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Belgien
Nach 16 Monaten eine neue Regierung aus sieben Parteien

Sozialdemokraten, Liberale, Grüne aus Wallonien und Flandern zusammen mit den flämischen Christdemokraten haben sich in Belgien auf eine Regierungskoalition geeinigt – nach 16 Monate langen Verhandlungen. Neuer Premierminister soll der Liberale Alexander de Croo werden.

Von Paul Vorreiter | 30.09.2020
Der designierte Premierminister Belgiens, Alexander De Croo, König Philippe / Filip von Belgien und Paul Magnette in Anzügen und mit Schutzmasken vor dem Royal Palace in Brüssel am 30. September anlässlich der Formierung der neuen Regierung.
Männer in Anzügen - und mit Schutzmasken: Der designierte neue belgische Premierminister Alexander De Croo traf mit König Philippe / Filip von Belgien zusammen (imago / Belga)
Die wichtigsten Fragen auf dem Weg zu einer neuen Koalition in Belgien sind geklärt. Sieben Parteien aus vier Parteifamilien haben sich auf ein Programm geeinigt und darauf, wer neuer Premierminister sein wird.
"Wir wussten nicht, wer es werden soll, dann haben wir eine Münze geworfen und die Wahl fiel auf Alexander, es ist eine hervorragende Wahl."
Vornehmlich ein Corona-Kabinett
So scherzte der wallonische Sozialist Paul Magnette, der gemeinsam mit Alexander de Croo, dem designierten Premierminister, die sogenannte Vivaldi-Koalition geschmiedet hat. Alexander de Croo ist 44 Jahre alt, Politiker der flämischen Liberalen, seit 2012 Vizepremier und war zuletzt Finanzminister.
Er soll eine Regierung anführen, die Sozialdemokraten, Liberale, Grüne aus beiden Landesteilen - Wallonien und Flandern - an einen Tisch bringt, zusammen mit den flämischen Christdemokraten.
Das Einigungspapier beginnt mit den Worten: "Wir werden das Jahr 2020 nie vergessen." Die Stoßrichtung ist damit klar: Die neue Regierung soll vornehmlich ein Corona-Kabinett werden, aber anders als die Minderheitsregierung von Premierministerin Sophie Wilmès eben mit dauerhafter Mehrheit im Parlament:
"Es ist ein Moment, den wir alle seit sechs Monaten erwartet haben, sechs Monate einer tiefen Krise, einer zu langen Krise, die das Vertrauen der Bürger zerstört hat. Wir müssen nun hart daran arbeiten, dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen."
Nationalisten und Rechtsextreme bleiben außen vor
Sagte Paul Magnette. Vieles in dem Programm liest sich wie ein Flickenteppich aus Wahlversprechen, die die Parteien ihrem eigenen Lager schulden, ohne gemeinsame Linie: Die Grünen wollen beim Atomausstieg 2025 hart geblieben sein, die Liberalen loben sich dafür, Steuererhöhungen weitestgehend verhindert zu haben und die Sozialdemokraten können eine Mindestrente von 1.500 Euro als Verhandlungserfolg vorweisen. Ob das genügt, das Vertrauen der Bürger nach knapp 500 Tagen Regierungsbildung wiederzurückgewinnen, ist fraglich, zumal die neue Koalition mit einer Gepflogenheit bricht: Die Wahlergebnisse beider Landesteile zu berücksichtigen. Zwar steht an der Spitze ein flämischer Politiker, aber die beiden stärksten flämischen Parteien, Nationalisten und Rechtsextreme von NVA und Vlaams Belang bleiben außen vor:
"Wissen Sie, die Menschen, um die es mir geht, die Sorgen haben, die ihren Job verloren haben, die Kinder auf der Schule haben und sich fragen, ob die Schule morgen noch offen ist: denen ist es wohl egal, wer im Lande wo die Mehrheit hat, oder in Flandern. Wichtig ist, dass es eine neue Regierung gibt, die die Probleme angeht."
Sagte der designierte Premierminister Alexander de Croo. Der Chef der Rechtsextremen, Tom van Grieken, von Vlaams Belang meint dagegen:
"Jaja, Vivaldi-Koalition, die Vier Jahreszeiten. Aber für Flandern bedeutet das vier Mal Winter, und bezahlen müssen wir das auch noch."
Ein Vorgeschmack auf den rechten Widerstand, mit dem die Koalition rechnen muss. Aber auch das Corona-Management dürfte unter genauer Beobachtung stehen. Eine Reihe von Virologen hatte kürzlich kritisiert, dass sich die aktuelle Regierung zu sehr hinter den Experten versteckt habe.
Nachdem die Parteien das gemeinsame Programm abgesegnet haben, soll am Donnerstagvormittag (1. Oktober) die Regierungserklärung im Parlament verlesen und die Vivaldi-Koalition vereidigt werden.