Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Berlin
Dieselfahrverbote ohne Verkehrsschilder

Seit Oktober 2018 gelten in 30 deutschen Städten Dieselfahrverbote für besonders befahrene Straßen. Auch für acht Straßen in Berlin. Dennoch fahren dort weiter auch Dieselfahrzeuge. Der Grund ist ein Umstand, der so manchen an einen Schildbürgerstreich denken lässt.

Von Dieter Nürnberger | 19.11.2019
Dicht an dicht stehen Fahrzeuge auf der Gertraudenstraße in Berlin.
Die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid müssen auch in der Hauptstadt eingehalten werden - so das Gerichtsurteil (picture alliance / Paul Zinken)
In der Reinhardstraße im Berliner Regierungsviertel sollte eigentlich längst ein Durchfahrtverbot für Diesel-Autos und auch -LKW gelten. Eigentlich, denn passiert ist noch nichts. Obwohl der Berliner Senat schon im Juli einen neuen Luftreinhalteplan verabschiedet hat. Darin enthalten auch die Dieselfahrverbote auf bestimmten Berliner Straßen. Doch seitdem wurde die Aufstellung entsprechender Hinweisschilder immer wieder verschoben. Und ohne Schilder kein Durchfahrverbot. Ein Stück aus dem Tollhaus? Nein, sagt Jan Thomsen, Sprecher der Berliner Umwelt- und Verkehrssenatorin:
"Diese Schilder sind so groß, dass sie tatsächlich im Berliner Straßenland sehr sicher verankert werden müssen. Das klingt jetzt absurd, aber es ist so. Die Berliner Bezirke sind zuständig für die Schilder, die werden jetzt bis Ende des Jahres so weit sein, dass sie stehen. Und dann gibt es auch die Durchfahrverbote."
Vor allem für die Deutsche Umwelthilfe klingt das absurd. Denn, wie in mehr als 30 anderen Städten auch, hatte der Verband auf saubere Luft geklagt. Und im Oktober 2018 einen juristischen Teilerfolg erzielt. Die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid müssten auch in der Hauptstadt eingehalten werden, so das Verwaltungsgericht. Dass es nun an noch nicht fertigen Schildern liegen soll - da fällt Jürgen Resch, dem streitbaren Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, eigentlich nur noch eines ein - richtig: Die Schildbürger:
"Denn wir bestellen auch Schilder, und bekommen diese - wenn wir wollen - innerhalb von einer Woche geliefert. Das ist ein Schildbürgerstreich, der hier stattfindet.
Und ich finde es schon beschämend, dass der Berliner Senat ein rechtskräftiges Urteil zum Schutz seiner Bürger vor giftigen Dieselabgasen einfach nicht umsetzt."
Deutsche Umwelthilfe hat Vollstreckungsantrag gestellt
Weshalb die Deutsche Umwelthilfe wegen der Schilderfrage inzwischen einen Vollstreckungsantrag gestellt hat. Der Berliner Senat sieht die Sache allerdings etwas anders: Demnach sind die Fahrverbote auf insgesamt acht Berliner Straßen nur Teil eines Maßnahmenpakets für bessere Luft. Es seien bereits Tempo-30-Zonen eingerichtet worden, auch wird die Parkraumbewirtschaftung ausgeweitet - je teurer das Parken, desto weniger Verkehr, so die Hoffnung. Ebenso sollen Fahrzeuge der Berliner Eigenbetriebe, also Busse und beispielsweise Reinigungs- oder Müllfahrzeuge, durch Neukauf oder Umrüstung weniger Schadstoffe emittieren.
Die geplanten Fahrverbote seien somit ohnehin weniger wirksam als die anderen, die großflächigen Maßnahmen. Ein sehr komplexer Sachverhalt, sagt Jan Thomsen, der Sprecher der Berliner Verkehrsverwaltung, er erwartet nicht, dass die fehlenden Schilder noch ein juristisches Nachspiel haben.
"Na ja, das Gericht hat schon gesagt, bis zum Frühjahr ein Luftreinhalteplan. Das haben wir nicht geschafft, wir sind im Sommer fertig geworden. Wir können aber wirklich jeden einzelnen Tag belegen. Das sind einfach sehr komplexe Berechnungen, die man da durchführen muss. Es geht um die ganze Stadt. Welche Maßnahme wirkt an welcher Straße wie? Wir sehen da also jeder Beschleunigung, die uns da noch ein Gericht auftragen würde, gelassen entgegen."
Ausreden, Verzögerungen, Unverständnis
Doch wann kommen sie nun konkret, die Schilder? Eine der zuständigen Verwaltungen in der Hauptstadt ist der Bezirk Mitte. Schriftlich wird mitgeteilt, dass das Vergabeverfahren nun abgeschlossen sei und Schilderhersteller inzwischen beauftragt wurden. So weit, so gut. Doch dann müssten ja auch noch die Fundamente angelegt werden, deren Aushärtung lange 28 Tage dauern würde. Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, reagiert hörbar ungeduldig:
"Ja, es gibt bestimmt Betonfundamente, deren Aushärtung 28 Tage dauert. Wer selber einmal gebaut hat, weiß aber, dass es unterschiedliche Zementmischungen gibt. Und es gibt auch solche, die härten schneller aus.
Aber auch 28 Tage sind ein knapper Monat und wir haben schon vor rund einem Jahr das Gerichtsurteil bekommen. Also man sollte sich dann zumindest eine bessere Ausrede einfallen lassen."

In der Reinhardstraße, wo lediglich auf einer Teilstrecke von rund 150 Metern ein Dieselfahrverbot gelten soll, ist von Fundamentierungsarbeiten noch nichts zu sehen.
In keiner anderen Stadt, wo Gerichte Maßnahmen zur Luftreinhaltung verhängten, habe die Umsetzung eines Durchfahrtverbots für Dieselfahrzeuge so lange gedauert, klagt die Deutsche Umwelthilfe. Und da muss sogar Jan Thomsen, der Sprecher der Verkehrsverwaltung in Berlin, zustimmen.
"Ich kenne jetzt keine anderen Kommunen, in denen es noch langsamer gegangen ist. Aber ehrlich gesagt, dass nun alle Kommunen super funktionieren - nur Berlin nicht - das ist wirklich nicht richtig."