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Belcanto Opera Festival in Wildbad
Zwei selten aufgeführte Rossini-Opern im Schwarzwald

Der italienische Opern-Komponist Gioacchino Rossini verweilte einige Zeit zur Kur in Bad Wildbad im Schwarzwald. Dort findet inzwischen seit 1989 jährlich ein Rossini-Festival statt - oft mit seltenen Aufführungen. In diesem Jahr wurden Rossinis zweite und dritte Oper überzeugend aufgeführt.

Von Claus Fischer | 16.07.2018
    Zeitgenössische Darstellung des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini (1792-1868)
    Zeitgenössische Darstellung des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini (1792-1868) (dpa / picture alliance)
    Steinerne Treppen mit roten Läufern bespannt, riesige historistische Wandmalereien mit Szenen der griechischen Mythologie - und das alles unter einer monumentalen Kuppel aus buntem Glas. Blickfang in der Eingangshalle des ehrwürdigen König-Karls-Bades in Bad Wildbad ist der Marmorbrunnen, aus dem warmes Heilwasser fließt.
    Vereinzelt kommen Kurgäste und Touristen und füllen mitgebrachte Plastikflaschen. Während – deutlich hörbar – in einem der angrenzenden Räume junge Sängerinnen und Sänger sich auf ihren abendlichen Auftritt vorbereiten.
    "Wir sind hier relativ abgeriegelt in einem kleinen Schwarzwaldtal", Susanna Werger, Mitarbeiterin beim Festival "Rossini in Wildbad".
    "Hier gibt es ein gewisses kulturelles Leben. Allerdings ist das wirklich stark auch auf die regionalen Aktivitäten beschränkt. Rossini bringt hierher so eine Art Qualität von "Großer Oper".
    Rossini war wegen eines Rheumaleidens in Wildbad
    Es war im Sommer 1856, als Gioachino Rossini, der bereits rund zehn Jahre keine Note mehr aufs Papier gesetzt hatte, wegen seines Rheumaleidens nach Wildbad kam, erzählt Festivalintendant Jochen Schönleber. Durch populärmedizinische Lektüre, würde man heute wohl sagen, war der Komponist auf den kleinen Kurort im Schwarzwald aufmerksam geworden.
    "Der Pariser Modearzt Docteur Grandville hat ein Buch über die Badeorte Europas geschrieben, und da wurde das Wasser von Wildbad besonders empfohlen."
    Die mehrwöchige Kur des Komponisten scheint erfolgreich gewesen zu sein.
    "Tatsächlich hat ja Rossini auf deutschem Notenpapier – also nach dem Aufenthalt in Wildbad wieder angefangen zu komponieren, die 'Alterssünden'."
    Der besondere Genius loci lieferte also – wie so oft - die Initialzündung zu einem Klassikfestival. Aber auch die Infrastruktur ist dafür günstig, betont Festivalmitarbeiterin Susanna Werger. Mit der ehemaligen Trinkhalle hat man nämlich für die großen Opernproduktionen einen Raum mit immerhin rund 500 Sitzplätzen zur Verfügung.
    "Dieser Ort wird sonst noch für Ü-30-Partys und Ähnliches benutzt, also es ist eine multifunktionale Halle. Die Stuhlreihen bringen wir selber rein, die Bühne wird jedes Mal neu aufgebaut."
    Frühe Werke werden im historischen Kurtheater Wildbad gezeigt
    In der Trinkhalle werden Rossinis groß besetzten Werke aus seiner reifen Schaffensphase aufgeführt. Für Rossinis frühe Opern, die in ihrer Tonsprache noch stark an Wolfgang Amadeus Mozart oder Domenico Cimarosa erinnern, nutzt man das historische Kurtheater, das 250 Plätze hat und auch durch Spenden des treuen Festivalpublikums restauriert werden konnte. Die Wiedereröffnung vor vier Jahren war, sagt Intendant Jochen Schönleber, der Höhepunkt in 30 Jahren Festivalgeschichte.
