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Belastungsprobe für Politik und Technik

Die Proteste reißen nicht ab. Täglich finden in der baden-württembergischen Hauptstadt Demonstartionen gegen das Grobauprojekt Stutgart 21 statt. Droht der schwarz-gelben Landesregierung bei den Landtagswahlen 2011 das Abstellgleis?

Von Uschi Götz und Dagmar Rörlich | 03.09.2010
    Seite an Seite stehen die Demonstranten vor dem baden-württembergischen Landtag. Auch vor dem Staatsministerium, dem Amtssitz von CDU Ministerpräsident Stefan Mappus. Junge und ältere Menschen, Akademiker und Arbeiter, erfahrene Protestler und Passanten. Jeden Tag gibt es neue Proteste gegen das Milliardenbahnprojekt Stuttgart21.
    Lügenpack - gemeint sind die Politiker. Alle Parteien im Landtag - bis auf die Grünen. Die waren schon immer gegen das Bauprojekt. Das könnte sich für die Partei auch bei der anstehenden Landtagswahl auszahlen. Gut ein halbes Jahr ist bis dahin noch Zeit – und die langjährige Vorherrschaft von CDU und FDP steht auch wegen Stuttgart 21 auf der Kippe. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des "Stern" käme Rot-Grün auf 48 Prozent, die schwarz-gelbe Regierungskoalition von CDU Ministerpräsident Stefan Mappus kommt in der Umfrage auf 43 Prozent. Gleich nach der Sommerpause gab sich CDU Ministerpräsident Stefan Mappus noch gelassen:

    "Ich bin der Überzeugung, dass das Projekt Zukunft hat, dass es notwendig ist, dass es für Baden-Württemberg von entscheidender Bedeutung ist und dass man die Mehrheit auch von diesem Projekt überzeugen kann. Das möchte ich tun, insofern sehe ich das nicht primär mit einer Wahl, sonst dürften sie in den letzten zwei Jahren vor einer Wahl am besten gar nichts mehr entscheiden."

    Wie lange die Gelassenheit noch andauert, ist fraglich. Hinter den Kulissen wird seit Wochen nach einer Lösung gesucht, die zumindest zur Beruhigung der Lage in Stuttgart beitragen könnte. Taktisch klug hat sich Mappus nun mit den Grünen verständigt. Gemeinsam laden CDU, FPD und Grüne zu Gesprächen am Runden Tisch ein.

    "Weil ich der Überzeugung bin, dass die Bürgerinnen und Bürger, egal ob man für oder gegen Stuttgart21 ist, es auf Dauer nicht akzeptieren, dass man durch Demonstrationen eine Stadt lahmlegt, nicht miteinander redet, nicht nach Lösungen sucht. Sondern ich bin der Überzeugung, dass die Bürger jetzt erwarten, dass man einen Dialog über das Thema Stuttgart21 führt. Da wurden in den letzten 15 Jahren kommunikativ sicher viele Fehler gemacht .. dass man miteinander redet, dass man dort womöglich auch nach Lösungen sucht."

    Die Arbeiten laufen in der Zeit allerdings weiter. Zwar hatten die Grünen in den vergangenen Wochen ein Moratorium gefordert für die Zeit, bis die Kostensituation nochmals geklärt wird. Diese Forderung scheint nun zunächst vom Tisch zu sein. Was gibt es vonseiten der Grünen dann noch zu verhandeln? Winfried Kretschmann, Fraktionschef der Grünen im Landtag:

    "Also die Kostenfrage des Gesamtprojekts. Zweitens: Die verkehrstechnischen Fragen, also das, was der VCD den Stresstest für Stuttgart21 genannt hat. Und drittens – Alternativen. Das sind die drei Schwerpunkte, um die es uns jedenfalls geht."

    Geht es nach dem Willen vieler Projektgegner, so könnte der Kopfbahnhof erhalten bleiben. Das sogenannte Modell K21 der Projektgegner sieht außerdem den Anschluss an die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm vor. Über einen rund 9 Kilometer langen Tunnel durch das Neckartal.

    Allerdings: Das Bahnprojekt in seiner jetzigen Form hat in den 15 Jahren, in denen es vorbereitet wurde, in allen Gremien vom Stuttgarter Gemeinderat über den Landtag bis hin zum Bundestag grünes Licht bekommen. Aus Sicht der Projektgegner ist Stuttgart21 trotzdem ein Symbol für mangelndes Demokratieverständnis der Politiker.

