Donnerstag, 25. April 2024

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Berichterstattung über Berliner Anschlag
"Medien können den Geschwindigkeitswettbewerb nicht gewinnen"

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bewertet die bisherige Berichterstattung über den Anschlag in Berlin zwiespältig: Es gebe zwar bei einigen Medien ein Bemühen um Besonnenheit, sagte er im DLF. Gleichzeitig stellten sich viele dem "Geschwindigkeitswettbewerb" mit den sozialen Medien - laut Pörksen ein Fehler.

Bernhard Pörksen im Gespräch mit Änne Seidel | 20.12.2016
    Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft
    Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft (picture alliance / ZB - Karlheinz Schindler)
    Die Berichterstattung habe in Zeiten von Attentaten oder Katastrophen eine "offene Flanke", sagte Pörksen. Ungewissheit im Verbund mit dem Geschwindigkeitsrausch im digitalen Zeitalter - das sei eine potenziell fatale Kombination. Dennoch beobachte er ein Bemühen um Zurückhaltung und Besonnenheit sowie eine schnelle Bereitschaft zur Metareflexion: "Wie gehe ich vor, wieso haben wir uns auf diese Weise entschieden, auf Sendung zu gehen oder nicht auf Sendung zu gehen, warum haben wir uns entschieden, erst die Fakten zu sammeln?" Man könne hier einen Lerneffekt der Medien sehen.
    Gleichzeitig gebe es auch von den klassischen Medien "absolute Grenzüberschreitungen". Als Beispiel nannte er ein Live-Video der "Berliner Morgenpost", in dem unter anderem Verletzte auf dem Boden zu sehen waren. "Das war eine Profilierung als Gaffermedium", so Pörksen.
    "Journalismus muss sich um Einordnung bemühen"
    Der Journalismus stehe derzeit vor einem Dilemma: Das Publikum treibe ihn in den sozialen Medien, schneller und früher zu berichten - gleichzeitig gehöre es zum Markenkern von Journalismus, Fakten zu vermitteln. Es sei ein Zeichen von Besonnenheit gewesen, nicht auf Sendung zu gehen, als man noch nicht wusste, ob es sich um einen Unfall oder einen Anschlag gehandelt hat. "Diesen Geschwindigkeitswettbewerb mit den sozialen Medien kann man gar nicht gewinnen." Stattdessen müsse der Journalismus sich um Einordnung bemühen.
    Vom Gatekeeping zum Gatereporting
    Mit Blick auf die unklare Täterschaft des Berliner Anschlags sagte Pörksen, die Medien hätten sich zurückhalten müssen. Doch durch den "Sofortsendezwang" entstehe ein Interpretationsvakuum, das versucht werde zu füllen. "Dem muss man widerstehen. Wer das Vakuum mit Spekulationen füllt, steht am Ende des Tages zu Recht blamiert da."
    Pörksen sieht die Funktion der Medien nicht mehr nur im Gatekeeping, also in der Auswahl und Gewichtung der Themen, sondern auch im "Gatereporting": Sie müssten erklären, warum sie etwas bringen oder auch nicht. Die Offenlegung der eigenen Vorgehensweise sei eine neue Kernaufgabe des Journalismus in "diesen hektischen Zeiten".
    Das gesamte Gespräch mit Bernhard Pörksen können Sie mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.