Freitag, 19. April 2024

Archiv

Berlin
"Vier Verwaltungen zuständig, um eine Schultoilette zu sanieren"

Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag in Berlin steht. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja zeigt sich skeptisch, dass die neue Hauptstadt-Regierung den Investitionsstau abbauen kann. Im DLF forderte er Verbesserungen im Management der Stadt, mehr Online-Service der Ämter und ein eigenes Budget für die Schulen.

Sebastian Czaja im Gespräch mit Doris Simon | 17.11.2016
    Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja.
    Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja. (pa/dpa/Gambarini)
    Doris Simon: Sechs Wochen lang haben die Verhandlungen gedauert, jetzt steht der neue Koalitionsvertrag. In Berlin regiert, vorausgesetzt alle beteiligten Parteien stimmen zu, künftig ein rot-rot-grünes Dreierbündnis. Am Telefon ist jetzt Sebastian Czaja, der Fraktionschef der FDP, die seit der letzten Wahl auch im Berliner Senat wieder vertreten ist. Guten Morgen!
    Sebastian Czaja: Guten Morgen, Frau Simon.
    Simon: Herr Czaja, Ihr Geschäft ist jetzt Opposition. Klar! Aber eigentlich müssten Sie sich auch freuen über die Ankündigung, dass endlich jetzt mal in Berlin die Sanierung maroder Krankenhäuser, Schulen und Straßen angepackt wird, oder?
    Czaja: Na ja. Bisher ist alles Ankündigung und der Koalitionsvertrag, der 270 Seiten umfasst, hat sicherlich viel Prosa. Aber er hat eins nicht und das ist Aufbruch und Innovation. Von daher bin ich sehr skeptisch, dass der Verkehrsstau, der Terminstau in den Bürgerämtern, der Investitionsstau in den öffentlichen Einrichtungen, Schulen und Kitas und der Personalstau abgebaut wird und das eine Koalition wird, die in der Lage ist, die funktionierende Stadt Berlin zu gestalten.
    Simon: Aber genau das, nämlich Investitionen dort, sehen die ja vor. Und Sie sehen das, glaube ich, auch, wenn ich das so richtig verstehe bei Ihnen, dass der Investitionsbedarf in bestehende Infrastruktur riesengroß ist.
    Czaja: Der Investitionsbedarf ist groß. Es ist vor allen Dingen eine Frage auch in Zukunft, die auf der Tagesordnung steht: Wie können wir eine wachsende Stadt wie Berlin, die um 40 bis 50.000 Berlinerinnen und Berliner jedes Jahr reicher wird, was in fünf Jahren einen Berliner Bezirk in der Größenordnung mehr ausmacht, tatsächlich so managen, dass sie weiterhin funktioniert. Und da muss ich mich zu allererst mit innovativen Fragen beschäftigen, die dazu beitragen, dass der Termin im Bürgeramt wieder möglich wird und dass es vor allen Dingen …
    Der Digitalisierung nicht verschließen
    Simon: Was meinen Sie denn mit innovativen Fragen?
    Czaja: Mit innovative Fragen meine ich, dass ich mich neuen Dingen nicht verschließe, wie zum Beispiel der Digitalisierung, und neuen Dingen eine Chance gebe. Wir haben in Berlin die Situation, dass Sie bis zu drei Monate und mehr auf einen Termin im Bürgeramt warten, wo Sie doch viele Dinge wie zum Beispiel das An- und Ummelden, wenn Sie umziehen, aus Sicht der Freien Demokraten online machen könnten. So wie man heute auch normalerweise ein Online-Banking abwickelt, ginge das auch an der Stelle. Stattdessen sagt Rot-Rot-Grün in Berlin, wir brauchen mehr Personal. Da gibt es ganz klare Zahlen, die da vorliegen. Das wird aber vier bis fünf Jahre dauern, ehe die Kräfte tatsächlich in den Behörden ankommen, bis sie ausgebildet sind. Und deshalb ist der schnellere Weg einfach Innovation und das wäre an der Stelle die Digitalisierung.
    Gestatten Sie mir eine weitere Anmerkung: Wir haben in Berlin nicht unbedingt die finanziellen Spielräume. Diese Koalition hat Ausgabenwünsche von 2,5 Milliarden Euro bei einem Spielraum von gerade nur 500 Millionen. Und da wird eine Politik gemacht, die zu Lasten der nächsten Generation geht und auch jede Menge Spielräume verschenkt.
    Simon: Aber sparen bis es quietscht, so wie Klaus Wowereit das früher gemacht hat, wollen Sie das?
    Czaja: Nein! Interessant, dass Sie das ansprechen. Klaus Wowereit, der damals in einer Regierung ja auch mit der Linkspartei diese Stadt strukturell kaputt gespart hat, hat einen Weg eingeschlagen, mit dem man jetzt umgehen muss.
    Simon: Das macht ja die neue Koalition laut Koalitionsvertrag. Die sagen ja, wir investieren jetzt endlich.
    Czaja: Wir können ja investieren im Rahmen der Spielräume, die wir haben. Aber über Schattenhaushalte, indem landeseigene Unternehmen Kredite aufnehmen, ist das nicht der richtige und transparente Weg.
    Simon: Was ist denn dann die Alternative? Was würden Sie machen?
