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Benda: RAF-Terroristen steht Chance auf Freiheit zu

Der frühere Bundesinnenminister Ernst Benda hält es bei der Diskussion um die Freilassung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar für ausschlaggebend, ob die Einsicht in die Strafbarkeit ihrer Taten vorhanden ist. Anders als manche Politiker sei er nicht der Auffassung, dass dies ein Akt der Aussöhnung mit der RAF sein sollte.

25.01.2007
    Heinemann: Die bleierne Zeit ist in die Köpfe vieler, die die 70er Jahre bewusst miterlebt haben, zurückgekehrt. Über die Frage, ob die beiden ehemaligen RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar auf freien Fuß gesetzt werden sollten, ist eine Diskussion entbrannt, die auf beiden Seiten mit guten Argumenten geführt wird.

    Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), der 1988 als erster den RAF-Terroristen Manfred Grashof begnadigte, sprach sich für eine Prüfung aus. Der Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder trat für eine Freilassung der beiden ein. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat sich gegen eine Freilassung ausgesprochen, Begründung: beide Täter hätten keine Reue gezeigt. Da trifft sich Stoiber mit Bettina Röhl, der Tochter von Ulrike Meinhof, die gesagt hat, Christian Klar erfülle die Voraussetzung für eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten nicht. Brigitte Mohnhaupt hat die 24 Jahre, die sie mindestens in Haft bleiben musste, verbüßt. Sie hat einen Anspruch darauf, auf Bewährung frei zu kommen. Christian Klar müsste bis 2009 in Haft bleiben. Er hat ein Gnadengesuch eingereicht, welches der Bundespräsident gegenwärtig prüft.

    Unterdessen hat Ina Beckurts, die Witwe des 1986 von Terroristen ermordeten Siemens-Managers Karl Heinz Beckurts gefordert, Christian Klar solle erst frei gelassen werden, wenn er sein Wissen über die noch ungeklärten Taten der RAF enthüllt habe. Auch Professor Michael Buback, der Sohn des früheren Generalbundesanwaltes Siegfried Buback, der 1977 zusammen mit seinen Begleitern Georg Wurster und Wolfgang Göbel von RAF-Terroristen ermordet wurde, unterstrich gestern hier im Deutschlandfunk, wie wichtig es für ihn sei, den genauen Hergang des Verbrechens an seinem Vater zu erfahren.

    O-Ton Buback: Für mich ist es zum Beispiel sehr, sehr wichtig: wie ist die Tat überhaupt abgelaufen. Stellen Sie sich vor jemand sagt, vergibst du mir. Dann werde ich doch fragen, ja was hast du denn getan, was hast du mir getan und wie ist dein Tatbeitrag und tut dir das leid. Was für mich jetzt schwierig ist, dass ich immer noch nicht weiß: wer hat eigentlich meinen Vater erschossen.

    Heinemann: Professor Michael Buback, der Sohn des früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback. – Wir haben vor dieser Sendung mit dem früheren Bundesinnenminister und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda gesprochen. Ich habe ihn im Zusammenhang mit dem Fall Christian Klar zunächst gefragt, ob es unter juristischen Gesichtspunkten für die Gewährung der Gnade entscheidend ist, dass Christian Klar seine Verbrechen bereut.

    Benda: Erstens ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass auch ein wegen schwerster Straftaten Verurteilter, der lebenslänglich Haft abzubüßen hat, grundsätzlich die Chance erhalten soll, nach Ablauf einer geraumen Zeit wieder die Chance der Freiheit zu erlangen. Bei beiden, die jetzt in der Diskussion sind, ist eine sehr lange Haftzeit verstrichen und im Falle der Frau Mohnhaupt ist die Frist nahezu abgelaufen, so dass sich daraus wahrscheinlich schon die Voraussetzung ergibt, dass sie die Chance der Freiheit bekommt.

