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"Benvenuto Cellini" beim Musikfest Berlin
Berlioz' erste Oper, ein höllisches Spektakel

Beim diesjährigen Musikfest Berlin steht anlässlich des 150. Todestages Hector Berlioz im Mittelpunkt. Zum Auftakt wurde seine frühe Oper "Benvenuto Cellini" aufgeführt. Ein stürmisches Werk des französischen Romantikers - inklusive Berlioz' Lieblingsblasinstrument Ophikleide.

Von Matthias Nöther | 02.09.2019
    Historische Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert von Benvenuto Cellini
    Die Geschichte um den Künstler der Renaissance-Zeit entnahm Hector Berlioz aus der Autobiografie des historischen Goldschmieds Cellini (im Bild zu sehen) (picture alliance/dpa - imageBROKER/H.-D. Falkenstein)
    Explosionsartig und ungehemmt ekstatisch wirken diese Klänge oft. Herkömmlichen romantischen Klangsinn bedient John Elliot Gardiner in seinem Dirigat der komischen Oper "Benvenuto Cellini" fast gar nicht. Die Geschichte um den Künstler der Renaissance-Zeit entnahm Hector Berlioz aus der Autobiografie des historischen Goldschmieds Cellini. Um die Entstehung seiner Perseus-Statue in Rom dreht sich die Handlung. Der Komponist Berlioz formte sie zum Porträt eines trotzigen Künstlers um, der nicht immer sympathisch wirkt. Schließlich bringt er im Streit um die Tochter des päpstlichen Schatzmeisters einen Rivalen um – was für Berlioz und namentlich für den Dirigenten Gardiner freudiger Anlass für ein höllisches Spektakel ist, samt Kanonendonner von der römischen Engelsburg. Und das rund 70 Jahre vor Puccinis "Tosca".
    Zum 150. Todesjahr von Hector Berlioz
    Nur diese einzige Aufführung in Deutschland macht das Orchestre Révolutionnaire et Romantique mit der halbszenischen Version dieses stürmischen Stückes, das bei weitem nicht das aufwändigste von Berlioz ist. Bei der Wahl des Werks zu Hector Berlioz‘ 150. Todesjahr waren auch logistische Dinge zu berücksichtigen, sagt Musikfest-Leiter Winrich Hopp.
    "Ich habe ja mit Gardiner vor drei, vier Jahren darüber angefangen zu sprechen, was man im Berlioz-Jahr machen kann. Und da gab's dann zuerst auch 'Die Trojaner' und so weiter, aber versuchen Sie mal, mit den 'Trojanern' zu reisen. Und so sind wir eigentlich auf den 'Benvenuto' gekommen, der 'Benvenuto' auch deshalb, weil er hier kaum gemacht worden ist. Das war nur 1896 einmal, dann 2003, also es ist eine echte Novität. Und der 'Benvenuto' ist natürlich auch eine Oper, die die Opernhäuser gerne umgehen. Denn die Sache ist nicht so ganz klar, wie man sie eigentlich angehen kann."
    Hector Louis Berlioz (1803-1869) in blauem Sakko und im Halbprofil als Gravur aus dem 19. Jahrhundert.
    Louis Hector Berlioz (* 11. Dezember 1803 in La Côte-Saint-André, Département Isère; † 8. März 1869 in Paris) war ein französischer Komponist und Musikkritiker. (imago images / Leemage)
    Drei unterschiedliche Fassungen von "Benvenuto Cellini" exisitieren
    Von "Benvenuto Cellini" gibt es drei sehr unterschiedliche Fassungen. Eine schrieb Berlioz tatsächlich als ganz junger Mann im Jahr 1834 für die Pariser Oper. Dort widmete man sich dem Stück eher lustlos, schließlich war der junge Komponist noch nicht durchsetzungsstark und sein Stück war technisch unverschämt schwierig. Später allerdings nahm sich Franz Liszt als Kapellmeister in Weimar des "Benvenuto Cellini" an. Eine von Liszts Bedingungen allerdings war, dass Berlioz sämtliche gesprochenen Dialoge als Rezitative komponieren sollte. Diese für den US-Tenor Michael Spyres äußerst sangbaren Rezitative hat Dirigent John Elliot Gardiner in Berlin in seine eigens erstellte Mischfassung eingebaut.
    So sehr John Elliot Gardiner an einer publikumswirksamen Fassung dieser Oper gearbeitet hat, so wenig kommt es Musikfest-Intendant Winrich Hopp darauf an, dem Publikum die historischen Unterschiede zwischen Pariser Grand Opéra und deutschem Stadttheater im 19. Jahrhundert nahezubringen.
    "Für mich war das eigentlich eine Neuentdeckung von Berlioz. Mir ging es gar nicht so sehr um die Zeitumstände, sondern was ist es aus heutiger Sicht. Und Berlioz überhaupt erstmal wieder hörbar zu machen in einem Klanggewand, das uns eigentlich fast aus der Erinnerung verschwunden ist. Diese ganz alten Instrumente, die Ophikleide und so weiter, die damals neue Instrumente waren, aber total vergessen sind."
    Oper mit dem historischen Instrument Ophikleide
    Die Ophikleide ist ein merkwürdiges historisches Mischwesen aus Tuba und Posaune. Angeblich soll der Musiker Marc Girardot so ein Instrument einst aus dem Wohnzimmer seines Tubalehrers gerettet haben. Dort diente es als Blumenvase. John Elliot Gardiner gab seinem Tubisten damals drei Monate frei, um die Ophikleide spielbar zu machen und das heikel zu spielende Instrument zu üben: für die weitere lebenslange Beschäftigung mit dem Lieblings-Blasinstrument von Hector Berlioz. Vielleicht ist es für den Ophikledisten Girardot ein Höhepunkt seiner Musikerkarriere, dass er im Fastnachtsschwank von "Benvenuto Cellini" aktiv ins Geschehen eingreifen darf.
    "Benvenuto Cellini" beim Musikfest Berlin wirkt als Aufführung so exotisch, dass die Veranstalter keine programmatische Linie zu anderen Höhepunkten des Eröffnungswochenendes schlagen – etwa zur prominent besetzten Riesenoper "Die Frau ohne Schatten" von Strauss durch das Rundfunk-Sinfonieorchester unter seinem Chef Vladimir Jurowski gestern Abend. Immerhin: Richard Strauss war es, der Anfang des 20. Jahrhunderts Berlioz‘ fast vergessene Instrumentationslehre neu herausgab. Ob in Strauss‘ raffiniert instrumentierter "Frau ohne Schatten" aber tatsächlich auch noch ein Hauch Berlioz zu finden ist, darüber hätte man gerne noch mehr erfahren.