Freitag, 29. März 2024

Archiv

Berlin
Immer mehr Piraten gehen von Bord

2011 erzielte die Piratenpartei bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 8,9 Prozent und zog damals völlig überraschend ins Parlament ein. Anschließend in drei weitere Landtage. Nach innerparteilichen Streitigkeiten und jeder Menge Parteiaustritten ist von dem einstigen Hype nicht mehr viel übrig. Eine Bestandsaufnahme in Berlin.

Von Wolf-Sören Treusch | 07.03.2016
    Ein Luftballon mit dem Logo der Piratenpartei fliegt durch den Saal.
    Er ist noch an Bord: Simon Kowalewski, frauenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, und mit seinen bunt gefärbten, schulterlangen Haaren und seiner aufgeschlossenen Art so etwas wie der Gute-Laune-Bär der Fraktion.
    "Es gab tatsächlich Zeiten, wo einfach ein offener Krieg herrschte. Beruhte vor allem scheinbar auf irgendwelche verletzten Persönlichkeiten."
    Als vorerst letzter in einer ganzen Reihe prominenter Piratenpolitiker zog im Dezember Martin Delius die Reißleine. Er hatte die Faxen dicke, so seine Begründung, sich ständig für das Gebaren einzelner Piraten rechtfertigen zu müssen. Als Vorsitzender seiner Fraktion, aber auch des BER-Untersuchungsausschusses, hat er sich über die Grenzen Berlins hinaus profiliert. Nun orientiert er sich Richtung Linkspartei. Sieben von fünfzehn Abgeordneten der Piratenfraktion sind im Laufe der Legislaturperiode aus der Partei ausgetreten. Sind aber immer noch Mitglieder der Fraktion.
    "Wir haben vor allem das Problem, dass viele Leute aus irgendwelchen Gründen davon ausgehen, dass es uns gar nicht mehr gibt, dass wir uns aufgelöst hätten oder so. Das Problem ist nicht, dass viele Leute mit unseren Themen oder auch unserer Präsentation Probleme hätten, aber ich denke mal, wenn wir es irgendwie schaffen im kommenden Wahlkampf zu zeigen, ja, wir sind noch da, wir sind stark, und wir wollen auch weitermachen, wir sind auch wichtig, dass wir dann durchaus wieder einziehen können."
    Im Herbst wird in Berlin gewählt. Aktuelle Umfrageergebnisse sehen die Piraten bei 3 Prozent. Einer, der schon 2013 von Bord ging, ist der ehemalige Vorsitzende der Bundespiraten Bernd Schlömer.
    "Das Thema Datenschutz, das Thema Kommunikationsüberwachung, ist im Wahlkampf 2013 trotz der Edward-Snowden-Affäre, dem Skandal, nicht angenommen worden vom Bürger. Es war nicht unter den Top 3 der Wahlthemen, die Menschen dazu bewogen haben, die Piratenpartei zu wählen, das muss man auch akzeptieren."
    Nun ist Bernd Schlömer zurück auf der politischen Bühne. Im vergangenen Jahr schloss er sich der Berliner FDP an. Sein Kernthema "bürgerliche Freiheitsrechte" könne er auch bei den Liberalen vertreten, begründet er seinen Schritt. Für die FDP wird er fürs Berliner Abgeordnetenhaus kandidieren. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – hier erzielten die Liberalen bei den letzten Wahlen gerade mal ein Prozent der Stimmen.
    "Genau: hohe Ziele, niedriges Niveau, damit startet man. Ich habe nichts zu verlieren. Vielleicht ein bisschen frech auftreten, provokant sein, die Grünen herausfordern. Die Grünen ist ja ähnlich wie die bayerische CSU seit 30, 40 Jahren unangefochten in Kreuzberg am Regieren. Vielleicht können wir ja ein paar Prozentstücke aus dem Kuchen der Grünen herausbrechen."
    Die Piraten haben nicht nur Personalprobleme, auch finanziell sind sie in schwere See geraten. Bis Mitte des Monats muss die Bundespartei 636.000 Euro an den Bundestag zurücküberweisen. Kein Problem, vermutet Simon Kowalewski, es gäbe genügend Rückstellungen. Und mittelfristig?
    "Die Bundespartei ist natürlich, nachdem sie lange Zeit mit der Hoffnung, dass dieser Hype immer weiter geht, expandiert hat, Mitarbeiter eingestellt hat, muss jetzt natürlich auch schauen, dass sie Kosten reduziert. Ganz große Sprünge kann die nicht mehr machen. In Berlin haben wir das Glück, dass wir eben auch schon seit 2011 sozusagen uns auf den Wahlkampf 2016 vorbereitet haben und entsprechende Wahlkampfrückstellungen auch gemacht haben."
    Der Kampf mit finanziellen Problemen
    Das ist auch dringend notwendig, denn von ihren Mitgliedern erhalten die Berliner Piraten immer weniger Geld. Zu ihren besten Zeiten hatten sie mehr als 3.000 Mitglieder, zurzeit sind noch 817 gemeldet, 297 von ihnen zahlen Beitrag. Einer kann die Aufregung dennoch nicht verstehen: Holger Pabst, Fraktionsvorsitzender der Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Piraten seien eine junge Partei, da gehöre Flexibilität quasi zur DNA.
    "Das heißt: Es ist natürlich einfacher, mal rein zu wechseln oder auch raus zu wechseln. Dadurch dass wir so flexibel sind und im Gegensatz zu anderen Parteien nicht jahrelanges Hocharbeiten erfordert haben, ist natürlich klar, dass Leute sehr schnell gucken. Hm, da kann ich vielleicht woanders hin, was gibt’s noch. Das heißt, diese Bindung haben wir nie gehabt, das sehe ich aber nicht als Schaden oder als Nachteil an.
    Klarmachen zum Ändern!, lautet noch immer einer der Wahlslogans der Piraten. Simon Kowalewski kandidiert deshalb erneut fürs Berliner Abgeordnetenhaus.
    "Die Piraten waren in dieser Legislaturperiode meiner Meinung nach die einzige wirkliche Oppositionspartei. Deswegen habe ich mich diese fünf Jahre voll darauf konzentriert, würde es auch für weitere fünf Jahre machen, so es denn erwünscht wird. Und wenn nicht, dann bin ich halt wieder Teil des Arbeitsmarkts."