    Voraussetzungen sind auch nach dieser Rechtsprechung erstens, dass von den Betroffenen keine Gefahren mehr für die Allgemeinheit ausgeht, also eine Würdigung der Persönlichkeit, wie sie sich im Laufe der Haft entwickelt hat. Im Falle Mohnhaupt scheint die zuständige Staatsanwaltschaft dies zu bejahen. Jedenfalls hat sie eine entsprechende Auffassung vertreten. In dem anderen Fall kann ich es nicht beurteilen und in beiden Fällen kann ich jedenfalls nicht beurteilen, ob die Einsicht in die Strafbarkeit und die damit verbundene und daraus folgende Reue in der Wirklichkeit vorhanden ist. Auch das gehört zur Persönlichkeitswürdigung. Das können aber nur die Richter, die über eine Strafaussetzung zur Bewährung zu entscheiden haben, beurteilen.

    Heinemann: Aber wäre dies eine Voraussetzung? Müsste Christian Klar ganz klar sagen, dass er seine Verbrechen bereut?

    Benda: Er muss es vielleicht nicht mit diesen Worten sagen, aber zur Würdigung der Persönlichkeit gehört schon Einsicht in das, woran er beteiligt war und was er getan hat, denn man wird niemand frei lassen wollen, der auch nur gedanklich es für möglich hält, gleiche Straftaten künftig wieder zu begehen, auch wenn er faktisch dazu vielleicht nicht mehr in der Lage sein wird.

    Heinemann: Würden Sie sich nach Ihrem heutigen Kenntnisstand für eine Begnadigung aussprechen?

    Benda: Ich meine, dass an sich die Begnadigung ein richtiges Instrument ist, wobei ich anders als manche Politiker, die sich geäußert haben, nicht meine, dass es ein Akt der Versöhnung etwa mit der RAF sein sollte. Darum geht es gar nicht, sondern es geht darum, dass einzelne Persönlichkeiten, wenn sie nach langer Zeit sich gewandelt haben, wenn sie also, wie der Ausdruck lautet, resozialisiert worden sind, dann eine Chance bekommen sollen.

    Heinemann: Für die Angehörigen, Herr Professor Benda, wäre es eine schwere Zumutung, wenn ein ehemaliger Terrorist meinetwegen im Fernsehen aufträte und seine Verbrechen rechtfertigte. Muss der Bundespräsident dies bei seiner Entscheidung berücksichtigen?

    Benda: Das sollte er, denn in der Tat wäre dies eine kaum zumutbare Geschichte, wenn das passieren sollte. Man kann den beteiligten Richtern oder im Falle einer Begnadigung dem Bundespräsidenten sicher empfehlen, eine solche Möglichkeit in Betracht zu ziehen und vielleicht auch entsprechende Auflagen auszusprechen.

    Heinemann: Kann man das juristisch machen? Kann man den Leuten verbieten, meinetwegen in einen Fernsehsender zu gehen?

    Benda: Ja, ich halte das für denkbar. Man kann Auflagen verschiedener Art machen und dazu gehört auch eine solche Möglichkeit. Ich denke, dass das juristisch machbar ist.

    Heinemann: Herr Benda, Sie waren 1968 Bundesinnenminister. Sie waren ein rotes Tuch für alle Studentenbewegten. "Benda wir kommen" wurde damals auf den Straßen gebrüllt. Gleichwohl haben Sie versucht, mit einzelnen Vertretern der APO zu reden. Was ist damals schief gegangen?

    Benda: Das waren ja nun nicht die vielen Mitglieder der damaligen Außerparlamentarischen Opposition. Es war vielleicht gerade der Umstand – so vermute ich mal -, dass die Masse der damals Unruhigen doch zu der Einsicht gekommen ist, dass Wege der gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht die richtigen sind, und einzelne haben dann die falsche Konsequenz gezogen und sind in den Terrorismus abgeglitten. Das ist aber eine Haltung, die man glaube ich den Mitgliedern der damaligen APO sehr viel mehr als den vergleichbar wenigen der RAF oder den eigentlichen Terroristen nicht anlasten kann.

    Heinemann: Hätte man dies durch einen Dialog verhindern können?