    "So, wie es im Endeffekt abgelaufen ist, wo sage ich mal von oben herab das Stuttgart 21 nur als Wohltat verschrieben wurde, das halte ich nicht für ganz richtig."

    Was klingt, als sei es gerade aufgenommen, ist schon einige Jahre alt. Ähnlich alt wie der Protest gegen das Bauprojekt. Er hat mit den Abrissarbeiten am Nordflügel des Bahnhofs lediglich an Schärfe gewonnen und dadurch bundesweite Aufmerksamkeit erreicht. Naturschützer, kleine politische Parteien im Stuttgarter Gemeinderat und vor allem die Grünen wollten das Projekt bereits 2007 kippen. Die Grüne Kreisvorsitzende Irmela Neipp-Gereke vor drei Jahren:

    "Zunächst wollen wir durchsetzen, dass die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger gefragt werden. Darum geht es uns in erster Linie, dass die Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden können. Denn immerhin wird über dieses Projekt seit 13 Jahren debattiert und wir Grünen sind der Meinung, dass jetzt endlich mal die Steuerzahler, die Stuttgarter Bürgerschaft um ihre Meinung gefragt werden muss."

    In der Folge sammelten die Gegner in einem Bürgerbegehren mehr als 67 000 Stimmen - dreimal so viel wie nötig. Aber die Mehrheit im Gemeinderat - eine Allianz aus CDU, FDP und SPD – lehnte das Bürgerbegehren ab. Und verhinderte damit einen möglichen Bürgerentscheid. Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte den Entschluss des Gemeinderats in einem Urteil. Danach ist der Ärger vieler Bürger in Wut umgeschlagen.
    Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr profitierten die Grünen im Stuttgarter Rathaus von ihrem jahrelangen Widerstand gegen das Bahnprojekt. Sie wurden stärkste Kraft im Gemeinderat. Werner Wölfle, Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Gemeinderat und Landtagsabgeordneter sagte nach der Kommunalwahl:

    "Wir prüfen gerade die juristischen Möglichkeiten, aber ich setze vor allem auf die politische Möglichkeit."

    Wölfle hoffte vergeblich, die SPD sowohl im Stuttgarter Rathaus als auch auf Landesebene würde ihre Haltung zum Projekt überdenken. Die SPD-Parteiführung sprach sich nach einem Parteitag im November 2009 erneut für Stuttgart 21 aus.

    Doch die Reihen in der SPD sind schon lange nicht mehr geschlossen. Denn, je näher die Landtagswahl in Baden-Württemberg rückt, desto unruhiger werden auch die Sozialdemokraten. Der Waiblinger SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer forderte jüngst eine Bürgerbefragung. Zuvor hatte sich bereits der linke Flügel der Landes-SPD für eine erneute Diskussion über das Projekt in der Partei ausgesprochen. Seit dem Parteitag im November des vergangenen Jahres habe sich einiges ereignet, sagt auch Frederick Brütting, Landesvorsitzender der Jusos in Baden-Württemberg:

    "Meine Position ist, dass sich die Grundlagen dieses Parteitagbeschlusses überholt haben, auch durch die Gutachten, die gekommen sind von SMA und Partner, auch durch die Studie des Bundesumweltamtes sind neue Fakten auf dem Tisch. Die sollte auch die SPD diskutieren. Leider wird diese Kritik an den Punkten, die dort genannt worden sind in der SPD–Spitze nicht gehört und man drückt die Kritik weg."

    Denn der Projektsprecher von Stuttgart21 ist - ein SPD-Landtagsabgeordneter. Wolfgang Drexler kämpft seit Jahren unermüdlich, und nach eigenen Angaben ehrenamtlich, für das Bahnprojekt. Und wurde damit auch zum Gesicht von Stuttgart21. Während CDU Ministerpräsident Mappus und Stuttgarts CDU Oberbürgermeister Wolfgang Schuster öffentlich in Deckung gehen konnten, stand Drexler am Pranger. "Drexler du korrupte Filzlaus" steht seit ein paar Tagen in Großbuchstaben auf einem Brückenbogen unter dem der SPD Landespolitiker jeden Tag nach Stuttgart durchfahren muss. Und jeden Tag sind SPD – Ortsverbände fast geschlossen bei den Protestkundgebungen am Bahnhof vertreten:

    "Für uns ist es kein Thema, das nur einen Flügel der SPD angeht, sondern das zieht sich durch die Ortsvereine und Kreisverbände."

