Donnerstag, 25. April 2024

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Berliner Autorentage
Auftakt mit makabrer Autoverkehrsfantasie

Von Eberhard Spreng | 14.06.2015
    "Ich finde es unmöglich, bei der Eröffnung der Autorentheatertage so eine plattitüdenhafte Rede zu halten mit einer solchen schlechten Laune. Ich muss dir sagen Peter, ich nehme dir das wirklich richtig übel."
    Es sage keiner, das Theater sei müde. Denn Ulrich Matthes, Mitglied in der diesjährigen Auswahljury reagierte ziemlich lebendig auf Peter Michalziks etwas griesgrämiges Grußwort zur Eröffnung der Autorentheatertage. Der hatte in einem Thesenpapier eine tiefgreifende Krise des Sprechens auf der Bühne konstatiert, mit Problemen zwischen Autoren und Theatern, Texten und Regisseuren, Regisseuren und Schauspielern.
    Michalzik ist in diesem Jahr erstmalig Juryvorsitzender eines mehrköpfigen Gremiums, das aus dessen Vorauswahl von ca. 25 Texten unter anderem Stücke für vier Uraufführungen herausgefiltert hat. "Dosenfleisch" des Grazers Matthias Schweiger, der seine Stücke unter dem Pseudonym Ferdinand Schmalz verfasst, versammelt vier Akteure und eine Schlagzeugerin auf einer etwas abstrakten Bühne, von der sie in die Katastrophe einer völlig sinnlosen und zugleich mörderischen Auto-Mobilität blicken.
    "Mittelstreifen, führ uns an.
    Mittelstreifen, führ uns an.
    Mittelstreifen, führ uns an."
    Ein Versicherungsangestellter versucht, in den Wunden von Unfalltoten Spuren zu lesen, die sich in Statistiken verwerten lassen, eine Fernsehschauspielerin berauscht sich an Höchstgeschwindigkeiten. Ein Fernfahrer berichtet vom Aufbrechen der Felischkonservendosen unter den Autoreifen. Sie waren aus einem verunglückten Laster auf die Autobahn gerollt.
    Der menschliche Körper und seine Verwandlung ins Dosenfleisch der Mobilitätsgesellschaft, das ist die grimmig komische Metaphorik eines Stückes, dessen kapriziös artifizielle Sprache und geschraubte Wortstellung an klassische Vorbilder anknüpfen will. Die Perkussion der Schlagzeugerin Katharina Ernst soll das Ganze zum komischen Oratorium machen.
    "An alle Hubraumfahrerinnen und an alle Mittelstreifenhörnchen.
    An alle Motorhaubentaucher und an alle Verkehrsschildkröten.
    Wir brechen auf."
    Aus verschiedenen Extrem-Positionen heraus besingt der Autor die absolute Entfremdung in einer Extrem-Zivilisation und zitiert kalauernd Wittgenstein: "Die Welt ist alles, was der Unfall ist."
    Ganz ohne ironische Brechung und quasi kunstlos unmittelbar erzählt Jan Friedrich in seinen "Szenen der Freiheit" von fünf Menschen zwischen 20 und 25 Jahren, die allesamt mit ihrer Liebe und ihrem Begehren experimentieren und in der Regel im Geflecht der Ansprüche, Selbstbilder und Vorstellungen vom Anderen unglücklich allein bleiben.
    Friedrich übernimmt im ersten Teil seines kurzen Stücks die Struktur des Schnitzlerschen Reigens. Bastian trifft Anni, Anni trifft Josch, Josch trifft Lore, Lore trifft Pascal. Und alle stammen wie bei Schnitzler aus unterschiedlichen sozialen Schichten und fast alle deklinieren unterschiedlich überzeugt das postmoderne Anspruchsprofil an zeitgenössische Liebschaften herunter:
    "Keine Besitzansprüche mehr. Keine emotionalen Abhängigkeiten. Emanzipation von strukturellen Mustern. Vollständige Akzeptanz der Bedürfnisse des anderen. Stabilisierende Konstanten in sich selber suchen. So was."
    Da ist eine Generation, die im Dienst eines ungehemmten Egoismus' die Regeln des Funktionierens aus dem Berufs- ins Privatleben übernimmt. Friedrich führt uns in Fabian Gerhardts schlanker und wirkungsvoller Regie mit jungen Schauspielstudenten der UDK Berlin Typen des Verhaltens vor, grobe Skizzen von etwas, das noch nicht ganz Figur geworden ist: Den schwulen Zyniker, in den ein anpassungsfreudiger Partner unglücklich verliebt ist. Die vom Helfersyndrom gebeutelte junge Frau, deren Freund an der sozialen Borderline abrutscht. Und Lore, die auf der Suche nach Liebe – wenn diese Worte überhaupt noch Sinn ergeben - zuerst grausam ausgebeutet wird und später in einem Liebesbrief offen ans Publikum appelliert:
    "Also scheißen wir auf Individualität, scheißen wir auf Autonomie und scheißen wir auf alle Variablen unserer Zeit. Ich will die dummdreiste Bedingungslosigkeit zurück, mit der wir mal füreinander eingestanden sind. Ich schicke dir mein Herz, weder soll es dich belasten, noch schuldest du mir deins dafür, aber wärm dich dran wenn's dir zu kalt wird."
    Keine Frage: Hier spricht ein Autor fast ungefiltert von dem Elend einer ganzen Generation, die an der Unverbindlichkeit ihrer sozialen Kontakte verzweifelt. Die Akteure in Schnitzlers Reigen durften im Liebesakt noch vergeblich träumen von der Beständigkeit. Bei Friedrich bleibt schon das Begehre¬¬¬¬n mit sich selbst allein. Der Abgefeimteste, anders gesagt der Realist Pascal, hat die Konsequenzen gezogen: Er treibt's mit seinem Hund.