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Berliner Stadtschloss
"Humboldt-Forum soll immer ein Work-in-progress bleiben"

In den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses soll 2019 das Humboldt-Forum einziehen. Über dessen Ausrichtung wird seit Jahren gestritten. Für Horst Bredekamp, Kunsthistoriker und Mitglied der Gründungsintendanz, soll das Humboldt-Forum nie abgeschlossen sein und eine Prozessualität in sich tragen. "Wenn es fertig sein wird, ist es unvollkommen", sagte er im DLF.

Horst Bredekamp im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 09.06.2015
    Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp
    Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp (dpa / Tim Brakemeier)
    Stefan Koldehoff: Die Kulisse steht auch in Berlin schon. Am Freitag soll dort das feierliche Richtfest für das wiederaufgebaute Stadtschloss gegenüber der Museumsinsel stattfinden. Zeit also, mal etwas konkreter zu werden, was die künftige Nutzung dieser Rekonstruktion angeht, die Georg Diez im "Spiegel" eine Art Disney-Preußen, das die ganze Gegenwart darum herum in ein Museum zwängt, genannt hat. Das Humboldt-Forum soll einziehen, über dessen Aussehen und Ausrichtung seit Jahren diskutiert und auch gestritten wird, weil es ein richtiges Konzept noch immer nicht zu geben scheint. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp ist Mitglied der Gründungsintendanz. Ihn habe ich gefragt: Wie erklären Sie denn zum Beispiel Kollegen aus dem Ausland, was das Humboldt-Forum einmal sein wird?
    Horst Bredekamp: Ich versuche, ihnen zu erläutern, was das Schloss historisch gewesen ist und was sich hieraus für die Zukunft als ein Modell ergeben könnte. Mein persönlicher Ausgangspunkt ist immer die Kunstkammer, die sich im Schloss befunden hat und die - und darin ist Berlin ein Sonderfall - bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts die verschiedensten Museen aus sich gleichsam herausgeschwitzt hat. Es war also ein Mikrokosmos und wenn man die Geschichte zurückspielt und mit den Dahlemer ethnologischen Sammlungen und den Teilen der Sammlung der Humboldt-Universität diesen ursprünglichen Zusammenhang rekonstruiert, dann bekommt man ein Modell für eine moderne Sammlung, die produktiv mit den Objekten umgeht und hier das berühmte Gedankenlabor aufführen könnte, mikrokosmisch zusammengezogen.
    Koldehoff: Das bedeutet wahrscheinlich nicht nur zeigen, sondern was noch? Was kann man mit Exponaten sonst noch machen in so einem Labor?
    Bredekamp: Wir hoffen sehr, dass wir das mit dem etwas schon abgedroschenen Schlagwort des Interaktiven durchaus operieren und dies mit Leben erfüllen können. Von der Humboldt-Universität aus werden wir Laborräume einrichten, in denen wirklich ultimative Forschungen gezeigt werden, vermittelt werden, aber auch demonstriert wird, wie Forschung sich abspielt in Bezug auf Grundfragen wie zum Beispiel was ist Materie. Wir haben das große Lautarchiv, was zu den größten weltweit gehört, und wenn wir dieses zusammenspielen möglicherweise mit den Beständen, die in Dahlem sich befinden, und wenn wir dieses zu einer Art historischem Spiel machen, dann kann man Besucher beteiligen und ihnen verdeutlichen, welche Kulturträgerschaft in den verschiedenen Sprachen, wie das Verhältnis zum Bild ist, wie sich Kulturen immer neu definieren, und dafür ist Berlin immer ein besonders umtriebiger und innovativer Ort gewesen und das scheint sich heute auch wieder abzuspielen, und das werden wir im Schloss versuchen, auch zu stärken, zu reflektieren, vielleicht auch zu distanzieren.
    "Aktualisierung, die nicht gegen die Geschichtlichkeit geht"
    Koldehoff: Sie haben Dahlem mehrfach angesprochen, Herr Bredekamp, als Standort der jetzigen ethnologischen Sammlungen in Berlin. Dort hat in den vergangenen Monaten ein Humboldt-Lab auch stattgefunden, ein Laboratorium, das die Funktion hatte, Raum für Ausprobieren, für Möglichkeiten, für Ideen zu liefern. Was kann man denn übernehmen aus den dortigen Erfahrungen? Was hat das gebracht?