    "Als Dame Joan Sutherland die als Schirmherrin übernommen hat. Da waren Richard Bonynge und Dame Joan Sutherland da. Mehr geht nicht."
    Sage und schreibe fünf Musiktheaterproduktionen werden alljährlich im Rahmen des zweiwöchigen Festivals auf die Bühne gebracht. Und das mit einem Budget, wovon ein größeres Opernhaus allenfalls eine einzige stemmen würde, betont der Intendant. Das liegt zum einen daran, dass man vor allem mit jungen Sängern arbeitet, die sich auf das Belcanto-Fach spezialisiert haben, die aber international noch nicht oder nur wenig bekannt sind. Und man ein bezahlbares "Orchestra in Residence" hat, die "Virtuosi Brunensis" aus der tschechischen Stadt Brünn. Den Anforderungen des Frühwerkes Rossini wurden die Musiker in den beiden Premieren am Wochenende voll gerecht.
    Rossinis zweite Oper: "La Cambiale di Matrimonio"
    "La Cambiale di Matrimonio", zu Deutsch "Der Heiratswechsel" ist die zweite Oper, die Rossini komponiert hat. Es handelt sich um einaktige sogenannte Farca, also ein komödiantisch-burleskes Stück, das in der Tradition der Comedia dell‘Arte steht. Protagonist ist ein englischer Kaufmann, der seine Tochter gegen Geld an einen Geschäftspartner in Kanada vermitteln will. Die Tochter ist allerdings in einen anderen, armen Mann verliebt. Der Kanadier erscheint schließlich persönlich und dadurch kommt zu den obligatorischen Verwechslungen. Doch am Ende überschreibt er seinen Wechsel auf den Liebhaber der Tochter des Kaufmanns und alles wird gut.
    "Auch wenn es noch nicht der Rossini des 'Barbiers' ist, merken wir trotzdem: Hier ist einer, der genau versteht, wie man Musik und Theater optimal verbindet! Und das hört man auch."
    Das Kurtheater in Bad Wildbad
    Das Kurtheater in Bad Wildbald - Spielort für die frühen Werke Rossinis (Claus Fischer/Deutschlandradio)
    Der Italiener Lorenzo Regazzo hat Rossinis "Il cambiale di matrimonio" auf die Bühne des Wildbader Kurtheaters gebracht. Er war lange als Sänger aktiv und hat seine Erfahrungen damit in sein Regiekonzept einfließen lassen. Er spielt selbst mit und dominiert als erkennbar "deutscher Regisseur" die Szenerie. So lässt er eine Mülltonne hereinfahren, aus der die Sänger stinkende Müllsäcke entnehmen und über die Bühne schleppen "dürfen". Auch ein Schweinskopf kommt zum Vorschein, der entsprechend drapiert wird. All das kommentiert der Regisseur immer wieder mit einem demonstrativen "Wunderbar!" Das Ganze ist, so scheint es, eine Abrechnung mit dem, was in der Regel als "Regietheater" bezeichnet wird.
    "Was Rossini will ist, dass die Leute lächeln"
    "Also nein! Eine Abrechnung war das nicht, ganz bestimmt nicht", betont Regisseur Lorenzo Regazza.
    "Aber schon eine winzig kleine Satire darüber. Ich schätze das deutsche Regietheater, ehrlich! Es ging mir darum, das Wesen der "Farce" bei Rossini in unsere Zeit zu übertragen. Was Rossini will ist, dass die Leute lächeln, und das will ich mit meinem Regiekonzept auch."
    Dass Lorenzo Regazza für seinen "deutschen Regisseur" konkrete Vorbilder hatte, etwa Hans Neuenfels, das erkennt der geübte Opernfreund allerdings sofort.
