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"Berlin ist für uns eine unglaublich wichtige politische Adresse"

Deutschland habe sein Land in Krisenzeiten stets unterstützt und sei auch weiterhin ein wichtiger politischer und wirtschaftlicher Partner, sagt Außenminister Enver Hoxhaj. Der Kosovo habe in den letzten drei Jahren große Fotschritte gemacht, dennoch sei man in Europa noch immer sehr isoliert.

Enver Hoxhaj im Gespräch mit Christoph Heinemann | 10.06.2011
    Christoph Heinemann: Die beiden letzten bemerkenswerten Meldungen aus dem Gebiet des früheren Jugoslawiens waren erstens viel beachtet die Festnahme des früheren serbischen Generals Ratko Mladic und zweitens kaum öffentlich gewürdigt Äußerungen des serbischen Präsidenten, indem Boris Tadic eine Lösung des Streits um Kosovo andeutet, etwa praktische Regelungen für die Ein- und Ausfuhr von Gütern über die Grenze zwischen Kosovo und Serbien ins Spiel bringt. Kosovo ist ein unabhängiger Staat, 76 Länder haben diese Souveränität anerkannt. Drei EU-Staaten übrigens nicht, Spanien, Rumänien und die Slowakei, und das ist spannend, denn diese Nichtanerkennung hat etwas mit dem selbst nach EU-Standard vorbildlichen Schutz der Minderheiten in der Verfassung des Kosovo zu tun. Im Parlament in Pristina sitzen etwa fünf Abgeordnete der Roma, eine serbische Partei ist an der Regierung beteiligt.
    In Berlin ist heute Enver Hoxhaj, der Außenminister des Kosovo, zu Gast. Er wird ein Gespräch führen mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Enver Hoxhaj, nicht zu verwechseln mit dem albanischen Diktator Enver Hoxha, habe ich vor dieser Sendung gefragt, was ihm durch den Kopf ging, als er von der Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic hörte.

    Enver Hoxhaj: Natürlich, das ist eine sehr gute Nachricht, nicht nur für Kosovo, sondern auch für Bosnien und für die Region. Es ist aber gleichzeitig eine Nachricht, die ziemlich spät hier kam, weil dieses Ereignis geschah nach 16 Jahren. Aber das ist ein sehr wichtiges Signal, dass Versöhnung auf dem Balkan beginnt und dass wir mit der Geschichte ein Feuer brechen und dass alle Länder der Region, einschließlich mein Land, eines Tages Teil Europas werden.

    Heinemann: Deutet diese Auslieferung und deutet die Ankündigung des serbischen Präsidenten Tadic, man müsse jetzt praktikable Lösungen für Probleme suchen, auf eine neue Politik in Belgrad hin, auch eine neue Kosovo-Politik?

    Hoxhaj: Ich glaube nicht. Leider muss ich sagen, dass Belgrad auch in den letzten zwölf Jahren gar nicht seine Position zum Kosovo geändert hat. Wir hatten 2005, '06 und '07 Verhandlungen, die vom ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari geleitet worden sind, und er war ein Sondergesandter der Vereinten Nationen, und aufgrund einer international verhandelten Lösung, eines Planes, waren wir dann auch imstande, das Land unabhängig zu erklären. Derzeit sind wir von 76 Staaten anerkannt. Serbien betreibt weiterhin eine Politik, die leider nicht viel ändert von einer Politik, die in den 90er-Jahren von Belgrad zum Kosovo verfolgt worden ist.

    Heinemann: Das heißt, auch die Töne von Boris Tadic sind für Sie keine neuen, deuten nicht auf Bewegung hin?

    Hoxhaj: Leider nicht. Wir sind uns dessen bewusst, dass es vielleicht für die unmöglich ist, jetzt in dieser Zeit unsere Unabhängigkeit anzuerkennen. Für die Bevölkerung im Kosovo ist dies nicht mehr eine Frage in Serbien. Es gab Umfragen in den letzten Monaten dort und Kosovo wurde als ein Problem Nummer sieben oder acht eingestuft, aber nicht als eine Kernfrage.

    Heinemann: Der Norden des Kosovo wird von Belgrad kontrolliert, Mitrovica ist eine geteilte Stadt. Der serbische Innenminister Dacic hat jetzt eine Teilung des Kosovo vorgeschlagen. Könnte das in irgendeiner Weise zu einer Lösung beitragen?

    Hoxhaj: Ich glaube nicht. Die Lösung ist praktisch das, was wir mit dem Ahtisaari-Plan erreicht haben. Das war eine internationale Lösung. Die Idee, dass man Grenzen auf dem Balkan verschiebt, dass man Territorien verwechselt, dass man ethnische Staaten schafft, sind ganz gefährliche Ideen und Konzepte und wir sind stark dagegen und wir werden es auch nicht akzeptieren.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, ein Gespräch mit dem kosovarischen Außenminister Enver Hoxhaj. – Sie sprachen vom Anerkennen von Realitäten. In einem im Dezember veröffentlichten Bericht für den Europarat schrieb der Schweizer Jurist Dick Marty, Hashim Thaci, der heutige Ministerpräsident des Kosovo, früher Chef der Befreiungsarmee UCK, sei am Handel mit Organen serbischer Gefangener nach dem Kosovo-Krieg, an Auftragsmorden und anderen Verbrechen beteiligt gewesen. Sie kennen das, das hat für große Aufregung gesorgt. Wenn das stimmt, gehört dann Thaci nicht nach Den Haag, gleich in die Zelle neben Ratko Mladic?

