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Berlin
Proteste gegen ZLB-Reform

Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) will neue Wege gehen: Künftig soll ein externer privater Dienstleister den Medieneinkauf organisieren. Bücher, die länger als zwei Jahre ungelesen im Regal stehen, sollen vernichtet werden. Die ZLB-Mitarbeiter fürchten jetzt um ihre Jobs und Bücherfans warnen vor dem Ausverkauf der Berliner Buchkultur.

Von Daniela Siebert | 14.07.2015
    Erleuchtet ist am 07.01.2013 in Berlin die Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz. Diese Einrichtung gehört zur Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
    Die ZLB soll reformiert werden. Lesefans befürchten künftig ein eingeschränktes Buchangebot. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Der Rosenthaler Platz ist kein guter Ort. Nicht zum Demonstrieren, nicht zum Lesen. Drei verkehrsreiche Straßen kreuzen sich hier, dazu kommen immer wieder Touristengrüppchen, gerne mit Rollkoffern.
    Trotzdem haben sich hier gestern Nachmittag 30 Bücherfans zur Demo versammelt: die meisten im fortgeschrittenen Lebensalter, die meisten weiblich. Ihr Anführer ist Eckart Müller. Eine Art Indiana Jones der Bibliophilen: Er trägt einen ledernen Cowboyhut, ein leuchtendes grün kariertes Hemd. Per Megafon verkündet er, welche Ursprünge die Versammlung hat:
    "Ich habe im Dezember letzten Jahres in meinem Bioladen eingekauft und nebenbei noch mal einen Artikel in der "taz" gelesen und es war mal wieder einer dieser Artikel, bei dem man dann sagte: Das gibt's doch überhaupt nicht, da muss man was tun. Es stand dort, dass die Lektorinnen und Lektoren aus der Zentral- und Landesbibliothek ihre Arbeit nicht mehr so machen sollen wie bisher."
    Stattdessen solle ein externer Dienstleister, EKZ, eine GmbH im fernen Baden-Württemberg, künftig einen Großteil der Buchauswahl treffen. Außerdem sollten laut Müller alle Bücher vernichtet werden, die zwei Jahre lang niemand ausgeliehen hat.
    Dagegen hat der Lehrer im Internet eine Petition verfasst, die 20.000 Menschen unterschrieben haben. Diese lange Unterschriftenliste soll nun übergeben werden, aber nicht einfach so.
    "Wer möchte noch kleben, wie wir das hier machen? Hat jemand Lust? Dann geht es ein bisschen flotter."
    Klasse statt Masse
    388 weiße DinA4-Seiten sollen aneinandergeklebt werden, darauf die Namen aller Unterstützer. Nicht alle können bei der Bückaktion am Boden mitmachen, denn sie haben es im Rücken oder in den Knien. Schließlich ist das Werk vollbracht und die Demonstranten ziehen die so geformte Papierschlange gemeinsam von der Straßenkreuzung an mehreren Häusern vorbei bis zur Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten.
    Sogar eine Frau, die die ZLB gar nicht selbst nutzt trägt die Liste mit:
    "Ich möchte, dass erfahrene Menschen Bücher für uns aussuchen und nicht in irgendeiner Einkaufszentrale Massenqualität angeboten wird."
    Mit bei der Aktion ist auch eine Übersetzerin, die auch für sich selbst Auswirkungen befürchtet, weil ihre Aufträge wegfallen könnten.
    "In meinem Beruf wird mich das langfristig auf jeden Fall auch betreffen, so wie alle Veränderungen im Buchmarkt, weil der Markt gestreamlined wird."
    Eine Mitarbeiterin der ZLB, die lieber anonym bleiben möchte, hält nichts davon, die Aufgaben der Lektoren auszulagern.
    "Also wir sind ganz dicht am Leser, das heißt, in dem Augenblick, wenn uns jemand fragt, können wir ganz schnell reagieren und auch ruckzuck – so war es auch in der Vergangenheit – genaue diese Themen bedienen, das kann die EKZ in Reutlingen nicht."
    Standardprogramm statt individuelle Wünsche
    Peter Delin, war ebenfalls viele Jahre Mitarbeiter der ZLB. Er hat das zweiseitige Flugblatt zur Demo verfasst und verteilt es fleißig an Passanten.
    "Das ist eine Katastrophe für die Bibliothek, weil die Bibliothek die Bestandsauswahl, die Buchauswahl nicht mehr selbst macht. Das muss vor Ort gemacht werden, das ist die Auswahl für eine 3,5-Millionenstadt, da kann es kein Standardprogramm geben, was von der Einkaufszentrale oder andern Dienstleistern geliefert wird, was aber für kleine und mittlere Bibliotheken bis zu 400.000 Einwohnern geplant ist.
    Berlin verliert damit eine wichtige Kulturressource."
    Im kargen Foyer der Senatskanzlei lässt sich Konrad Schmidt-Werthern von der langen Unterschriftenschlange mehrfach umrunden. Er ist der stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrates der ZLB und als Typ erfolgreicher Yuppie ein echter Kontrapunkt zu den Demonstranten: mit Jackett, gepflegtem Vollbart und teurer Markenbrille. Konziliant entgegnet er nachdem die ihr Anliegen formuliert haben:
    "In der Sache sind wir uns glaube ich mit Blick auf das Ziel einig: Wir wollen eine vielfältige ZLB und wir wollen eine ZLB, die auch mit Blick auf das, was jetzt auf uns zukommt Stichwort Digitalisierung, Stichwort längere Besuchs und Öffnungszeiten usw. leistungsfähig ist."
    Entscheidung noch offen
    Es sei noch überhaupt nichts entschieden, betont er - umzingelt von den Protestlern. Nur dass es eine Veränderung im Bestandsmanagement geben solle. Zwei Gutachter hätten dafür einen externen Dienstleister vorgeschlagen, der aber nur einen Teil der Arbeit übernehmen solle, sodass einige ZLB-Lektoren auch andere Aufgaben übernehmen könnten, wie zum Beispiel die Beratung der Kundschaft bei Recherchen und Neuen Medien. Eine Büchervernichtung nach zwei Jahren ohne Ausleihe werde es nicht geben, so Schmidt-Werthern, das sei frei erfunden.
    Nach rund anderthalb Stunden ist die Aktion vorbei, doch Chefpetent Eckart Müller ist nicht befriedet.
    "Weil wenn die Strukturen verändert werden, dann werden auch in den Regalen die Plätze neu verteilt und dann geht es erst richtig los, glaube ich.
    Also das ist die Befürchtung. Aber vielleicht schaffen wir, das Thema so in die Öffentlichkeit zu bringen, dass man viel weniger sich traut das zu machen."
    Das nächste Kapitel der Geschichte wird wohl Ende August geschrieben. Dann tagt der Stiftungsrat der ZLB wieder. Nichtöffentlich.