Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Berlin und Brandenburg
Aus für das Fach Geschichte?

Wie bringt man Schülerinnen und Schülern historisches Wissen und Zusammenhänge am besten nahe? Darüber wird derzeit in Berlin und Brandenburg diskutiert. Beide Länder erarbeiten gemeinsame neue Lehrpläne. Ein Streitpunkt: der Vorschlag, Geschichte abzuschaffen und mit Erdkunde und Politik zu einem Fach zusammenzulegen.

Von Claudia van Laak | 03.03.2015
    Chaosfach, Halbwissen, nur noch Gelaber, ein Potpourri von Beliebigkeiten. So die Stellungnahmen von Geschichtslehrern aus Berlin und Brandenburg zum neuen Lehrplan. Im Wesentlichen sind es zwei Punkte, die viele Lehrkräfte kritisieren.
    "Am meisten stört mich die Beliebigkeit und das Methodendiktat. Dass was jetzt an Inhalten vorgelegt wird in diesem neuen Rahmenlehrplan, lässt nur einen Schluss zu: Dass das Fach Geschichte völlig verschwindet", sagt Geschichtslehrer Robert Rauh, der eine Onlinepetition gegen den neuen Lehrplan gestartet hat.
    Zusammenschluss zum Fach Gesellschaftswissenschaften
    So soll es in den Klassen 5 und 6 künftig kein eigenständiges Fach Geschichte mehr geben, es wird mit Erdkunde und Politik zum Fach Gesellschaftswissenschaften zusammengelegt. Außerdem enthält der Lehrplan eine Abkehr von der Chronologie im Unterricht - die Epochen sollen nicht mehr nacheinander unterrichtet werden, stattdessen wird die Längsschnittmethode empfohlen. Ein Thema wird an verschiedenen Epochen abgehandelt, zum Beispiel "Krieg und Frieden" oder "Demokratie und Mitbestimmung". Michele Barricelli, Geschichtsdidaktiker an Universität Hannover, begrüßt diese Methode. Damit ließe sich an den Alltag der Schülerinnen und Schüler anknüpfen.
    "Vor allen Dingen der Lebensweltbezug, der ja sehr stark herausgestellt ist, vor allen Dingen auch die Möglichkeit, sich über Themen auseinanderzusetzen, die sehr stark im Fragehorizont der Schülerinnen und Schüler liegen."
    Ein weiteres Argument spreche laut Baricelli für neue Methoden, für eine Abkehr von der Chronologie im Geschichtsunterricht - während bis zur 6. Klasse das Fach bei Schülern äußerst beliebt sei, werde es plötzlich in Klasse 7 äußerst unbeliebt. Und später könnten sich die Schülerinnen und Schüler kaum noch an die Inhalte erinnern.
    "Gerade die Inhalte, die in der 7. und 8. Jahrgangsstufe vermittelt werden, gehören zu denjenigen, die am wenigsten nachhaltig im Gedächtnis verankert bleiben. Wir haben hier wirklich ein empirisch belegbares Problem, und das sind nicht nur Studien von gestern und vorgestern, das sind Studien, die es seit 100 Jahren in der Fachdidaktik gibt, und zwar international. Die Gehalte, mit denen man tatsächlich arbeiten kann, die beziehen sich auf die 9. und 10. Klasse, aber alles, was vorher war, ist quasi weg."
    Längsschnittmethode
    Der Berliner Geschichtslehrerverband argumentiert dagegen: Die Längsschnittmethode sei nur hilfreich, wenn den Kindern zuvor zumindest eine grobe Chronologie vermittelt worden sei, sonst könnten sie die behandelten Ereignisse überhaupt nicht zuordnen. Der Vorsitzende des Verbands Peter Stolz wehrt sich zudem gegen eine Zusammenlegung von drei Fächern zum neuen Fach Gesellschaftswissenschaften.
    "Der Historiker und der Politologe, die beschäftigen sich mit dem Problem und mit der Zeit. Der Geograf mit dem Raum. Der Historiker hat die Raumbeispiele aber nicht parat. Das heißt, er wird auf diesem Gebiet sicher mehr dilettieren, die Schüler auch. Man unterhält sich einfach nett, wenn die Schüler auch gut erzogen sind, auch gesittet. Aber das hat kein Abstraktionsniveau mehr. Das kann man auch als Gelaber bezeichnen."
    Bis Ende des Monats können die Berliner und Brandenburger Lehrer noch ihre Stellungnahmen zum neuen Lehrplan einbringen, Änderungen sind noch möglich. Außerdem: Wie verbindlich ist eigentlich dieser Lehrplan? Sind die Lehrkräfte sklavisch daran gebunden oder haben sie Freiräume? Natürlich - sagt Berlins Bildungsstaatsekretär Mark Rackles:
    "Das ist nicht die Bibel, die neben dem Tisch des Lehrers liegt, wo man alle fünf Minuten reinschaut. 60 Prozent etwa werden festgelegt durch den Rahmenlehrplan. Das heißt, 40 Prozent ist etwas, wo die Schulen nachsteuern können, wo die Lehrkräfte nachsteuern können."
    "Leute, jetzt mal ein bisschen entspannter. Da vorne sitzen doch keine preußischen Ministerialbeamten, die uns auspeitschen, wenn wir den Rahmenplan nicht erfüllen. Ich bin jetzt fast vier Jahrzehnte im Berliner Schuldienst. Ich habe ab und zu mal reingeschaut, es ist ein interessantes Papier. Aber ich mache, was mir Spaß macht. Das ist doch nicht in Stein gemeißelt. Wenn ich so etwas schon höre, da wird mir schlecht", sagt dieser Berliner Gesichtslehrer, der seinen Kollegen eine gewisse Obrigkeitshörigkeit unterstellt.
    Die Debatte über den neuen Lehrplan wird übrigens nicht nur bei den Geschichtslehrern geführt. Die in Berlin mitregierende CDU nutzt sie zu einem Angriff auf das SPD geführte Bildungsressort. Da es künftig einen Lehrplan für alle Schulen bis zum 10. Schuljahr geben soll und nicht mehr zwischen den verschiedenen Schulformen differenziert wird, werfen die Christdemokraten der SPD vor, die Einheitsschule vorbereiten und den Schulfrieden brechen zu wollen.