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Berauschender Aus-Schalter

Neurologie. – Cannabisprodukte sind als Rauschgifte verboten. Allerdings produziert der Körper ähnliche Substanzen, die sogenannten Cannabinoide, die verschiedene Aufgaben erfüllen. Bonner Forscher fanden kürzlich heraus, dass diese Cannabinoide eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Immunsystems spielen. Cannabis könnte daher zur Bekämpfung von Kontaktallergien eingesetzt werden, denen eine gestörte Immunreaktion zugrunde liegt.

Von Kristin Raabe | 31.08.2007
    Dass es auch in der Haut Bindungsstellen für die Wirkstoffe der Cannabis-Pflanze gibt, ahnte vor neun Jahren noch niemand. Andreas Zimmer hat diese Entdeckung lediglich einem Zufall zu verdanken. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern hatte er in den USA gentechnisch veränderte Mäuse gezüchtet, denen die Rezeptoren für Cannabinoide fehlten. Die Tiere verhielten sich seltsam. Zimmer:

    "Und bei diesen Mäusen haben wir beobachtet, dass die Tiere, wenn wir denen Ohrmarken setzen, dass sie sich anfangen dort zu kratzen."

    Die Tiere kratzten sich regelrecht wund. Der Verdacht lag nahe, dass das Jucken irgendetwas mit dem Fehlen der Cannabinoidrezeptoren zu tun hat. An diese Rezeptoren binden nicht nur manche Inhaltstoffe der Hanfpflanze, viel wichtiger ist ihre Funktion für die körpereigenen Cannabinoide. Diese Botenstoffe sind im Nervensystem an vielen Funktionen beteiligt. Warum das Fehlen der Cannabinoidrezeptoren die Mäuse dazu brachte, sich wie verrückt zu kratzen, blieb erst mal rätselhaft. Zimmer:

    "Wir haben eigentlich gedacht, dass die Tiere einen stärkeren Juckreiz verspüren, und der Möglichkeit sind wir dann nachgegangen und haben dann versucht, Juckreize zu bestimmen, was ja nicht so ganz einfach ist bei Mäusen. Und wurden dann eines Tages überrascht, weil nämlich dieses Problem in den Tieren nicht mehr auftauchte. Dann haben wir nachgeschaut, was wir verändert haben und wir haben gemerkt, dass die Ohrmarken, die wir verwendet haben auf einmal andere Ohrmarken waren. Wir haben vorher Ohrmarken verwendet, die eine relativ hohe Nickel-Konzentration hatten und nachher die Ohrmarken, die wir verwendet haben waren aus reinem Kupfer."

    Die Mäuse hatten eine Kontaktallergie gegen Nickel entwickelt. In weiteren Experimenten in anderen Tiermodellen und mit Zellkulturen versuchte Andreas Zimmer herauszufinden, welche Rolle die körpereigenen Cannabinoide bei einer solchen Kontaktallergie spielen. Zimmer:

    "Dabei haben wir gefunden, dass in allergischem Gewebe die Synthese von körpereigenen Cannabinoiden stark angestoßen wird. Gleichzeitig wandern neue Zellen, die Cannabinoidrezeptoren in das entzündete Gewebe ein. Und was auch ganz spannend war und auch unerwartet war für uns: Hautzellen fangen auf einmal an Cannabinoidrezeptoren ganz stark zu produzieren und sogenannte Chemokine zu produzieren, dass sind Substanzen, die Immunzellen anlocken."

    Das körpereigene Cannabinoidsystem wird aktiviert, wenn die menschliche Haut auf einen Fremdkörper mit einer Entzündung reagiert. Bei Kontaktallergien, etwa bei einer Nickelallergie, sind diese normalen Prozesse allerdings völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Hautzellen produzieren immer mehr Chemokine und die natürliche Abwehrreaktion der Haut kann nicht abklingen. Zimmer:

    "Wenn wir Cannabinoide dazugeben, dann werden weniger von diesen Chemokinen produziert. Und das suggerierte uns, dass wir in der Haut so ein System haben, wo diese Hautzellen merken, dass da ein Stimulus ist, also eine Entzündung im Prinzip anstoßen und dann nachdem die Entzündung angestoßen ist, das endogene Cannabinoidsystem dafür sorgt, dass diese Entzündung herunterreguliert also unterbrochen wird."

    Das körpereigene Cannabinoidsystem ist also so etwas wie der Aus-Schalter für die Abwehrreaktion der Haut. Ist dieser Aus-Schalter nicht funktionsfähig, entstehen Allergien. Die Wirkstoffe der Hanfpflanze können in solchen Fällen allerdings hilfreich sein. Auch das hat Andreas Zimmer in seinem Labor erprobt. Der Hauptwirkstoff von Haschisch und Marihuana, das sogenannte THC, konnte im Labor die allergische Reaktion blockieren. THC kann allerdings bekanntlich auch einen Rausch auslösen, und das ist keine erwünschte Nebenwirkung. Zimmer:

    "Für eine klinische Anwendung ist das gar nicht so wichtig, weil eigentlich unsere Ergebnisse gezeigt haben, dass eine lokale Anwendung, in Form von einer Creme vielleicht, vollkommen ausreicht, um allergische Reaktionen zu unterdrücken."

    Als Bestandteil einer Creme wirkt THC sicherlich nicht Rausch auslösend. Und andere ernste Nebenwirkungen erwartet Andreas Zimmer von einer Therapie mit einer Hanfsalbe nicht.