    Wolfgang Drexler will sich aber nicht unterkriegen lassen. Auch nicht von seinen Parteifreunden. Es werde eine Diskussion im Landesvorstand darüber geben, sagte Drexler Ende August:

    "Aber, es ist jetzt nicht so, dass es da neue Situationen gibt. Und diejenigen, die sonst immer für Parteitagsbeschlüsse stehen und das sind diejenigen, die müssen halt auch manchmal einen Parteitagsbeschluss akzeptieren. Das gilt genau für die, die für die Öffentlichkeit Parlamentsbeschlüsse zu akzeptieren."

    Die Jusos forderten den SPD-Mann Drexler jüngst dazu auf, seinen Sprecher-Posten bei Stuttgart21 abzugeben. Frederick Brütting:

    "Wir sind aber der Meinung, dass das breit diskutiert wird in der Partei und das braucht auch ein Ventil diese Kritik, die da vorherrscht und die kann erst zum Vorschein kommen, wenn Wolfgang Drexler von seinem Amt als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm und Stuttgart21 zurücktritt."

    Eine politisch verfahrene Situation. Sie könnte in den nächsten Wochen nur dadurch aufgelöst werden, dass sich die SPD im Land möglicherweise neu positioniert. Mit Blick auf die Landtagswahlen. Denn die aktuellen Umfrageergebnisse sagen der SPD gemeinsam mit den Grünen eine Mehrheit im Land vorher. Und da stellt sich natürlich die Frage nach den Bedingungen für ein mögliches Bündnis.
    Grünen-Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann schließt trotz unterschiedlicher Positionen beim Milliardenbahnprojekt Stuttgart21 ein Bündnis mit der SPD nach der Landtagswahl im März 2011 nicht aus. Auch SPD Landesvorsitzender Nils Schmid zeigt sich überzeugt davon, dass das rot – grüne Koalitionsprojekt nicht an den unterschiedlichen Auffassungen zu Stuttgart21 scheitern wird.

    Der Streit zwischen den Parteien und die Proteste auf der Straße sind aber nur eine Seite des Problems. Das andere liegt tiefer. Unter der Erde. Denn der Baugrund unter Stuttgart ist tückisch. Und die Schuld daran trägt ein mehr als 200 Millionen Jahre altes Gestein namens Gipskeuper. In dem steckt das Mineral Anhydrit - und Anhydrit verträgt eines absolut nicht - Wasser:

    "Wenn diese Anhydrite mit Wasser in Berührung kommen, bildet sich aus dem Anhydrit Gips. Dieser Gips hat ein wesentlich größeres Volumen als der ursprüngliche Anhydrit, sodass dieses anhydrithaltige Gebirge bei Wasserzutritt quellen kann und dabei sein Volumen deutlich vergrößern kann."

    Und zwar um mehr als 50 Prozent, erklärt Norbert Vogt, Professor am Lehrstuhl für Grundbau, Bodenmechanik, Felsmechanik und Tunnelbau der TU München. Dabei drängt das quellende Gestein alles in seiner Nähe unaufhaltsam in die Höhe und zur Seite. Verhindern lässt sich das nicht: Sobald man in oder durch diese Schichten gräbt und Hohlräume aushebt, öffnen sich feinste Risse. Durch die gelangt Wasser an die empfindlichen Minerale. Das passiert aber auch ohne Mithilfe des Menschen. Durch natürliche Klüfte und Spalten oder einen Bach, der sich in den Boden eingräbt. Und weil der aus dem Anhydrit entstandene Gips wasserlöslich ist, sind in der Vergangenheit unterirdische Hohlräume entstanden, erläutert Norbert Vogt:

    "Typischerweise sind das kleine Hohlräume, die manchmal auch konzentriert zu etwas größeren Hohlräumen zusammenkommen. Diese Hohlräume können einstürzen, und es kann zu kleinen Erdfällen kommen. Und es kann auch dazu kommen, dass insgesamt eine Bodenstruktur aufgelockert ist und weniger tragfähig wird."

