Freitag, 29. März 2024

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Bellinis Oper "I Puritani" in Zürich
Königstreue steht über Liebesschwüren

Bürgerkrieg in England: Tochter aus puritanischem Hause liebt einen Royalisten. Doch der befreit am Hochzeitstag lieber die gefangenen Königswitwe. Andreas Homokis inszenierte in Zürich Vincenzo Bellinis "I Puritani" mit großartigen jungen Stimmen.

Von Cornelie Ueding | 20.06.2016
    In der Mitte ein bühnenhoher schwarzer Turm, eine Walze, die, langsam kreisend, das Geschehen segmentiert. Eine Wand, die sich immer wieder auch öffnet, Einblicke gibt oder verwehrt, die Gruppen förmlich auseinanderschneidet und einzelne Figuren ein- oder aussperrt. Dieses gnadenlose Mahlwerk, das den Individuen ihre Spiel- und Handlungsräume zumisst und ihr Verhalten einschränkt, ist in Andreas Homokis Zürcher Puritaner-Inszenierung der Spiel-Raum für die grausame Geschichte einer Liebe zur Zeit des englischen Bürgerkriegs im 16. Jahrhundert.
    Schlafwandlerisch tastet sich Elvira durch das Gefühlslabyrinth
    Die unglückselige Elvira, Tochter eines Puritanerführers um Cromwell, ist ständig umgeben von dem sie unablässig bedrängenden, beratenden, kommentierenden, überwachenden Gefolge dieser religiösen Hardliner. Ihr bleibt kaum ein Moment, um frei und unbeobachtet durchzuatmen. Und als sie es, Aug in Aug mit ihrem geliebten Arturo ein einziges Mal tut, bleibt allen anderen die Luft weg: Denn ihr Auserwählter ist nicht Riccardo, nicht der Mann, den sie heiraten soll, sondern gehört als Royalist und Katholik zur Partei der ideologischen Todfeinde. Und schon dreht sich die mechanische Todesmühle weiter und spült dem Hochzeitspaar en passent die katholische Königin auf dem Weg zum Schafott vor die Füße. Und Arturo, kurz entschlossen die Geschändete zu retten - vergisst darüber seine eigene Hochzeit. Und weiter dreht sich die Geschichtsmühle, die kein Halten kennt und keine Gnade. Mit fast beiläufiger Selbstverständlichkeit schneidet sie die Welt der politischen Macht und die der individuellen, menschlichen Gefühle auseinander.
    Sie entblößt die Agonie der sich verlassen wähnenden Elvira, wird zur Zelle, zur Richtstätte, für einen trügerischen Moment auch zur idyllischen Insel. Wie eine Schlafwandlerin tastet sich Elvira durch das Gefühlslabyrinth in ihr.
    Blind für das Unglück anderer und versunken in das eigene Leid – steht sie verloren auf den Leichenbergen der Revolution und wandert herzlos zwischen den Beinen der Erhängten.
    Als sich die Liebenden nach drei endlos erscheinenden Monaten der Trennung endlich wieder gegenüberstehen, wirkt es, trotz der überschwänglichen Gefühle fast wie ein Geistergespräch. Zwei zutiefst Verstörte, die zwischen die Fronten geraten sind, und mit dem Rücken zur Wand stehen. Und denen kein glückliches Ende mehr hilft.
    Im Krieg werden Menschen zu Monstern
    Es ist ein großes Verdienst von Andreas Homoki und dem musikalischen Leiter Fabio Luisi, den albtraumartigen Spuk dieser tödlichen Geschichte um Fanatismus und unterdrückte Gefühle, Machtversessenheit und Reinheit in großer Intensität, halluzinatorischer Flüchtigkeit und atemlosen Auf- und Abbrüchen zu zeigen. Im Krieg werden Menschen zu Monstern. Wenn plötzlich, in der Art der IS Morde, dem sich bereits begnadigt wähnenden "Verräter" Arturo mit einem Ruck der Kopf abgeschnitten und der eben noch selig Entrückten Elvira vor die Füße geworfen wird, ist dies solch ein kruder Moment der Wahrheit, wo auch die Musik dumpf und tonlos den Dienst verweigert.
    Ein starkes Bild und eine in sich schlüssige Aufführung mit großartigen jüngeren Stimmen. Die Ausdrucksfähigkeit der junge Sopranistin Pretty Yende von zartem, verlorensten Pianissimo bis zu Herz-zerreißenden Verzweiflungsschreien und Lawrence Brownlee in der halsbrecherischen Partie des von spontanen Gefühlsregungen geleiteten Arturo wurden denn auch geradezu frenetisch gefeiert.
    Deutlich reservierter verhielt sich das Publikum gegenüber dem Dirigenten Fabio Luisi, der, bekennender Nicht-mehr-nur-Sängerdirigent, den dramatischen Entwicklungen der Partitur nachspürte und die Sänger im ersten Teil zu übertönen drohte. In ihrer Heftigkeit unverständliche Buhs für den Regisseur – für den möglicherweise gerade seine große Kunst, bewegte, individualisierte Chorszenen immer neu zu gruppieren zur Falle wurde: Die Bilder waren vielleicht eine Spur zu schön, um in ihrer abgründigen Gemeinheit schnell erkennbar zu sein. IS Messer und weiße Puritaner-Kragen, das ging dann manchen doch zu weit.