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Beratungsorganisation und Gesprächsplattform

Unumstritten ist die Existenz der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nicht. Schließlich hat sie, beziehungsweise ihre Vorgängerorganisation, ihre eigentliche Arbeit schon in den 50er-Jahren zu aller Zufriedenheit erledigt.

Von Martin Hartwig | 14.12.2010
    ERP, EZU, EWG, EFTA, EVG, EGKS, – die Nachkriegsgeschichte Westeuropas lässt sich auch in Abkürzungen erzählen. Getrieben vom Wunsch nach Wirtschaftswachstum und der Einsicht, dass voneinander abhängige Nationen weniger dazu neigen, Kriege zu führen, gründeten die Regierungen nach 1945 zahlreiche Organisationen, um ihre Volkswirtschaften enger zu verflechten. Ganz im Sinne des US-Außenministers George Marshall, der dies in seiner berühmten Harvard-Rede 1947 vorgegeben hatte:

    "”Es wäre weder angemessen noch wirkungsvoll, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten einseitig ein Programm aufstellen würde, um Europa wirtschaftlich wieder auf eigene Füße zu stellen. Das ist Sache der Europäer.""

    Konkret hieß das, dass die Europäer nur dann Geld aus den USA erwarten konnten, wenn sie zusammenarbeiteten. Und das taten sie. Eine der ersten Organisationen, die sie dazu 1948 ins Leben riefen, war die OEEC, die "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa". Gründungsmitglieder waren die westeuropäischen Länder, die später die EU bilden sollten sowie alle skandinavischen Länder, die Schweiz und die Türkei. Die Hauptaufgabe der OEEC war die Erstellung eines europäischen Wirtschaftsprogramms und die Verteilung der Mittel des Marshallplans. In Artikel 1 der Gründungscharta hieß es:

    "Das Ziel dieses Programms ist es, so schnell wie möglich ein zufriedenstellendes Niveau wirtschaftlicher Aktivität zu erreichen, dass keine Hilfe von außen benötigt."

    Diese Aufgabe konnte man Ende der 50er-Jahre als erledigt betrachten. Westeuropa boomte, allen voran die Bundesrepublik, die zweistellige Wachstumsraten aufwies. Die OEEC war ein "Club der Reichen" geworden und drohte überflüssig zu werden. Dabei hatte sie sich als Instrument des Austausches über wirtschaftliche Fragen und besonders als Forum des europäisch-amerikanischen Dialoges bewährt. Deshalb beschlossen die Mitglieder der OEEC am 14. Dezember 1960 in Paris, ihre Organisation in einen neuen Verband zu überführen. Der RIAS berichtete:

    "18 Staaten unterzeichneten heute Vormittag in der französischen Hauptstadt die Konvention der neu gegründeten Gemeinschaft, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe. Abgekürzt wird es künftig heißen: OECD."

    Mitglieder der neuen Organisation waren, neben den europäischen Staaten, die zuvor schon dabei waren, jetzt auch die USA und Kanada. Was die Aufgabe der OECD war, wusste allerdings noch niemand genau zu sagen. Auch der bundesdeutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard nicht:

    "Man suchte eine Plattform, um die europäische Zusammenarbeit zu weiten in den atlantischen Raum hinein und vielleicht auch eine Gesprächsbasis, um die europäischen Probleme in sich zu lösen. Ich meine das Problem der EWG und der EFTA."

    So bot die OECD den einzelnen Staaten, die sich uneins darüber waren, wie viel Macht sie an Europa abgeben wollten, die Chance, wieder ins Gespräch zu kommen, nachdem sie gerade mit der Freihandelsassoziation EFTA und der EWG zwei konkurrierende Organisationen gegründet hatten.

    "Man kann nur hoffen, dass die OECD diese Erwartungen erfüllt. Vorläufig ist sie eine Schale und sie muss erst noch mit Leben gefüllt werden."

    Anders als die OEEC, die immerhin die Milliarden Dollar des Marshallplans verteilen konnte, hatte die neue OECD jedoch kaum Geld zu vergeben und auch ihre Beschlüsse verpflichteten die Mitglieder zu nichts. Sie war von vornherein als Beratungsorganisation und als permanent tagende Konferenz angelegt.

    "Ich sehe eigentlich den Wert der OECD mehr darin, wirklich über Europa hinaus weltweite Fragen, Fragen der freien Welt besser gesagt, anzusprechen. Denn wir spüren es doch immer deutlicher, dass im engen Raum sind die Probleme nicht mehr lösbar."

    Tatsächlich wurde die OECD ein Forum, um auf Regierungsebene die Fragen der Welt anzusprechen. Eine wirklich mächtige Organisation wurde sie jedoch nie. Das lässt sich unter anderem daran ablesen, dass sich das Interesse jüngerer Großmächte wie China oder Indien, ihr beizutreten in Grenzen hält.

    Die Organisation gilt nicht zu Unrecht als Verein des alten "Westens" und ihr Aufgabengebiet überschneidet sich mit dem größerer und mächtigerer Verbände wie den G-20, der EU und der WTO. Für die inzwischen 30 Mitgliedsstaaten hat sie sich jedoch als "Denkfabrik" und als Serviceinstitution erwiesen, deren Wirtschaftsgutachten, Prognosen und Empfehlungen durchaus Bedeutung haben. Und dass der Papiertiger auch Zähne hat, zeigt sich regelmäßig bei den PISA-Veröffentlichungen und bei der Aufstellung der grauen Liste der "Steuerparadiese."