    Bredekamp: Was ich habe beobachten können ist eine zuvor kaum da gewesene Offenheit und Diskussionsbereitschaft in Bezug auf die Grunddefinition der eigenen Sammlung und ihrem Verhältnis zu den Möglichkeiten, vielleicht auch Zwängen der Gegenwart, also eine Aktualisierung, die nicht gegen die Geschichtlichkeit geht. Das ist diese Spanne, die in diesem Labor vor allem durch die Beteiligung von zeitgenössischen Künstlern für meinen Begriff hervorragend gelungen ist. Es ist sehr gut besucht worden und ich war auf einigen Eröffnungen. Die Besucher sind geströmt und das wünschen wir uns natürlich dann auch für das Schloss.
    "Versuch, die Objekte von den unterschiedlichsten Perspektiven her sprechen zu lassen"
    Koldehoff: Es hat in der Vergangenheit Kritik gegeben, es gibt noch Kritik. Eine Initiative, die sich "No Humboldt 21" nennt, hat gerade noch mal behauptet, der von Berlin ausgehende Kolonialismus werde rehabilitiert mit dem Humboldt-Forum. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat sehr schnell reagiert und in einer Pressemitteilung erklärt, man werde nach den von Ihnen beschriebenen neuen Präsentationsformen suchen. Dazu gehöre auch ein Weg vom Eurozentrismus und ein Shared Heritage mit den Herkunftsgesellschaften, also Verbindungen zu den Ländern, aus denen in der Zeit der Kolonialisierung Dinge nach Deutschland zum Teil auch unter Zwang unfreiwillig gebracht wurden. Was heißt Shared Heritage? Was ist dieser neue Ansatz?
    Bredekamp: Das ist der Versuch, die Objekte von den unterschiedlichsten Perspektiven her sprechen zu lassen, aber sie zugleich auch nicht unter herrschende Stimmungen zu subsummieren. Es ist ein Beirat um die Intendanz gewählt worden, der Vertreter aus den verschiedenen Erdteilen umfasst, sodass wir hier ein durchaus permanentes Gesprächsforum haben werden, in dem wir das gesamte Material und darüber hinaus besprechen. Es hat sich allerdings dabei auch gezeigt, dass die antieuropäische Wendung, die sich mit dem Kolonialismus verbindet, in den ehemaligen Kolonialländern gar nicht wertgeschätzt wird, weil wir argumentieren, wir wollen nicht das zweite Mal rhetorisch zu Opfern werden. Das ist die zweite Seite, die mitdiskutiert werden muss in diesem Rahmen. Und die dritte, dass Berlin darin ein Sonderfall ist, dass es große Bereiche der Sammlung zusammengebracht hat, bevor Berlin, Deutschland kolonial wurde, und die Urbestände gehen auf Leibnitz zurück, der nun ein Ziel hatte, die Wertschätzung von anderen Kulturen, vor allem China zu fördern und von anderen Kulturen auch zu lernen. Diese Frage ist sowohl von heute her wie auch historisch höchst komplex.
    Koldehoff: Was bedeutet das, wenn denn der einstmals eröffnet sein wird? Das Ganze nach wie vor ein Work-in-progress ist, aber im positiven Sinne?
    Bredekamp: Ja, es soll immer ein Work-in-progress bleiben. Das Humboldt-Forum soll niemals abgeschlossen sein. Und nochmals: Die Objekte müssen mit aller Sorgfalt betreut werden, ausgestellt werden, und da darf es überhaupt keine Konzession geben, selbstverständlich. Daneben aber wird das Haus eine Prozessualität in sich tragen müssen, um die Uridee des großen Gedankenlabors erfüllen zu können, und deswegen wird es auch niemals abgeschlossen sein. Wenn es fertig sein wird, ist es unvollkommen.
    Koldehoff: Humboldt-Forum ante portas - Horst Bredekamp war das, Mitglied der Gründungsintendanz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.