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Bereit für den Tabubruch?
Neue Farbenlehre bei Brandenburgs CDU

Aus Berlin kam direkt eine Rüge: Der Mutterpartei gefällt die neue politische Offenheit des Brandenburger CDU-Chefs Senftleben gar nicht. Der hatte für 2019 nach der Landtagswahl weder eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen noch Gespräche mit der AfD. Seither wird in der Mark heftig diskutiert.

Von Vanja Budde | 17.05.2018
    Der CDU-Fraktionsvorsitzende Ingo Senftleben spricht am 28.09.2016 in Potsdam (Brandenburg) in der Debatte der Landtagssitzung. Die Abgeordneten beraten über den Haushaltsplan des Landes für die Jahre 2017 und 2018. Foto: Bernd Settnik/dpa (zu dpa «CDU-Opposition fordert Schuldenabbau und Ausbau der Infrastruktur» vom 28.09.2016) | Verwendung weltweit
    Hält nichts von Ausschließeritis: Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben würde 2019 gegebenenfalls auch mit der Linken koalieren oder mit der AfD sprechen, sagt er. (picture alliance / dpa / Bernd Settnik)
    Der Vorsitzende der märkischen CDU, Ingo Senftleben, will "die politische Farbenlehre erweitern und über Grenzen hinweg denken":
    "Ich sage ganz klar: Es ist ein Unterschied, ob ich über die Linkspartei auf Bundesebene oder Landesebene rede. Und von daher ist die Linke in Brandenburg sehr pragmatisch."
    Für diesen Annäherungsversuch und das Gesprächsangebot an die AfD gab es Ärger. CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Merkel warnte, dass Senftleben da auf einem schmalen Grat zwischen links und rechts wandele.
    Auch die neue CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer rief an, um den Revolutionär an der Havel wissen zu lassen:
    "Wir sehen die Linkspartei weiterhin kritisch. An der klaren Abgrenzung nach rechts und nach links halten wir fest."
    Ausgrenzung der AfD hält Senftleben für den falschen Weg
    Ingo Senftleben, 1974 geboren und in der Lausitz aufgewachsen, mittelgroß, sehr schlank, sanfte dunkle Augen, reagiert scheinbar gelassen:
    "Ich habe relativ wenig Verständnis dafür, wenn diejenigen, die das Glück hatten, auf der anderen Seite der Mauer groß zu werden, mir jetzt sagen, was ich zu denken und zu sagen habe. Von daher mag das eine Debatte sein, die jetzt sehr schwierig ist, die aber aus meiner Sicht notwendig ist, weil der Wähler einen Anspruch darauf hat, von der Politik eine klare Antwort zu bekommen, und die bekommt er auch von mir."
    Ausgrenzung der AfD-Wähler sei der falsche Weg, meint Senftleben. Doch die AfD wird in Brandenburg nicht nur von einem Rechtsaußen namens Andreas Kalbitz geführt, sondern ist nach Ansicht von Kennern der Szene rechtsextremistisch durchsetzt.
    Die "Alternative für Deutschland" mischt auch bei fremdenfeindlichen Demonstrationen in Brandenburgs zweitgrößter Stadt Cottbus mit, die seit Monaten Tausende anziehen.
    Regierungsbildung mit AfD "ein Stückweit" ausgeschlossen
    "Mit einer AfD, die von Herrn Kalbitz geführt wird, der ja klar rechtsextreme Verbindungen zumindest in der Vergangenheit auch hatte, kann ich mir keine Gemeinsamkeiten vorstellen, und deswegen schließe ich dann auch letztendlich Gespräche über Regierungsbildung ein Stückweit auch mit aus."
    Senftleben kennt die Zahlen: Die jüngste Umfrage von infratest dimap ergab neue Rekordwerte, in jeglicher Hinsicht: Tiefstand für die SPD mit 23 Prozent, gleichauf die CDU, die AfD mit 22 Prozent im Höhenflug, die Linke stabil bei 17 Prozent. Käme es zu einem solchen Wahlergebnis, hätten Zwei-Parteienbündnisse keine Regierungsmehrheit. Eine Dreier-Koalition wäre dann nötig.
    "Und deshalb möchte ich nicht 40 Prozent der Brandenburger von vornherein ausschließen, indem ich sage: Ich rede mit denen, die ihr gewählt habt, nicht."