    Die Gegner des Projekts sprechen sogar davon, dass der Untergrund unter Stuttgart löchrig sei wie Schweizer Käse. Hohlräume, quellende Bodenschichten. Das macht die Arbeit nicht gerade leicht:
    Allerdings ist das Phänomen nicht neu: Jeder, der in Stuttgart ein großes Bauprojekt plant, muss damit kämpfen:

    "Es ist so, dass diese Phänomene nun ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt sind. Sie sind auch gerade in und um Stuttgart herum hinsichtlich ihrer Entstehung, ihrer Verbreitung, ihrer Wirkungsmechanismen detailliert wissenschaftlich erforscht und man kann in Stuttgart seit Jahrzehnten mit diesen Phänomenen umgehen","

    sagt Professor Ralph Watzel, Leiter des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg. Aus Ingenieursicht ist Stuttgart 21 von der Größe her sicherlich an der Grenze dessen, was technisch machbar ist. Wie hoch das damit verbundene Risiko ist, wird allerdings sehr unterschiedlich eingeschätzt. So stieg Frei Otto, Stararchitekt und Mitgewinnner des Wettbewerbs für den künftigen Durchfahrbahnhof, medienwirksam aus dem Projekt aus: Er fürchte um Leib und Leben der Stuttgarter. Auch Diplomgeologe Jakob Sierig, Geschäftsführer einer Erdwärmefirma, ist besorgt:

    ""Was gefährlich werden kann, ist der großflächige Ausbau von großen unterirdischen Hohlräumen, denn dadurch kann in dieser problematischen Schicht erstens Risse erzeugt werden und zweitens in diese Risse dann das viele Grundwasser, das hier überall vorkommt, dann kann das eindringen und dann kann diese Schicht quellen und diese unentdeckten Hohlräume, die können dann bei Bautätigkeit auch in größeren Kratern zusammenbrechen."

    Das weckt – nicht nur bei den Kritikern - Erinnerungen an den Einsturz des Kölner Stadtarchivs im Frühjahr 2009. Damals starben zwei Menschen und ein Jahrtausend an Dokumenten landete zwischen Schutt und Grundwasser.

    Bislang haben diese mit dem Stuttgarter Untergrund verbundenen Realitäten die Baulust der Schwaben allerdings nie eingeschränkt.
    Sei es bei einem Hochhaus, einer Tiefgarage oder dem Bau eines jeden beliebigen Tunnels. Ralph Watzel:

    "Wenn Sie die U- und S-Bahnen und die Straßentunnels in Stuttgart nehmen und in ihrer Länge aufaddieren, dann kommt man auf 35 bis 40 Kilometer Länge. Tunnelbau und Tunnelbetrieb in Stuttgart sind kein technisches Neuland, sondern hier bestehen jahrzehntelange Erfahrungen. Aufgrund der topografischen Gegebenheiten in Stuttgart ist es nun so, dass hier wahrscheinlich die meisten Tunnelbauwerke in einer deutschen Großstadt gibt und deshalb wird unter Fachleuten Stuttgart als heimliche Hauptstadt des Tunnelbaus apostrophiert."

    Trotz der notorischen Probleme mit dem Wasser. Stuttgart "sitzt" auf dem zweitgrößten Mineralwasservorkommen Europas, dann ist da noch der unterirdisch fließende Nesenbach, und natürlich das allgegenwärtige Grundwasser, das auch noch ins Neckartal fließt.

    Das Grundwasser ist eine besondere Herausforderung, denn beim Bau der durchaus in mehr als 200 Metern Tiefe verlaufenden Tunnel werden gleich mehrere Grundwasserstockwerke gekreuzt, die eigentlich getrennt voneinander sind: Wird nicht sehr sorgfältig gearbeitet, besteht die Gefahr, dass Verbindungen zwischen diesen Stockwerken geöffnet werden und das Grundwasser neue Wege findet. Die Bauaufsicht wird stark gefordert sein.