    Hoxhaj: Wir haben verlangt, dass EULEX – das ist eine Mission, die für Rechtsstaatlichkeit im Kosovo sorgt – alle Behauptungen, die Dick Marty in seinem Bericht macht, richtig untersucht. Die Regierung und auch gleichzeitig der Premierminister kooperieren sehr gut mit EULEX, und solange es keine richtige Untersuchung hier gibt, würde ich nicht sagen, dass man bestimmte moralische Urteile gibt. Wir gehen davon aus, dass abgewartet werden muss, was aus diesen Behauptungen wirklich wird. Gleichzeitig muss ich sagen, viele Situationen, viele Umstände, die Dick Marty in seinem Bericht beschreibt, sind nicht faktisch belegt. Doch der Bericht ist da und wir nehmen den Bericht hier sehr seriös.

    Heinemann: Das soll ja jetzt untersucht werden, und zwar von Carla Del Ponte, der früheren Chefanklägerin beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Was wäre, wenn Frau Del Ponte Dick Martys Bericht bestätigte?

    Hoxhaj: Ich muss sagen, diese Behauptungen sind nicht neu. Die waren alt, die wurden in der Vergangenheit auch vom Kriegsverbrechertribunal untersucht, sie wurden auch von einer Mission der Vereinten Nation UNMIC dort untersucht, die wurden auch von KFOR untersucht. Alle Untersuchungen wurden 2004/5 abgeschlossen, doch Herr Marty hat jetzt einen neuen Bericht verfasst und die beste Art und Weise, um diesen Fragen nachzugehen, ist, diese EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX, die die Arbeit hier macht, die haben die fachliche Kompetenz dort und es sind mehr als 1.700 Leute, die es auch professioneller machen können. Ich glaube nicht, dass es hier darum gehen soll, dass wiederum wir einen Bericht über einen Bericht haben sollten, sondern wir sollten einfach professionelle, fachliche Polizei- und Gerichtsuntersuchungen haben.

    Heinemann: Herr Hoxhaj, Sie wissen, wie über Ihr Land berichtet wird. Reisenden fallen die erstaunlich vielen Tankstellen und Hotels im Kosovo auf und es gibt die Vermutung, dass dort nicht nur Benzin verkauft und Gäste gebettet, sondern auch Geld gewaschen wird. Was sagt der Außenminister?

    Hoxhaj: Ich glaube, dass das Land in den letzten drei Jahren einen ganz großen Fortschritt gemacht hat, und dem Land geht es viel besser als der Ruf im Ausland. Jeder Besucher, der Kosovo besuchen würde, würde dort mit einem anderen Bild auch zurück nach Berlin oder nach Deutschland hier kommen.

    Heinemann: Welches ist Ihr wichtigstes Anliegen im Gespräch mit Bundesaußenminister Westerwelle?

    Hoxhaj: Deutschland hat uns massiv in verschiedenen Zeiten unterstützt und die Kosovaren sind dem deutschen Volk, Deutschland und der deutschen Regierung sehr, sehr dankbar und wir sind sehr interessiert, dass es zwischen Pristina und Berlin eine strategische Partnership gibt, und gleichzeitig wir sind sehr interessiert, dass es mehrere deutsche Investitionen im Kosovo gibt, dass es wirtschaftliche und Handelsbeziehungen hier gibt. Aber gleichzeitig brauchen wir die Unterstützung von Deutschland, was den Europa-Integrationsprozess betrifft, weil wir das einzige Land derzeit auf dem Balkan sind, das, wenn es um Europapolitik, Europaintegration geht, sehr isoliert ist. Die kosovarischen Bürger sind die einzigen, die nicht frei reisen können, und wir fragen nicht danach, dass wir in diesem oder im nächsten Jahr frei reisen können, aber ich glaube, es wäre sehr zentral, dass man zunächst mit Brüssel einen Dialog hinsichtlich Visafreiheit beginnt, und gleichzeitig, dass die Europäische Kommission uns mehr unterstützt im Sinne, dass wir bestimmte Verträge mit der EU-Kommission, sei es im Handel, oder sei es auch in anderen Bereichen, unterzeichnen. Das bedeutet, Berlin ist für uns eine unglaublich wichtige politische Adresse und meine Aufgabe ist, dass sie auf dieser bilateralen Ebene weiterhin arbeiten.

    Heinemann: Herr Hoxhaj, zum Schluss gestatten Sie mir bitte eine persönliche Frage. Wenn man Ihren Vor- und Nachnamen sehr schnell ausspricht, dann kann das unschöne Erinnerungen wecken. Enver Hoxha hat die Albaner jahrzehntelang tyrannisiert. Waren sich Ihre Eltern dieser Gefahr nicht bewusst?

    Hoxhaj: Ich glaube, es gibt unglaublich viele Bürger, die entweder den Namen, oder den Familiennamen oder beides haben, sowohl in meinem Land als auch anderswo auf dem Balkan. Das ist ein typischer Name. Ich glaube, dass bestimmte Leute, sei es in Deutschland oder woanders, Müller oder Thomas oder so heißen. Es ist ein sehr verbreiteter Name.

    Heinemann: Jetzt haben wir auch noch was gelernt. - Enver Hoxhaj, der Außenminister des Kosovo. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hoxhaj: Danke schön auch.