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Belgische Atomkraftwerke
Schrott-Meiler als Nachbarn

Die beiden belgischen Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 liegen nicht weit von der deutschen Grenze entfernt. Nach einer Pannenserie in den Meilern, wächst die Sorge vor einem Atomunfall - vor allem auf der deutschen Seite. Atomgegner wollen Ende Juni mit einer Menschenkette ein Zeichen setzen.

Von Moritz Küpper | 07.06.2017
    Das Atomkraftwerk Tihange fotografiert am 21.10.2015 bei Huy (Belgien).
    Das Atomkraftwerk Tihange in Belgien. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Bei Martina Dohm ist Ausverkauf: "Drei Kilo nur noch zehn Euro", ruft die Verkäuferin von ihrem rot-weißen Stand über den Aachener Marktplatz. Immer wieder bleiben Leute stehen, kaufen eben Spargel oder ein Schälchen Erdbeeren. Frische Ware. Von der Sorge um die angrenzenden, maroden belgischen Atom-Meiler, ist in dem Moment nichts zu spüren, denn "es geht teilweise im Alltag unter, aber trotzdem, wenn man das Thema untereinander bespricht, dann kriegt man schon Gänsehaut. Also, es ist schon ein großer Störfaktor im Leben."
    Dohm schaut auf ihre Auslage, die blauen und roten Kisten: "Es betrifft quasi Obst, Gemüse, betrifft Mensch und Tier. Alles. Von daher ist es echt negativ."
    Vier Stunden dauert es, bis eine radioaktive Wolke da wäre
    Wer in der Aachener Innenstadt nach belgischen Kraftwerken fragt, erntet immer direkt ein Kopfnicken – und anschließend ein Achselzucken:
    "Grundsätzlich mache ich mir schon Gedanken, weil es auch relativ nah dran ist, aber da man nicht direkt damit konfrontiert ist, ist es ein bisschen aus dem Sinn, ne?"
    "Die ältere Generation, denke ich mal, macht sich schon noch Sorgen, aber wir denken immer an den Nachwuchs, ne, die jungen Leute."
    "Ins Auto setzen, bleibt ja nichts anderes übrig und versucht, so schnell wie möglich in Richtung Süden zu fahren. Da haben wir Verwandte, ich komme von da unten her, im Frankenland und da können wir auch unterkommen."
    "Ja, man macht sich da schon Gedanken, mit Schutzmasken, man kann ja auch Tabletten einnehmen, ne. Aber: Ob dass dann alles noch nutzt, wenn es mal losgeht, das steht auf einer anderen Seite."
    Etwa 60 Kilometer Luftlinie sind es von Aachen bis nach Tihange, aus dem zumeist auch der Wind kommt. Bei durchschnittlicher Geschwindigkeit wäre eine radioaktive Wolke nach einem Vorfall in dem belgischen AKW, in dem immer wieder Haarrisse entdeckt wurden, in vier Stunden in der Domstadt.
    Oberbürgermeister ist in der Atom-Frage Realist
    "Das Thema ist seit etwa anderthalb Jahren auf der Tagesordnung und wächst von Monat zu Monat", sagt Marcel Philipp. Der großgewachsene Aachener Oberbürgermeister holt persönlich zu einem Gespräch an der Rathauspforte ab, führt in sein ausschweifendes Büro. Der CDU-Politiker ist in der Atom-Frage Realist. "Wir haben nicht die Illusion, dass das mit einer Aktion oder einem bestimmten Ereignis gelöst wird, sondern es ist eine Kette von vielen Aktivitäten, Entscheidungen, rechtlichen Überprüfungen und Sicherheitsüberprüfungen und Kommunikation zwischen Deutschland und Belgien sein wird. Aber ich glaube, dass wir auf diesem Weg schon einige Schritte vorwärtsgekommen sind."
    Die erste Arbeitssitzung der deutsch-belgischen Atomkommission heute könne da ein Schritt sein. Gerade erst ist Philipp aus einer Sitzung gekommen, in dem es um die Verteilung von Tabletten ging, Maßnahmen im Ernstfall, für den die Stadt probt und gewappnet ist. Letztendlich, so der Oberbürgermeister, gebe es wohl erst eine Lösung, wenn auch in Belgien ein energie-politischer Schwenk eingeleitet werde, "das heißt, die bisherige Planung dann auch Mitte der 20er-Jahre aussteigen zu können aus diesen Reaktoren, dann auch umsetzbar ist. Das war bis vor ein-zwei Jahren überhaupt nicht der Fall und ich glaube, dass jetzt der Druck wächst, dass zumindest das möglichst sein sollte."
    Engagement in der Anti-AKW-Bewegung
    Und das liegt eben auch am Ehepaar Laaks:
    "Dann nehmen wir sie mit."
    "Foto drauf."
    "Wir brauchen ein Foto von Ihnen."
    "Eine Botschaft an die Welt und dann nehmen wir sie mit."

    Robert Borsch-Laaks, 69 Jahre, ein Bauphysiker im Ruhestand und seine vier Jahre jüngere Frau Monika, einst Lehrerin, stehen neben eine Papp-Figur in ihrem Wohnzimmer in Aachen-Mitte. Seit Jahrzehnten engagieren sich die Eltern zweier Töchter in der Anti-AKW-Bewegung, sammeln Unterschriften gegen den Meiler und haben zuletzt mit einem Schaufenster-Wettbewerb dafür gesorgt, dass der Protest "Stopp Tihange" in der ganzen Grenzregion noch sichtbarer wurde – und damit Werbung gemacht, für eine gigantische Menschenkette, die Ende des Monats, am 25. Juni, ein deutliches Zeichen setzen soll:
    Robert Borsch-Laaks und seine Frau Monika stehen neben eine Papp-Figur in ihrem Wohnzimmer in Aachen-Mitte.
    Robert Borsch-Laaks und seine Frau Monika mit einer der Papp-Figuren, die in die Menschenkette eingereiht werden sollen. (Deutschlandradio/M. Küpper)
    "Die geht von Tihange über Lüttich bis nach Maastricht, schlägt also sozusagen einen Haken, um auch die Niederländer mitzunehmen bis nach Aachen und das Ganze sind 90 Kilometer und dafür brauchen wir, wenn wir dicht an dicht stehen wollen, 60.000 Menschen."
    Oder eben Pappfiguren. Über 130 haben die Laaks bereits belegt, weitere 130 bestellt. Und wie das gehen soll, wird am kommenden Samstag geprobt, dann findet eine kleine Menschenkette-Generalprobe statt.