    Dietmar Woidkes (SPD) Bruchlandung mit der Kreisreform
    Doch wie kam es überhaupt zu dem Stimmungswandel? Die SPD, seit fast 30 Jahren an der Macht, wirkt ausgezehrt und scheint den Bezug zu vielen Bürgern verloren zu haben. Das augenfälligste Beispiel:
    "Ich begrüße alle Brandenburgerinnen und Brandenburger die unsere Initiative unterstützen wollen, um diesen Unsinn zu stoppen."
    Es sollte das größte Reformprojekt der Landesregierung in dieser Legislaturperiode werden: Im Zuge der Kreisreform sollten Landkreise zusammengelegt und die Verwaltung effizienter werden. Die oppositionelle CDU macht dagegen mobil, initiiert eine Volksinitiative. Ministerpräsident Dietmar Woidke zieht schließlich die Notbremse, bläst das Projekt ab, die Kreisreform ist krachend gescheitert.
    Woidke warnt vor heiklen politischen Experimenten
    Nun greift sein CDU-Herausforderer nach der Macht, Senftleben will den angeschlagenen Regierungschef ablösen. Und Dietmar Woidke? Kontert mit einem "Weiter so":
    "Das, was Herr Senftleben mit der Linken macht, macht er ja genauso mit der AfD. Es geht von links nach rechts, offensichtlich gibt's da keine klare Orientierung. Und ich glaube, das Land braucht Stabilität und was das Land überhaupt nicht braucht, sind politische Experimente, die sich am Ende als Rohrkrepierer erweisen. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, dass wir mit den Linken auch in den letzten Jahren, mittlerweile fast zehn Jahren, sehr, sehr viel erreicht haben für dieses Land, und auf dieser erfolgreichen Basis dann nach der Landtagswahl sehen werden, wer als Koalitionspartner infrage kommt. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die SPD mit Abstand stärkste Kraft in diesem Land bleiben wird."
    Linke: Überschneidungen mit der CDU "sehr gering"
    Zweckoptimismus? Oder übersieht da jemand die Warnsignale? Anja Mayer kommt jedenfalls kein illoyales Wort über den Koalitionspartner über die Lippen. Zusammen mit Diana Golze, derzeit Sozialministerin im Kabinett Woidke, führt Mayer die Brandenburger Linke. Golze hat zwar mal gesagt, man könne eine Koalition mit der CDU nicht ausschließen. Aber auf den neuen Flirtversuch von Ingo Senftleben reagiert Linken-Chefin Mayer kühl:
    "Wir sind jetzt in einer Phase vor der Landtagswahl, wo es darum geht, die Inhalte zu bestimmen. Und wenn ich mir dann anschaue, was die Überschneidungen mit der CDU sein könnten, dann sind die sehr gering. Und das Ziel muss doch das gute Leben für alle sein und da weiß ich nicht, was wir mit der CDU gemeinsam umsetzen sollten."
    Die CDU solle mal lieber ihr Verhältnis zur AfD klären, gibt die Linken-Chefin Ingo Senftleben noch mit auf den Weg.
    Grüne: "Man kann nicht rechts blinken und links abbiegen"
    Dem schließt sich der Fraktionschef der Grünen im Landtag an. Axel Vogel ist Gründungsmitglied seiner Partei, ohne die eventuell die nächste Regierungsbildung in Potsdam nicht möglich sein wird.
    "Der erste Tabubruch war tatsächlich vor Kurzem, als im Landtag Vertreter der CDU erklärten, dass sie jetzt öfters mit der AfD stimmen werden. Das ist falsch. Man kann nicht links blinken und dann rechts abbiegen oder rechts blinken und dann links abbiegen wollen. Das könnte auch so gedeutet werden, als ob die Warnblinkanlage angeschaltet ist. Und wer die Warnblinkanlage an hat, der muss damit rechnen, dass er von allen anderen überholt wird."
    Seine Partei stehe auf jeden Fall für eine Koalition bereit, sagt Axel Vogel. Zwischen Partnern mit wenigen Gemeinsamkeiten wie CDU und Linke könnten die Grünen prima als Scharnier dienen, meint er fein lächelnd. Nur mit der AfD sei kein Staat zu machen.