    Benda: Es haben Dialogversuche stattgefunden. Ich habe selber an manchen Gesprächen teilgenommen, während der damaligen Zeit schon, 1968 und 69, manchmal ohne Erfolg, manchmal auch mit Erfolg. Seither hat es sehr viele Diskussionen und Gespräche mit damaligen oder früheren Mitgliedern der APO gegeben und viele von denen sind auch erfolgreich gewesen.

    Heinemann: Herr Benda, Peter-Jürgen Boock, ehemaliges Mitglied der RAF, hat gestern bei uns im Deutschlandfunk folgenden Vergleich angestellt:

    O-Ton Boock: Wenn man sich mal vor Augen führt, wie die Haftdauer bei NS-Massenmördern war, bei all denen, die im Auschwitz-Verfahren verurteilt wurden, und bei all denen, die Gaskammern betrieben haben, und das in Vergleich setzt zu dem, was in der Zeit der RAF passiert ist, dann entspricht die Haftdauer der einen nicht ganz der Haftdauer der anderen.

    Heinemann: Peter-Jürgen Boock gestern bei uns im Deutschlandfunk. Herr Benda wie bewerten Sie diese Aussage?

    Benda: Dazu würde ich sagen, dass ich ohne Weiteres einräume, dass in manchen Fällen der Verfolgung von NS-Straftätern die verhängte Strafe und die faktische Verbüßung der Strafe, wenn sie verhängt wurde, hinter den gerechtfertigten Erwartungen zurück bleibt. Das rechtfertigt nicht den Schluss, dass jemand, der wegen Morden als Mitglied der RAF verurteilt worden ist und zu Recht schon wegen einer einzelnen Tat zu lebenslänglicher Haft, in der gleichen Weise behandelt werden müsste wie die anderen. Das wäre eine Gleichheit im Unrecht, die die Rechtsordnung nicht anerkennt.

    Heinemann: War der Geist der NS-Juristen – es haben ja viele in der Bundesrepublik Karriere gemacht nach dem Krieg – in den Gerichtssälen der RAF-Prozesse noch vorhanden?

    Benda: Darüber ist mir nichts bekannt. Es gab sicherlich in der Nachkriegsjustiz, zumal in den ersten Jahren eine Reihe von Richtern, die vielleicht besser nicht als Richter wieder tätig oder weiterhin tätig geworden wären. dass sie bei der Verfolgung von RAF-Straftaten beteiligt waren, ist mir jedenfalls nicht bekannt.

    Heinemann: Herr Benda, könnte man aus der Zeit der RAF-Prozesse und aus der so genannten bleiernen Zeit etwas lernen für die heutige terroristische Bedrohung?

    Benda: Ja. Wir sind glücklicherweise über diesen Zeitabschnitt hinweg und es gibt jedenfalls gegenwärtig wohl keine Anzeichen dafür, dass die gleiche Form des Terrorismus wieder entstehen würde. Dennoch haben wir es natürlich unter anderen Zeitumständen mit einer neuen terroristischen Bedrohung zu tun und selbstverständlich ist es die Aufgabe des Staates, jeder Form der terroristischen Bedrohung mit Entschiedenheit und Energie auch in der Strafverfolgung entgegenzuwirken.

    Heinemann: Haben Sie sich 1977 vorstellen können, dass Sie eines Tages Fragen zur Haftentlassung von RAF-Terroristen beantworten würden?

    Benda: Ja. Vielleicht nicht 1977. Da waren natürlich die Strafverfolgung, die Ergreifung der Täter und dann die gerichtliche Aburteilung im Vordergrund. Ich darf aber daran erinnern, dass schon in der Zeit, in der Richard von Weizsäcker Bundespräsident war, die ersten Gnadenakte bei Terroristen in der Diskussion waren, und in einzelnen Fällen hat er unter meiner ausdrücklichen Zustimmung diese Begnadigung auch dann durchgeführt.

    Heinemann: Professor Ernst Benda, der ehemalige Bundesinnenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Das Gespräch haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.