    "Regisseure - wie ihn - finde ich recht gut, sie haben sehr gute Konzepte, sehr interessante Inhalte. Doch wenn ich Produktionen von ihnen sehe, dann stelle ich fest, dass sie das Musikalische manchmal ein wenig aus den Augen verlieren und stattdessen nur noch das Konzept sichtbar wird - und das gefällt mir nicht so gut."
    Am Ende, als sich die beiden Liebenden in die Arme fallen, wird der deutsche Regisseur kurzerhand erschossen.
    "Ich kann diesen Moment sehr gut verstehen, wenn ein Sänger bei den Proben denkt: Er macht mich wahnsinnig! Jetzt bringe ich ihn um! Und diesen Moment habe ich versucht, zum Ausdruck zu bringen. Es ist natürlich aber auch viel Selbstironie dabei, denn ich spiele ja schließlich in meiner Inszenierung den Regisseur."
    Rossinis früher Geniestreich "Il cambiale di matrimonio" war auch in gesanglicher Hinsicht ein Genuss, besonders der Bariton Roberto Maietto überzeugte in der Rolle des kanadischen Kaufmanns Slook.
    Rossinis dritte Oper "L‘equivoco stravagante"
    Auch die zweite Rossini-Premiere am ersten Festivalwochenende in Bad Wildbad überzeugte. Rossinis dritte Oper "L‘equivoco stravagante", zu deutsch "Die verrückte Verwechslung". Ernestina, Tochter des neureichen Bauern Gamberotto beschäftigt sich nur mit Büchern, versteht jedoch nichts von der Liebe. Der arme Ernanno ist dennoch in sie verliebt. Ihr Vater möchte aber, dass sie einen reichen Bauern heiratet. Ernanno und seine Gefährten schaffen es jedoch, den reichen Bewerber mit einer derben Lüge zu verschrecken: Ernestina sei in Wirklichkeit ein verkleideter Kastrat. So kommt es zum Happy End.
    "Dieses Stück ist von der musikalischen Form her weiter als fehlt hier etwas? Allein der damaligen Zeit", sagt Intendant Jochen Schönleber, der "L‘equivoco stravagante" für die Staatsoper im bulgarischen Russe und für das Wildbader Kurtheater inszeniert hat.
    "Es ist eine unglaublich klar und sauber konstruierte Buffo-Oper, mit keinen Mängeln, die ich feststellen kann, also mit 18 Jahren war Rossini so weit wie kein Anderer."
    Jochen Schönleber erzählt die turbulente Verwechslungsgeschichte auf angenehme Weise naturalistisch. Die vielen zweideutigen, zum Teil schlüpfrigen Anspielungen, die nach drei Aufführungen übrigens einst zur Absetzung des Stücks durch die Zensurbehörde in Bologna geführt hatten, versinnbildlicht Regisseur Schönleber etwa durch spritzende Gartenschläuche oder schäumende Sektflaschen. Allerdings hätte man sich mehr Personenführung gewünscht, bisweilen agieren die Protagonisten nicht burlesk, sondern stehen eher statisch auf der Bühne. Das Sängerensemble überzeugte auch hier.
    Wildbad will irgendwann alle 42 Rossini-Operm auf die Bühne gebracht haben
    Rossini in Wildbad – das ist eine 30-jährige Erfolgsgeschichte. Man braucht sich, auch und gerade vor dem Ur-Rossini-Festival in Pesaro, der Geburtsstadt des Komponisten nicht zu verstecken. Mag auch dort bisweilen die sängerische Qualität höher sein - in Bad Wildbad hat man dafür den Ehrgeiz, irgendwann das komplette musikdramatische Oeuvre Rossinis - also alle 42 Opern - auf die Bühne gebracht zu haben, betont Intendant Jochen Schönleber.
    "Wir haben zum Beispiel 'Eduardo e Cristina' gemacht, um das sich Pesaro nicht schert. Wahrscheinlich sind wir doch insgesamt kompletter."