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Belarus
Der Druck auf Lukaschenko wächst

In Belarus sind am Abend erneut tausende Menschen gegen Präsident Lukaschenko auf die Straße gegangen. Sie forderten seinen Rücktritt. Inzwischen gibt es auch erste Personen aus dem weiteren Umfeld des Präsidenten, die sich auf die Seite der Protestierenden stellen.

Von Florian Kellermann | 18.08.2020
Oppositionelle Aktivisten nehmen am 17.8.2020 in Minsk an einer friedlichen Demonstration teil.
Oppositionelle Aktivisten nehmen am Montag in Minsk an einer friedlichen Demonstration teil (imago-images/Itar Tas)
Tausende versammelten sich am Eingang eines Polizeigefängnisses in Minsk. "Freiheit, Freiheit", skandierten sie. Die Protestierenden gingen davon aus, dass immer noch viele von ihnen festgehalten würden. Auch deshalb, weil viele in der Haft schwer misshandelt worden seien und das Regime sie nicht der Öffentlichkeit präsentieren wollte.
Nils Schmid, SPD-Bundestagsabgeordneter
"Volksbewegung in Belarus erinnert an Wendezeit in Osteuropa"
In Belarus droht nach Ansicht von SPD-Außenpolitiker Nils Schmid kein Szenario wie 2013 in der Ukraine. Die Machtkonstellation im Land sei so, dass vieles für das Modell "Runder Tisch" spreche, sagte Schmid im Dlf.
Die Internetseite "tut" veröffentlichte die Aussage eines leitenden Polizeibeamten, mit Name und Dienstgrad. Sie wirft ein Licht auf die Ereignisse, vor allem die brutalen Festnahmen in der ersten Hälfte der vergangenen Woche.
"Schon bevor der Wahlkampf begann, sind wir ideologisch vorbereitet worden – auf einen Krieg gegen unsere eigene Nation. Man sagte uns: Wenn die Staatsführung die Macht verliert, dann werde man jeden von uns am Baum am Straßenrand aufhängen. Deshalb müssten wir die Machthaber mit allen Mitteln verteidigen. Angesichts dessen wollte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben und bin einfach nicht mehr zum Dienst erschienen."
Brutale Niederschlagung von langer Hand geplant
Demnach war die brutale Niederschlagung der Demonstrationen von langer Hand geplant.
Der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko versucht indes, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Schon am Sonntag hatte er Anhänger in die Hauptstadt Minsk gerufen. Beamte sollen dabei genötigt worden sein teilzunehmen. Dennoch war die Veranstaltung deutlich kleiner als die der gegen Lukaschenko Protestierenden. Gestern dann besuchte der Amtsinhaber Fabriken, wo ein großer Teil der Mitarbeiter in den Streik getreten war. Immer wieder wurde er dort ausbuht. Der 65-Jährige schien überrascht über die ihm gegenüber so feindselige Stimmung.
Dabei sendete Lukaschenko entgegengesetzte Signale aus. Einerseits erklärte er, man müsse ihn schon umbringen, damit die Präsidentschaftswahl wiederholt werden könne. Andererseits stellte er Neuwahlen in Aussicht – aber erst nach einer Verfassungsänderung. Im Gespräch mit Arbeitern sagte er:
"Wir sollten eine neue Verfassung annehmen. Ihr solltet sie bei einer Volksabstimmung beschließen. Und auf ihrer Grundlage können wir dann, wenn ihr wollt, Neuwahlen abhalten, Präsidentschaftswahlen, Parlamentswahlen und Kommunalwahlen."
Ablenkungsmanöver oder ernstgemeinte Bedingungen
Beobachter interpretierten diese Aussage unterschiedlich. Lukaschenko formuliere bereits seine Bedingungen für mögliche Verhandlungen mit der Opposition, meinten einige. Andere sahen darin nur ein Ablenkungsmanöver, mit dem der Präsident die Menschen beruhigen wolle. So der Minsker Politloge Walerij Karbalewitsch gegenüber dem Fernsehsender "Doschd":
"Ich sehe keine echte Kompromissbereitschaft. Das heißt, diese Krise kann nur mit dem Sieg der einen oder der anderen Seite enden – Lukaschenko oder die Opposition. Im Moment stehen wir also vor einer weiteren Eskalation."
Der Druck auf Lukaschenko steigt in jedem Fall weiter. Denn inzwischen gibt es erste Personen aus seinem weiteren Umfeld, die sich auf die Seite der Protestierenden stellen – wenn auch bisher keine zentralen Figuren. So kündigte der belarussische Botschafter in der Slowakei seine Loyalität gegenüber Lukaschenko auf, ebenso ein ehemaliger Kulturminister.
Das staatliche Fernsehen konnte gestern allerdings im Lauf des Tages wieder senden. Das Frühprogramm war wegen des Streiks einiger Mitarbeiter ausgefallen.