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Benjamin Britten: Double concerto u.a.

Heute mit Ludwig Rink am Mikrofon und mit Orchestermusik von Benjamin Britten. Selbstbildnisse sind in Malerei und Fotografie nichts Ungewöhnliches. Viel seltener begegnet man ihnen in der Musik. Eins der wenigen Beispiele stammt aus den jungen Jahren des englischen Komponisten Benjamin Britten. Er war 17, hatte gerade das College abgeschlossen und bereits einen mehrjährigen privaten Kompositionsunterricht bei Frank Bridge hinter sich, als er im August 1930 in zwei musikalischen Portraits sich und seinen besten Schulfreund festhielt. Sein Portrait trägt im Untertitel die Initialen E.B.B. für Edward Benjamin Britten und ist für Orchester und Viola geschrieben, für jenes Instrument also, das Britten in seiner Jugend erlernte. * Benjamin Britten - aus: Portrait Nr. 2 für Viola und Streichorchester Alle Kompositionen von Benjamin Britten, die die neue CD der Firma Erato enthält, stammen aus den frühen Schaffensjahren, in denen Britten vieles ausprobierte, vieles auch noch nicht ganz fertig beiseite legte, um sich neuen Projekten zuzuwenden. Manches nahm er erst im Alter wieder zur Hand, z.B. ein Streichquartett, das er erst 1974, zwei Jahre vor seinem Tod, überarbeitete und veröffentlichte. Anderes brachte er selbst gar nicht mehr zur Veröffentlichungsreife, so z.B. ein Doppelkonzert für Violine, Viola und Orchester, das er im Mai 1932 begonnen hatte. Schon bald hatte er damals die Arbeit daran unterbrochen, um in nur drei Wochen sein eigentliches opus 1, die Sinfonietta für Kammerorchester zu komponieren. Den Entwurf des Doppelkonzertes stellte er danach zwar weitgehend fertig, aber es blieb eine - wenn auch sehr detaillierte - Skizze, die erst in den achtziger Jahren von fremder Hand zu einer Partitur und dann 1987 dem Publikum vorgestellt wurde. Diese Uraufführung des Doppelkonzertes fand übrigens im Rahmen des 1947 von Britten mitbegründeten Festivals von Aldeburgh statt, einer kleinen Küstenstadt in Suffolk, wo Britten einen großen Teil seines Lebens verbracht hatte. Und diese Uraufführung leitete damals Kent Nagano, der in Kalifornien geborene, heute 47jährige Dirigent, der nach 11 Jahren Chefposten an der Oper von Lyon im September nächsten Jahres in Berlin als Nachfolger von Vladimir Ashkenazy das Deutsche Symphonie-Orchester übernimmt. Nagano ist auch der Dirigent dieser neuen Britten-CD, wo wir die Musiker des traditionsreichen englischen Hallé-Orchestra aus Manchester und als Solisten keine geringeren als Gidon Kremer und Yuri Bashmet erleben. Hier also aus der CD-Premiere von Brittens Doppelkonzert für Violine, Viola und Orchester ein Auszug aus dem 3. Satz, einem Allegro scherzando. * Benjamin Britten: aus - Doppelkonzert für Violine, Viola und Orchester, 3. Satz Allegro scherzando Soweit ein Ausschnitt aus dem jetzt erstmals eingespielten Doppelkonzert für Violine, Viola und Orchester von Benjamin Britten. Mehr als 20 Jahre nach Brittens Tod wäre es an der Zeit, eine Neubewertung des kompositorischen Werkes dieses ungemein produktiven Engländers vorzunehmen. Die meist schon etwas älteren deutschen Lexikonartikel über ihn beschreiben seine Erfindungsgabe mit den Worten "eher gewandt als originell", weisen auf "ohne Zweifel unbewusst" Entlehntes aus Werken anderer Komponisten hin. Woanders wird seine "Mischung aus Eklektizismus, Vielseitigkeit, flüssiger Produktivität, technischem Glanze und Mangel an Tiefe" mit der Musik des Franzosen Camille Saint-Saëns verglichen. Solche Sätze beziehen sich vermutlich vor allem auf die 10 Jahre zwischen 1930 und 1940, wo Britten - im Bienenfleiß dann schon eher Telemann ähnlich - in kurzer Zeit ein Musikstück nach dem anderen produzierte: für Filme, Theaterstücke und vor allem auch "Gebrauchsmusik" für das große britische Rundfunkunternehmen BBC. Schaut man in die altehrwürdige Enzyclopædia Britannica, so erscheint Britten fast ausschließlich als Opernkomponist und in diesem Genre als erster Engländer wieder erfolgreich seit den glorreichen alten Zeiten eines Henry Purcell. Auch die Ansichten zum von ihm verwendeten musikalischen Material sind vielfältig und widersprüchlich. Einmal wird er als der große Zusammenfasser gefeiert, der die vielen verschiedenen Stile und Schreibweisen der Musik des 20. Jahrhunderts mischt, anderswo heißt es, seine Musik sei fest in der Tonalität verwurzelt und er habe, "obgleich keineswegs konservativ", keinen Versuch gemacht, die Technik der jüngsten Musik zu übernehmen. Vor allem durch die Veröffentlichung eines Werkes kann die neue CD die Sichtweise auf Brittens Kompositionen um eine wichtige Facette bereichern: Es ist das opus 16 mit dem Titel "Young Apollo" für Klavier, Streichquartett und Streichorchester von 1939. Hier erleben wir einen in der Tat sehr tonalen Britten, der aber in der Radikalität, wie er diese Tonalität einsetzt, wiederum ungemein modern ist: Das könnte in den 70er, 80er Jahren geschrieben worden sein unter dem Stichwort "minimal music". * Benjamin Britten: Young Apollo op. 16 Nikolai Lugansky und das Hallé-Orchestra spielten unter der Leitung von Kent Nagano "Young Apollo", op. 16 von Benjamin Britten. Neben diesem Stück, dem erstmals aufgenommenen Doppelkonzert und den "Zwei Portraits" bietet die neue CD der Firma Erato auch noch die 1932 komponierte erfolgreiche "Sinfonietta" in einer Fassung für kleines Orchester. Damit verabschiedet sich am Mikrofon für heute Ludwig Rink.

Ludwig Rink |