltkrieg, genau solche Kampagnen, dass solche Flugblätter gedruckt wurden und gesagt wurde, wenn ihr nicht diese Gegenden verlasst und möglichst auch noch auf eure Region Druck ausübt, den Krieg aufzugeben, dann werdet ihr bombardiert. Von daher ist das nicht so lange her, dass wir das noch hatten. Aber andererseits, Sie haben völlig recht. Das ist etwas, was wir im Westen eigentlich vergessen glaubten, aber es ist durchaus nicht vergessen.
    Ich werde übrigens bei dieser Belagerung von Aleppo durchaus erinnert an das Problem, das man auch hatte, die Regierung von Sri Lanka hatte mit den Tamil Tigers, wo das Problem war, wie konnte man deren ganz und gar Herr werden, und dass dann am Schluss eine Handlung ausgeführt worden ist, wo die insgesamt mit ihren eigenen Familien umgebracht wurden, dass es irgendwann sehr schwierig ist, die einzelnen Kämpfer herauszupicken und die anderen am Leben zu lassen. Die Sri Lankanische Regierung wird deswegen wahrscheinlich vor ein Kriegsgericht gestellt. Aber das ist etwas, eine Gefahr, die ein Regime unter Umständen eingeht, wenn sie denkt, dass die Alternative ist, sowieso selber gestürzt zu werden.
    Köhler: Frau Professor Heuser, Sie haben über asymetrische Kriege publiziert. Sie haben ein wichtiges Buch geschrieben: "Den Krieg denken". Was ist eigentlich nach so einer Belagerung? Wer belagert, macht der sich eigentlich auch Gedanken darüber, wie es danach weitergehen soll? Eine Befriedung ist doch nahezu unmöglich, oder?
    "Hier geht man davon aus, dass diese Leute ausgelöscht werden sollen"
    Heuser: Eine Befriedung sehe ich auch als unmöglich, gerade mit diesen Leuten. Eine Befriedung, das ist eine Sache, die wir aus dem Auge verloren haben, beziehungsweise die ganze Kulturen aus den Augen verloren hatten. In der Antike hieß es bei Aristoteles, dass der Sinn eines Krieges nur ein besserer Friede sein kann. Dieser Gedanke ist aber immer wieder Regimes abhandengekommen und Kriegführenden abhandengekommen und hier geht man ganz klar davon aus, dass diese Leute möglichst ausgelöscht werden sollen, weil sie ja sowieso nur ein Rebellengesindel sind und irgendwie sich dem Regime widerstellt haben für so lange Zeit. Es ist offensichtlich:
    Auch bei Nazi-Deutschland war ja nie eine Frage, ob man gut leben könnte mit den eroberten Gebieten und ob etwa die Polen Stimmrecht haben sollten oder die Ukrainer oder sonst irgendjemand. Man ging nie davon aus, dass man eine schönere Gesellschaft für die Unterlegenen schaffen würde. Diese gesamte Einstellung des Krieges, der eigentlich nur zum eigenen Triumph führen soll, die leider im 19. Und 20.Jahrhundert sehr stark war, ist immer noch bei uns und ist etwas, was einem beständigen Frieden nach dem Krieg völlig entgegensteht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.