    Wer unter diesen schwierigen Bedingungen wie diesen Großes bauen will, dem stehen zwei Methoden zur Wahl. Die eine wurde etwa an der Bodensee-Autobahn von Stuttgart nach Singen genutzt. Nachgeben, erklärt Norbert Vogt:

    "Es ist Wasser in den Untergrund hinein gekommen, das hat dazu geführt, dass dieser Anhydrit sein Volumen vergrößerte und sich zu Gips umgewandelt hat. Das ist ein Prozess, der über viele, viele Jahre geht, und dazu führt, dass die Straßendecke der Autobahn dort sich langsam und stetig anhebt. Das führt dazu, dass die Autobahn alle paar Jahre zumindest einseitig oder einspurig gesperrt werden muss. Man holt dann ein Stück der Straße ab und den Untergrund ein Stück zurück, baut die Fahrbahn wieder neu auf und darf danach wieder mit freier Fahrt für freie Bürger über die Autobahn fahren."

    Bei großen Bauwerken wie mehrspurigen Autobahntunneln sei dieses eingeplante Nachgeben oft die bessere Lösung. Bei den mit S-Bahn-Röhren vergleichbaren Tunneln, wie sie für Stuttgart 21 geplant werden, bietet sich eine andere Möglichkeit an - zurückdrängen:

    "In diesem Fall wählt man gerne ein sogenanntes Widerstandsprinzip und baut die Tunnelschale so stabil, dass sie die Drücke aus dem quellenden Gebirge aufnehmen kann. / Gleichzeitig erwartet man einen Paralleleffekt, dass / die Durchlässigkeit des Gebirges verringert wird, also Wasserwege, die sich während des Aushubs des Tunnels gebildet haben nach und nach wieder abgedichtet haben. Und man rechnet damit, dass damit dieser Schwelprozess nach begrenzter Zeit immer langsamer wird oder vielleicht sogar ganz zum Erliegen kommt."

    Die Anhydritproblematik wird für den rund vier Kilometer langen Fildertunnel akut werden, den zwei Kilometer langen Tunnel nach Ober- und Untertürkheim, den 300 Meter langen Tunnel nach Bad Cannstatt und den einen Kilometer langen nach Feuerbach. Dort, wo der Bahnhof selbst wie ein Pfropfen zwölf Meter tief in den Talboden von Stuttgart versenkt werden soll, soll es im Untergrund keinen Anhydrit mehr geben.

    Die Gegner des Projekts fürchten jedoch, dass der Bahnhof, der wie eine Wanne in die Grundwasser führende Schicht direkt unter der Oberfläche hineingedrückt wird, aufschwimmen könnte. Sie erinnern sich an das, was 1993 bei einem Rheinhochwasser mit dem Schürmann-Bau in Bonn geschah. Der Schürmann-Bau befand sich damals im Rohbau, und das Wasser hob ihn bis zu 70 Zentimeter an. Dann lief auch noch Tiefgarage voll, das Gebäude wurde schwer beschädigt.

    Um das zu vermeiden, muss das Grundwasser rund um den Bahnhof abgepumpt werden: auch das erfordert exaktes Arbeiten, denn der Grundwasserspiegel darf nur unter dem Bahnhof sinken, nicht unter den Gebäuden nebenan, sonst wird ihr Untergrund instabil. Stararchitekt Frei Otto fürchtet, dass sich bei einem Fehler der Bahnhofsturm mit dem Mercedesstern zur Seite neigen wird – so wie der Kirchturm, der 2008 bei den Bauarbeiten für die Köln U-Bahn in Schieflage geriet.
    Eines ist klar: Städtebaulich bietet Stuttgart 21 große Chancen – aber technologisch ist es ein sehr ehrgeiziges Projekt, sagt Norbert Vogt:

    "Ich glaube, dass mit einer guten Ingenieurarbeit, die kompetent gemacht wird, die ohne zu großen wirtschaftlichen Druck geschieht, sondern so viel Freiraum lässt, dass die Ingenieure wirklich ernsthaft über die Probleme nachdenken können, die Zeit und auch eventuell die Experimente, die man dafür braucht, machen dürfen und können, unter solchen Voraussetzungen, dürften die große Herausforderung von Stuttgart 21 und ähnlicher großer Tiefbauvorhaben immer zu meistern sein."

    Stuttgart 21 erfordert eine Meisterleistung – falls die Schwaben sie wollen – dürfen sie nicht auf den Pfennig schauen. Das Beispiel Köln lehrt, was passiert, wenn allein die Kosten regieren.