    Czaja: Ich würde zum Beispiel, um die Stadt wieder voranzubringen, einfach mit konkreten Lösungen im Management nach vorne gehen.
    Simon: Aber eine marode Schule kriegen Sie doch nicht mit einem Management wiederhergestellt.
    Czaja: Doch! Das sage ich Ihnen, wie Sie eine marode Schule kostengünstiger sanieren können: Indem Sie einfach mal sich fragen, wie sieht es denn in der Berliner Verwaltung aus. Derzeit sind vier Verwaltungen zuständig in Berlin, um eine Schultoilette zu sanieren.
    Mehr Eigentverantwortung für die Schulen
    Simon: Aber deswegen soll ja eine neue Gesellschaft geschaffen werden dafür.
    Czaja: Gestatten Sie mir den Satz? Das sind drei Verwaltungen aus meiner Sicht zu viel. Derzeit kostet so eine Sanierung einer Berliner Schultoilette 150.000 Euro. Das ist total unverhältnismäßig und dauert außerdem noch viel, viel zu lange. Sie sprechen die neue Gesellschaft zurecht an.
    Simon: Genau, die jetzt diese Aufgaben übernehmen soll, weil man gesehen hat, wie Sie es schildern, bis jetzt klappt das nicht.
    Czaja: Ja, es gibt eine neue Gesellschaft. Die wird sich aber nicht mit der einzelnen Schultoilette, sondern mit der großen und ganzen Sanierung beschäftigen von 5,5 Milliarden Sanierungsvolumen, die in Berlin aufgelaufen sind. Die wird sich nicht um die Details kümmern. Deshalb sagen wir: Schulen brauchen ein eigenes Budget, um schnellstmöglich auf die Reparaturen und Herausforderungen des Alltags reagieren zu können. Also mehr Eigenverantwortung für die Schulen. Und wir wollen zum anderen, wenn man sich mit der Frage der Schulsanierung in Berlin beschäftigt, dass man sich auch einmal mit der Frage beschäftigt: Wie sieht denn eigentlich der Klassenraum der Zukunft aus? Und der Klassenraum der Zukunft, den muss man erst mal denken am Anfang, um am Ende auch eine Schule so saniert zu haben, dass wenn das Sanierungsprogramm dann durch ist, der Klassenraum auch noch dem gerecht wird und zeitlich angemessen ist.
    Simon: Schauen wir noch mal auf die leeren Kassen, die Sie angesprochen haben. Die Koalition, die sich da bildet, sagt ja, wir haben so viele Menschen in Berlin, die hier arbeiten und leben in der Woche, die aber ihren ersten Wohnsitz hier nicht haben, und deswegen bekommen wir nicht über den Länderfinanzausgleich das Geld, was uns eigentlich zusteht. Das soll sich ändern. Das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen, oder?
    Czaja: Wir haben ja in den letzten Jahren genau das erlebt, dass über den Länderfinanzausgleich Gelder verschenkt wurden, weil wir kein funktionierendes Meldewesen in Berlin hatten. Und das funktionierende Meldewesen wird über die Bürgerämter organisiert.
    "Deshalb braucht es Tempo, um diesen Terminstau abzubauen"
    Simon: Aber es muss erst mal eine Bereitschaft geben, sich auch wirklich in Berlin mit Erstwohnsitz anzumelden. Das ist ja nicht nur eine Frage von Terminen.
    Czaja: Die Bereitschaft ist ja da und wir haben es am 30. 6. dieses Jahres erlebt, dass 70 Millionen verschenkt wurden, weil nachweislich klar war, wie viele offene Termine es im Rückstau gibt und damit im Länderfinanzausgleich für Berlin 70 Millionen nicht gezahlt wurden. Deshalb braucht es Tempo, um diesen Terminstau abzubauen, und das geht am schnellsten mit innovativen Lösungen und nicht nur ausschließlich mit der althergebrachten Politik, immer mehr Personal auszubilden und einzustellen. Die Langfriststrategie brauchen wir auch, aber wir brauchen vor allen Dingen auch schnelle und alltagstaugliche Lösungen. Und wenn Sie mich nach den finanziellen Spielräumen fragen?
    Simon: Herr Czaja, wir müssen langsam zum Ende kommen. Sprechen Sie gerne den Satz zu Ende.
    Czaja: Wenn Sie mich nach finanziellem Spielraum fragen, dann schauen wir einfach auf den BER. Der kostet 1,3 Millionen am Tag die Steuerzahler. 1,3 Millionen am Tag. Und ein Flughafen, der nicht geöffnet ist, da ist jede Menge Spielraum da, um Kosten tatsächlich einzuschränken und vor allen Dingen finanzielle Spielräume freizumachen, wenn wir solche Projekte endlich fertigstellen und dann auch so fertigstellen, dass sie funktionieren. Da gehört dann auch für eine gescheite Luft- und Verkehrspolitik in Berlin ein zweiter Flughafen wie der Flughafen Tegel dazu.
    Simon: Sebastian Czaja, der Fraktionschef der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus. Herr Czaja, danke für das Interview.
    Czaja: Gerne!
    Simon: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das vollständige Interview können Sie in Kürze hier nachlesen.