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Berlin
Solidarisches Grundeinkommen - wenig nachgefragt

Das solidarische Grundeinkommen in Berlin soll bis zu 1.000 Arbeitslosen staatlich finanzierte Jobs vermitteln. Das Ganze ist als Alternative zu Hartz IV gedacht und im August als bundesweit einzigartiges Projekt gestartet. Allerdings läuft es nur schleppend an.

Von Anja Nehls | 09.01.2020
02.08.2019, Berlin: Rahim Nagibulla unterzeichnet den ersten Arbeitsvertrag im Rahmen des bundesweit einmaligen Projekts "Solidarisches Grundeinkommen". Gegengezeichnet wird sein Arbeitsvertrag von Christina Geib (r) und Jan Robert Kowalewski (l) von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) verfolgt das Geschehen.
Der Berliner Rahim Nagibulla unterzeichnet den ersten Arbeitsvertrag mit "solidarischem Grundeinkommen" (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
Wer in Berlin auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Job findet hat in Berlin seit August die Möglichkeit, ein sogenanntes solidarisches Grundeinkommen zu beziehen – möglichst noch bevor der Abrutsch in Hartz IV droht. Nicht zu verwechseln ist das mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, denn für das Programm, das sich Berlins Regierender Bürgermeister Müller ausgedacht hat, muss im Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen gearbeitet werden – zum Beispiel als Fahrgastbegleiter bei der BVG, in landeseigenen Unternehmen als Hausmeister, als Helfer in der Schulbibliothek, Unterstützer von Erziehern in Kitas oder bei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wie der gebürtige Afghane Rahim Nagibulla:
"Ich glaube, meine Aufgabe wird in dem Projekt sein, dass ich sehr viele Leute zu den Behörden begleite und wenn Verträge unterschrieben werden zwischen Mieter und Vermieter, dass ich da übersetze."
Geringe Nachfrage
Das Modellprojekt "Solidarisches Grundeinkommen" läuft fünf Jahre lang. Bis zu tausend Arbeitslose sollen in diesem Zeitraum einen nach Tarif oder mit Mindestlohn bezahlten Job bekommen. Das Interesse der Arbeitgeber ist zwar groß, bisher seien aber nur 61 Arbeitsverhältnisse zustande gekommen, so Berlins linke Sozialsenatorin Elke Breitenbach. Sie führt das darauf zurück, dass die Teilnahme an diesem Programm im Gegensatz zu früheren im öffentlichen Beschäftigungssektor freiwillig sei. Nur zwei Drittel der angebotenen Stellen würden zurzeit tariflich bezahlt, für die anderen gebe es nur Mindestlohn:
"Stellen nach dem jetzigen Mindestlohn sind nicht besonders attraktiv und da warten auch nochmal viele und sagen, ich gucke mal."
Das ändere sich möglicherweise, wenn der Mindestlohn angehoben wird, so Breitenbach. Sie sieht das neue Modellprojekt auf einem guten Weg. Für Jakob Schultze-Berndt von der oppositionellen CDU ist es nichts weiter als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit neuem Titel:
"In der Anfangszeit, kurz nachdem es verkündet wurde, war bekannt, die Leute sollen WLAN-Administratoren sein, die Sicherheit an den Schulen verbessern, sollen Schulstrukturierungen vornehmen, an den Schulen Hausmeistertätigkeiten übernehmen und rausgekommen ist jetzt, dass die Leute original das gleiche machen wie das, was der öffentliche Beschäftigungssektor in den 90er-Jahren gemacht hat, das gleich, was auf den Positivlisten steht für Ein-Euro-Jobs."
Neuauflage der Ein-Euro-Jobs
Das sieht Elke Breitenbach ähnlich, merkt aber an, dass sie durchaus andere Ideen gehabt hätte, zum Beispiel, dass die Arbeitslosen als Umzugshelfer für Senioren arbeiten könnten:
"Da war ein Beispiel von mir, das ich gesagt habe, wenn wir an dem Punkt sind, dass wir älteren Menschen ermöglichen wollen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, dass sie dort die Wohnung tauschen können, von der großen Wohnung in der vierten Etage in die kleine Wohnung im Erdgeschoss umziehen, dann brauchen diese Menschen Unterstützung, die schaffen nämlich alleine diesen Umzug nicht. Ich kann ihnen sagen, an dieser Stelle kommt unisono von den Sozialpartnern ein Nein."
Weil eine Arbeit zum Beispiel als Umzugshelfer wiederum Jobs von Umzugsfirmen auf dem ersten Arbeitsmarkt gefährden würden. Wichtig sei, dass die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten im Modellprojekt durch Begleitung, Coaching und Qualifizierung der Betroffenen am Ende in dauerhaften Arbeitsplätzen münden. Ingo Malter von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land will das in seinem Unternehmen auch genauso umsetzen. Der Personalmangel sei auch im geringer qualifizierten Bereich spürbar. Deshalb sollen die Menschen nach dem Förderzeitraum keinesfalls wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen werden:
"Wir bieten bereits bei den Vorstellungsgesprächen die Perspektive an zunächst einmal im Rahmen des Projektes sich einen Eindruck von der Arbeit zu verschaffen, die wir langfristig zu vergeben haben. Denn das ist eine hohe Schwelle, sie können sich das praktisch so vorstellen, dass jemand, der Elektroniker gelernt hat und das auch sein möchte sich zunächst nicht so leicht vorstellen kann Hausmeister zu werden. Hat er aber Berührung über das Projekt mit genau solchen Tätigkeiten, dann sinkt die Hemmschwelle, sich auch zu verändern und etwas zu tun."
Perspektive langfristiger Job
Rahim Nagibulla hat Anfang August im Beisein des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller öffentlichkeitswirksam den ersten Vertag bei der Wohnungsbaugesellschaft Mitte unterschrieben. Er sieht im Modellprojekt Solidarisches Grundeinkommen für sich eine Chance:
"Für mich bedeutet das sehr, sehr viel, dass ich für lange Zeit eine Arbeitsmöglichkeit habe, dass ich auch selber Verantwortung übernehmen kann."
Das Land Berlin stellt für das Projekt 38 Millionen Euro im Jahr bereit.